Interview mit Hermann Erlach
"Österreich bringt derzeit einige der innovativsten KI-Anwendungsfälle hervor"

| Redaktion 
| 02.04.2025

Am 4. April 2025 wird Microsoft 50 Jahre alt. Anlässlich des Jubiläums spricht Hermann Erlach, CEO von Microsoft Österreich, im LEADERSNET-Interview über die digitale Zukunft Österreichs. Dabei erklärt er, wie der Weg in eine KI-getriebene Wirtschaft aussieht, welche Chancen sich für heimische Firmen ergeben, was es mit der "KI-Factory" in Wien auf sich hat und wie die Technologie hierzulande bereits eingesetzt wird.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Erlach, Microsoft-Gründer Bill Gates sagte einmal: "Wir überschätzen immer den Wandel, der in den nächsten zwei Jahren stattfinden wird, und unterschätzen den Wandel, der in den nächsten zehn Jahren eintreten wird." Welche Veränderungen sehen Sie für Österreich in den kommenden zehn Jahren durch Künstliche Intelligenz (KI)?

Hermann Erlach: Bill Gates startete vor 50 Jahren mit der ehrgeizigen Vision, einen Computer auf jedem Schreibtisch und in jedem Zuhause zu haben. Ich denke, wir können heute sagen, dass diese Vision Wirklichkeit geworden ist. Microsoft hat die Art und Weise verändert, wie wir als Gesellschaft Technologie nutzen. Der Wandel durch KI wird ebenfalls tiefgreifende Auswirkungen haben – global, aber auch in Österreich, wo wir seit fast 35 Jahren mit einer eigenen Niederlassung präsent sind. Wir sehen KI dabei nicht nur als Werkzeug, sondern als die nächste Basistechnologie. Ähnlich wie das Internet oder die Elektrizität wird auch KI neue Geschäftsmodelle und neue Innovationen ermöglichen. Für uns als Microsoft Österreich bedeutet das: Wir möchten heimische Unternehmen auf dem Weg der digitalen Transformation begleiten. Indem wir auf Partnerschaften und praxisnahe Beispiele setzen, wollen wir gemeinsam daran arbeiten, dass Österreich nicht nur Teil des Wandels ist, sondern ihn in den nächsten Jahren aktiv mitgestaltet.

LEADERSNET: Wo stehen wir in Österreich aktuell in Sachen KI und was braucht es, damit wir international wettbewerbsfähig bleiben?

Erlach: Österreich bringt derzeit einige der innovativsten KI-Anwendungsfälle hervor. Die Supermarktkette Spar nutzt KI, um die Nachfrage nach Obst und Gemüse in den Filialen zu prognostizieren – und weniger wegwerfen zu müssen. Der Baukonzern Strabag nutzt KI-basierte Risikomanagementsysteme, um besser zu prognostizieren, welche Bauprojekte sich zu wirtschaftlichen Fehlschlägen entwickeln könnten. Die Firma Andritz optimiert mit KI-gestützter Steuerung seine Industrieprozesse und ermöglicht eine ressourcenschonende, autonome Anlagenführung. Die Uniqa Versicherung erreicht durch den Einsatz eines KI-Tarifbots eine Aufwandreduzierung von ca. 50 Prozent bei der Suche und Beantwortung von Tariffragen im Tagesgeschäft. Und der Hera Space Companion, den wir gemeinsam mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA, Terra Mater und dem österreichischen Start-up Impact AI gebaut haben, ermöglicht es, direkt mit der Hera-Raumsonde zu interagieren, Fragen zu stellen und die Mission in Echtzeit zu verfolgen. Die Liste der Anwendungsfälle in Österreich ist lang und zeigt, dass KI kein Zukunftsszenario ist, sondern die Transformation über alle Branchen hinweg bereits heute stattfindet. Wir haben alle Voraussetzungen, um als Wirtschaftsstandort von KI zu profitieren und international wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Technologie ist da, wir haben das Know-how, der nächste Schritt ist jetzt, in eine breite Umsetzung zu gehen.

LEADERSNET: Eine aktuelle Studie prognostiziert, dass generative KI das österreichische BIP bis 2035 um bis zu 40 Milliarden Euro steigern könnte. Wie bereitet Microsoft Österreich Unternehmen auf diese enorme wirtschaftliche Chance vor?

Erlach: Das deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie, die wir letztes Jahr gemeinsam mit Christian Helmenstein vom Economica Institut veröffentlicht haben: Unsere Datenpunkte sagen, dass KI die Wertschöpfung in Österreich in den nächsten zehn Jahren um bis zu 18 Prozent steigern kann. Das würde der gesamten wirtschaftlichen Leistung von Wien und der Steiermark zusammen entsprechen. Gemeinsam mit unserem österreichischen Netzwerk von 4.500 Partnerunternehmen arbeiten wir eng mit unseren Kunden zusammen, um dieses Potenzial zu hebeln und konkrete KI-Anwendungsfälle zu entwickeln. Mit der "AI Innovation Factory" bei uns am Wiener Standort haben wir zudem einen Raum geschaffen, der Unternehmen und Partner untereinander vernetzt, um voneinander zu lernen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Weitere Standorte gibt es bereits in Italien, Portugal, Spanien, Schweden oder Norwegen. Das Schöne daran: Wir können dadurch auch von internationalen Best Practices lernen, uns inspirieren lassen und die besten Lösungen gemeinsam lokal umsetzen. Dieser Wissenstransfer ist entscheidend, um den Einsatz von KI gemeinsam verantwortungsvoll zu entwickeln. Die Eröffnung unserer Rechenzentrumsregion rund um Wien im Sommer ist ein weiterer Baustein, um die digitale Transformation in Österreich zu beschleunigen.

LEADERSNET: Österreich gilt als Land der KMU – über 99 Prozent aller Unternehmen sind kleine und mittlere Betriebe. Wie können speziell diese Unternehmen von KI profitieren? Haben Sie ein Beispiel für ein Unternehmen, das durch KI bereits einen echten Wettbewerbsvorteil erzielen konnte?

Erlach: Gerade KMU können massiv von KI profitieren. Das ist auch einer der Aspekte, die mich am meisten an der Technologie faszinieren: KI macht Innovation für alle zugänglich. KMU können generative KI nutzen, ohne dass sie Data Scientists einstellen, Algorithmen trainieren oder teure Hardware und Infrastruktur betreiben müssen. Stattdessen können sie KI-Funktionen einfach als Dienstleistung in Anspruch nehmen. Natürliche Sprachschnittstellen senken die Einstiegshürden, denn generative KI wird durch die intuitive Bedienung über menschliche Sprache zugänglich. Mit Low-Code-Tools wie Copilot Studio oder Produkten mit integrierter KI, wie z. B. unser Copilot, können KMUs KI nahtlos in ihre Prozesse integrieren. Ein Beispiel ist die EOS Steuerberatung und Wirtschaftstreuhand, die durch die Umsetzung der Tax Advisor Platform zusammen mit dem Partner base-it mit unserem Visionary Award ausgezeichnet wurde. Konkret führt der Einsatz von Copilot im täglichen Arbeiten zu einer Verbesserung der Wertschöpfung an der Schnittstelle zwischen Mensch und Technologie. So entsteht durch das "Zuarbeiten" von KI-Agenten eine verbesserte Beratungsqualität.

LEADERSNET: Sie haben einmal gesagt: "KI muss Chefsache werden". Wie überzeugen Sie skeptische Führungskräfte von der Notwendigkeit, sich mit Künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen?

Erlach: Damit eine Transformation im Unternehmen gelingen kann, muss KI Visibilität auf Führungsebene haben, von dieser verstanden und unterstützt werden. In meinen Gesprächen fokussiere ich mich auf den praktischen Nutzen von KI anhand greifbarer Beispiele. Was sehen wir bereits am Markt, was gibt es international für Best Practises, und wie kann man das Existierende nutzen, um Einsatzmöglichkeiten im eigenen Unternehmen zu identifizieren? Workshops und Austauschformate – zum Beispiel auch in unserer AI Innovation Factory – können dazu beitragen, eine Vision zu entwickeln, um gemeinsam rasch in die Umsetzung zu kommen und konkrete Anwendungsfälle zu entwickeln.

LEADERSNET: Eine aktuelle Studie zeigt, dass drei von vier österreichischen Führungskräften KI als essenziell für ihre Zukunft sehen – aber viele wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Was raten Sie Unternehmen, die in die Welt der Künstlichen Intelligenz einsteigen wollen?

Erlach: Ich empfehle Neugierde! Ich rate dazu, sich von anderen inspirieren zu lassen, gemeinsam auszuloten, welche Prozesse und Bereiche es im Unternehmen gibt, bei denen KI helfen kann, und einen Ausgangspunkt sauber zu formulieren. Wichtig sind auch der Mut zur Veränderung, eine entsprechende Unternehmens- und Lernkultur, eine klare Strategie und ein unterstützendes Schulungskonzept für Mitarbeitende, um alle mitzunehmen. Letztlich kann eine Transformation nur von allen gemeinsam realisiert werden. Aber ich bin mir sicher: Mit Offenheit und einer klaren Zielsetzung wird der Einstieg in die Welt der KI gelingen.

LEADERSNET: Albert Einstein vertrat die Ansicht, dass Fantasie wichtiger als Wissen sei, denn Wissen sei begrenzt. Wie fördern Sie Kreativität und Innovation in Ihrem Team bei Microsoft Österreich?

Erlach: Unser CEO Satya Nadella hat in den letzten Jahren eine Unternehmenskultur geprägt, die wir "Growth Mindset" nennen. Das bedeutet, dass wir neugierig sind, aus Fehlern lernen und uns kontinuierlich verbessern möchten. Diese Kultur des offenen Austauschs fördert Kreativität und Innovation. Ich ermutige meine Teams, neue Ideen einzubringen und experimentell zu denken, zusammen an Lösungen zu arbeiten und viele unterschiedliche Perspektiven einzuholen. Wir glauben fest an die Kraft von Kollaboration. Zudem unterstützen wir eine kontinuierliche Lernbereitschaft durch Schulungen und Workshops, um sicherzustellen, dass alle Mitarbeitende Zugang zu den neuesten technologischen Entwicklungen haben. Innovation entsteht dort, wo Menschen sich entfalten und ihre Potenziale voll ausschöpfen können. So ein Umfeld zu schaffen, liegt uns bei Microsoft Österreich besonders am Herzen.

LEADERSNET: Sie selbst sind seit über 20 Jahren in der Tech-Branche aktiv. Gab es einen bestimmten Moment oder eine Innovation, die Sie persönlich am meisten fasziniert oder inspiriert hat?

Erlach: Ich glaube, dass wir gerade jetzt eine der spannendsten Zeiten erleben, wenn es um Technologie geht. Innovationen und Technologien, die jeden Aspekt der Wirtschaft transformieren, hat es in regelmäßigen Abständen gegeben. KI ist die nächste Basistechnologie, die diese Transformation vorantreibt. Zudem handelt es sich bei KI um eine exponentielle Technologie. Ihr Fortschritt übertrifft das Mooresche Gesetz – die Beobachtung, dass sich die Rechenleistung alle zwei Jahre verdoppelt, während die Kosten sinken. Bei KI verdoppelt sich die Rechenleistung nicht alle zwei Jahre, sondern alle sechs Monate. Ich habe in meiner Laufbahn noch nie erlebt, dass Technologien gleichzeitig beide Merkmale aufweisen. Umso spannender ist es, gemeinsam mit meinem Team sowie unseren Kunden und Partnern die Zukunft im Land mitgestalten zu dürfen.

www.microsoft.com

Zur Person

Wenn man mit Hermann Erlach spricht, spürt man sofort die Leidenschaft für digitale Transformation. Seit Mai 2021 steht der gebürtige Osttiroler an der Spitze von Microsoft Österreich. Und somit in einer Zeit, in der künstliche Intelligenz unsere Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändern wird.

Mit über 20 Jahren Erfahrung in internationalen Technologie- und Beratungsunternehmen verbindet Erlach technische Expertise und strategischen Weitblick.

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Wenn man mit Hermann Erlach spricht, spürt man sofort die Leidenschaft für digitale Transformation. Seit Mai 2021 steht der gebürtige Osttiroler an der Spitze von Microsoft Österreich. Und somit in einer Zeit, in der künstliche Intelligenz unsere Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändern wird.

Mit über 20 Jahren Erfahrung in internationalen Technologie- und Beratungsunternehmen verbindet Erlach technische Expertise und strategischen Weitblick.

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