Interview mit Günter Thumser
"Von einem Gleichgewicht in den Verhandlungen sind wir meilenweit entfernt"

| Wolfgang Zechner 
| 30.01.2025

In den kommenden Tagen startet der Markenartikelverband (MAV) seine alljährliche Markenkampagne. Sie steht heuer unter dem Motto "Die Marke macht's! Das Original". KEYaccount traf sich mit MAV-Geschäftsführer Günter Thumser und sprach mit ihm über den Wert der Marke, das angespannte Verhältnis zwischen Handel und Industrie und seine Erwartungen an die künftige Regierung.

KEYaccount: Sehr geehrter Herr Thumser, wo sehen Sie die großen Herausforderungen für die Industrie im Jahr 2025?

Günter Thumser: Unsere größte Herausforderung wird sein, das Vertrauen in die Kraft und Leistung der Originalmarken wiederzugewinnen. In den Jahren der Coronakrise und der hohen Inflation hatte die Marke einen schweren Stand. Ständig gab es Appelle aus der Politik und den Medien, sich möglichst günstig zu versorgen. Wir werden heuer darum vorwiegend Zukunftsthemen in den Fokus rücken.

KEYaccount: Die Konsument:innen haben zuletzt verstärkt zu den Eigenmarken des Handels gegriffen. Wie möchten Sie hier eine Trendumkehr zurück zur Marke einleiten?

Thumser: Die Konsument:innen handeln teilweise paradox. Einerseits fordern sie lokale Produkte von höchster Qualität, die am besten auch noch Bio sind, andererseits schauen sie auf den günstigsten Preis. Diese sich widersprechenden Ansichten haben sich in der jüngeren Vergangenheit noch weiter auseinanderentwickelt. Das war vor der Coronakrise anders. Wir müssen mit dem Handel zusammenarbeiten, um den Konsument:innen wieder stärker den Wert der Produkte zu vermitteln. Ich habe den Eindruck, dass Produkte des täglichen Bedarfs aktuell nur mehr einen Preiszettel haben. Das ist aber eine dramatische Verkürzung. Um das geradezurücken, starten wir noch Ende Jänner mit unserer 39. Markenkampagne. Heuer wird diese Kampagne noch mehr Selbstbewusstsein ausstrahlen als in den vergangenen Jahren.

KEYaccount: Worauf werden Sie heuer in der Markenkampagne den Fokus setzen?

Thumser: Wir versuchen, eine gewisse Trendanpassung zu erreichen. Zudem haben wir der Kampagne ein neues Motto verpasst. Früher haben wir appelliert. Da hieß es: "Achten Sie auf die Marke!" Mit der Zeit war uns das zu distanziert. Darum wurde der Claim in "Achte auf die Marke!" geändert. Heuer sagen wir selbstbewusst: "Die Marke macht's! Das Original." Die Botschaft ist klar: Wir Markenartikler bieten den Konsument:innen die Freude, den Genuss, die Sicherheit und die Wahlfreiheit. Der letzte Punkt ist mir besonders wichtig. Im Unterschied zur Eigenmarke garantiert die Marke den Konsument:innen eine Wahlfreiheit. Und noch etwas: Die wirkliche Herkunft und die Herstellergarantie gibt es bei der Marke. Bei den Eigenmarken ist der Hersteller manchmal drauf, manchmal nicht.

KEYaccount: Das Thema Konsumzurückhaltung hängt wie ein Damoklesschwert über dem Jahr 2025. Was können die Markenartikler hier machen, um diesem Trend entgegenzuwirken?

Thumser: Das Problem der Konsumzurückhaltung wird die Industrie nicht allein stemmen können. Alle werden gemeinsam daran arbeiten müssen: die Industrie, der Handel, die Medien und die Politik. Leider empfindet ein großer Teil der Bevölkerung die Situation im Land schlechter als sie tatsächlich ist. Unseren Wohlstand hätten die meisten Länder gerne. Wir sind eines der weltweit wohlhabendsten Länder und verfügen über ein Sozialsystem, das alle Stückchen spielt. Trotzdem hören die Menschen seit einigen Jahren, dass alles fürchterlich teuer ist. Viele glauben daran und kaufen deshalb nur mehr die billigsten Produkte, um zu sparen. Das zerstört die Freude am Einkaufen und genau darunter leiden sowohl die Hersteller als auch der Handel. Die Daten der Statistik Austria zeigen aber, dass die Kaufkraft auch dank der hohen Lohn- und Gehaltsabschlüsse erhalten wurde. Auch die Inflationszahlen der letzten Monate waren nicht mehr besorgniserregend.

KEYaccount: Einzig die Arbeitslosenzahlen haben zuletzt wieder zugenommen und bereiten den Expert:innen Sorgen.

Thumser: Das stimmt, aber man muss auch sehen, was sich hinter den absoluten Zahlen verbirgt. Unter anderem ein sehr hoher Anteil an Langzeitarbeitslosen. Das ist ein Problem. Da helfen Schulungen allein nicht, da benötigt es andere Anreize.

KEYaccount: Mit Anreizen meinen Sie eine Verschärfung der bestehenden Regeln?

Thumser: Weniger eine Verschärfung als eine Besserstellung, wenn man arbeitslos wird. 55 Prozent des Verdienstes zu bekommen, ist anfangs zu wenig. Ich halte es für falsch, jahrelang 55 Prozent zu bekommen.

KEYaccount: Bleiben wir beim Thema Politik. Österreich soll schon bald eine neue Regierung bekommen. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind sie gegen das Schlechtreden des Landes. Nun wird wahrscheinlich jene Partei den Kanzler stellen, die im Wahlkampf vieles schlechtgeredet hat. Ist das nicht genau das Gegenteil von dem, was sie fordern?

Thumser: Diese Partei wird endlich Verantwortung übernehmen müssen. Die Frage wird sein, ob sie das Schlechtreden nicht einstellen wird müssen. Ich kann nicht den Bundeskanzler stellen und gleichzeitig alles schlechtreden. Das wird nicht funktionieren.

KEYaccount: Was erwarten Sie sich als Vertreter der Industrie von der kommenden Regierung?

Thumser: Man sollte nicht noch mehr Geld ins Volk schütten. Wir haben bereits jetzt eine Staatsquote von über 50 Prozent. Das kann nicht gut gehen. Wir müssen zurück zu mehr Selbstbewusstsein. Leistung muss sich wieder lohnen. Darum benötigen wir Steuersenkungen. Am liebsten wäre mir, wenn etwa Überstunden ganz steuerbefreit würden. Das wäre die schönste Belohnung für alle arbeitswilligen Menschen.

KEYaccount: Mit Steuersenkungen allein wird man das Budget nicht sanieren. Woher soll ihrer Meinung nach das Geld kommen?

Thumser: Der Klimabonus muss gestrichen werden. Auch die zusätzliche CO₂-Steuer, die seit Jahresbeginn gilt, ist kontraproduktiv. Das aktuelle System der Bildungskarenz sollte ebenfalls hinterfragt werden. Ich bin zwar nicht sehr optimistisch, aber doch begrenzt optimistisch, dass diese Regierung das besser hinbekommen wird als jene Parteienkonstellation, die im Herbst vergeblich verhandelt hat.

KEYaccount: Einen internationalen Reputationsschaden befürchten Sie nicht, wenn eine Partei den Bundeskanzler stellt, der immer wieder eine gewisse Russland-Nähe nachgesagt wird?

Thumser: Russland ist ein wunder Punkt, genauso wie das Thema Landesverteidigung und das Thema EU. Wenn sich die beiden Parteien erfolgreich annähern, ist meine Hoffnung, dass die Extrempositionen der FPÖ nicht die Extrempositionen der Regierung sein mögen.

KEYaccount: Kehren wir abschließend zum Branchengeschehen zurück. Der Streit zwischen Spar und der NÖM schlägt seit Wochen hohe Wellen. Ist dieser Konflikt symptomatisch für das aktuelle Verhältnis zwischen Handel und Industrie?

Thumser: Das ist ein typisches Signal der hohen Konzentration am heimischen FMCG-Markt. Von einem Gleichgewicht in den Verhandlungen sind mir inzwischen meilenweit entfernt. Drei Handelsunternehmen decken in Österreich circa 86 Prozent des Lebensmittelhandels ab. Dieses extreme Ausleben der Macht hat sich durch Corona und in den Jahren seither massiv verschärft. Dadurch sind die Gespräche mit dem Handel unglaublich schwierig geworden. Das Wachstum der Eigenmarken hat deutlich an Dynamik gewonnen, was das Ungleichgewicht weiter verstärkt hat. Inzwischen muss man schon in mittelgroßen Supermärkten froh sein, wenn in manchen Kategorien überhaupt noch ein Markenprodukt im Regal steht.

KEYaccount: Sie zeichnen das Bild eines mächtigen Handels, dem die Lieferanten oft ausgeliefert sind. Die NÖM gibt im Streit mit Spar aber auch nicht klein bei … 

Thumser: Es wird kein Zufall sein, dass ausgerechnet die NÖM sich wehrt. Wenn man sich ansieht, wer wirklich Widerstand leistet, dann sind es entweder globale Konzerne oder wie im Fall der NÖM ein Unternehmen, das in Österreich mit einem sehr dominanten Hintergrund versehen ist.

KEYaccount: Abschließende Frage: Wie beurteilen Sie die derzeitige Rabattpolitik der großen Handelsketten?

Thumser: Die Aktionitis hat sich zuletzt noch einmal verdichtet. Die Konsequenzen für die Hersteller sind schlimm. Denn so entsteht bei den Konsument:innen der Eindruck, dass jedes Produkt einmal in einem absehbaren Zeitraum zu einem Aktionspreis erhältlich sein wird. Der LEH stellt Aktionen so dar, als wären diese eine großzügige Geste des Handels in Richtung der Konsument:innen. Dabei ist es das letzte Stückchen Fett am Fleisch, das den Herstellern noch geblieben ist. Wenn ich ganze Kategorien übers Wochenende mit minus 25 Prozent rabattiere, dann ist das nur mehr ein Verlustgeschäft für die Hersteller.

www.mav.at

Anmeldung zum KEYaccount Newsletter

KEYACCOUNT


Die erste KEYaccount Ausgabe by LEADERSNET erscheint am 24. Jänner 2025.

KOSTENFREI DIGITAL LESEN - KEINE PAYWALL



Anmeldung zum KEYACCOUNT-Newsletter

Melden Sie sich ganz einfach an:
👉 Online unter: https://leadersnet.at/newsletter/
👉 Alternativ per E-Mail: Senden Sie uns eine Nachricht an office@leadersnet.at mit dem Betreff "KEYaccount Newsletter anlegen".

Kommentar veröffentlichen

* Pflichtfelder.

Anmeldung zum KEYaccount Newsletter

KEYACCOUNT


Die erste KEYaccount Ausgabe by LEADERSNET erscheint am 24. Jänner 2025.

KOSTENFREI DIGITAL LESEN - KEINE PAYWALL



Anmeldung zum KEYACCOUNT-Newsletter

Melden Sie sich ganz einfach an:
👉 Online unter: https://leadersnet.at/newsletter/
👉 Alternativ per E-Mail: Senden Sie uns eine Nachricht an office@leadersnet.at mit dem Betreff "KEYaccount Newsletter anlegen".

leadersnet.TV