Die westlichen Zentralbanken haben seit der Jahrtausendwende, einschließlich der Europäischen Zentralbank (EZB), Geld in die Märkte hineingesteckt, um auf diverse wirtschaftliche Herausforderungen zu reagieren. Ergänzt durch weitere Effekte, führte das zu einem markanten Anstieg der Immobilienpreise und entfachte die Inflation.
Als Gegenmaßnahme haben die Institutionen die Leitzinsen erhöht. Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 4,25 Prozent (LEADERSNET berichtete). Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass diese schnellen Veränderungen viele Projektentwickler:innen in Bedrängnis brachte und der Immobilienmarkt schwer getroffen wurde.
Infina, Plattform für Banken und Bausparkassen sowie Experte für Wohnbau-Finanzierungen, hat in diesem Umfeld die Entwicklungen auf dem österreichischen Immobilienmarkt analysiert. Die aktuellen Daten deuten darauf hin, dass der Immobilienmarkt langsam ausatmet. Laut Infina könnte das in Europa ein Zyklus sein, der über Jahre andauert. Es gibt zwar erste Anzeichen einer möglichen Beruhigung, doch die Unsicherheit bleibt bestehen.
Nervosität in der Branche
Die duale Ausrichtung Europas und im Speziellen Österreichs, auf der einen Seite die engen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und Osteuropa und auf der anderen Seite die Orientierung an westlichen Wirtschafts- und Geldpolitikmodellen, vor allem denen der USA, führt aktuell zu negativen Einflüssen aus beiden Richtungen, die sich durch hohe Energiekosten und komplexe wirtschaftliche Nachteile bemerkbar machen. In dieser Lage hat die Geldpolitik der EZB einen starken Einfluss auf den österreichischen Immobilienmarkt.
Zusätzliche lokale Faktoren können diese Auswirkungen in Österreich entweder verschärfen oder mildern. Infina hat die möglichen Implikationen dieser Krise auf gewerbliche Kredite und deren Einfluss auf die private Wohnbau-Finanzierung untersucht. Dabei sei eine steigende Nervosität in der Baubranche und unter den Immobilienmakler:innen laut Christoph Kirchmair, CEO von Infina, zu beobachten. "Im Bankensektor wird zwar mit einer Zunahme der NPL-Rate gerechnet, aber aufgrund der derzeitigen Ertragssituation herrscht noch eine relative Gelassenheit", so der Experte.
Belastungen für Österreichs Kreditmarkt
Die expansive Geldpolitik der EZB, die Krisen seit dem Jahr 2000 bekämpfte, ohne die Geldmenge anschließend zu reduzieren, erweist sich nun als problematisch. Die ursprünglich günstigen Zinskredite sind laut dem Experten bei variabler Verzinsung nun teuer geworden. Hierzulande sind 75 Prozent der Gewerbekredite und 43 Prozent der Wohnbaukredite variabel verzinst. Laut dem Financial Stability Report der Österreichischen Nationalbank (OeNB) vom Juni 2024 liegt der Anteil variabel verzinster Wohnbaukredite in Österreich mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnitt im Euroraum.
Vor weiteren Herausforderungen steht darüber hinaus auch der Gewerbemarkt. Bis Ende nächsten Jahres stehen Kredite in Höhe von 46 Milliarden Euro zur Verlängerung an. Bleibt die Kombination aus hohen Zinsen und schwacher Wirtschaft bestechen, würde Insolvenzen drohen. Coface stuft seit dem zweiten Quartal 2024 die österreichische Bauwirtschaft als sehr hohes Risiko ein und bezeichnet sie zudem als das Sorgenkind des Landes.
Entwicklung EZB-Leitzins und Geldmenge M3 – Jahr 2000 bis 2024 © Infina
Wien zeigt Stabilität auf dem Büromarkt
In der Bundeshauptstadt zeigt sich beim Büroimmobilienmarkt eine Stabilität. Die Leerstandsquote lag laut Daten von Statista im Jahr 2023 bei 3,8 Prozent, während die jüngsten Untersuchungen des Vienna Research Forums im ersten Halbjahr 2024 sogar einen Rückgang auf 3,5 Prozent verzeichnen. Damit zeigt sich die Attraktivität und Widerstandsfähigkeit Wiens, im Vergleich zu den steigenden Leerstandsraten in anderen europäischen und US-amerikanischen Märkten. Im gleichen Atemzug erlebt der österreichische Markt für Zinshäuser eine Abschwächung. Das Transaktionsvolumen fiel im Jahr 2023 um 57 Prozent auf nur 260 Verkäufe. Aktuelle Analysen des EHL Marktberichts weisen darauf hin, dass die Preise momentan 20 bis 25 Prozent unter den Spitzenwerten von 2022 liegen, mit einer weiteren erwarteten Preisreduktion von etwa zehn Prozent für das Gesamtjahr 2024.
Steigende Insolvenzen
Angesichts der wachsenden Herausforderungen im Immobiliensektor zeigt der Unternehmenssektor in Österreich alarmierende Trends. Laut einer aktuellen Analyse des Kreditschutzverbandes von 1870 stiegen die Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2023 um 13 Prozent auf insgesamt 5.380 Fälle an (LEADERSNET berichtete). Besonders bemerkenswert ist der Anstieg der Insolvenzen, die auf operative Mängel wie Absatzschwächen, unzureichende Kostenstrukturen, Finanzierungsprobleme und mangelhaftes Controlling zurückzuführen sind. Diese machen nun 37,1 Prozent aller Fälle aus, ein Anstieg um 8,1 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Diese Entwicklung könnte weitreichende Auswirkungen auf den Gewerbeimmobilienmarkt haben, insbesondere auf den Sektor der Büroimmobilien. Trotz der bisher stabilen Leerstandsquote bei Büroimmobilien in Österreich, die im ersten Halbjahr 2024 bei 3,5 Prozent lag, könnte diese Entwicklung die bisherige Widerstandsfähigkeit des Marktes mittelfristig stark herausfordern. Insbesondere da im ersten Halbjahr 2024 die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen mit 3.298 Fällen erneut deutlich zugenommen hat, steht der Büromarkt vor erheblichen Herausforderungen.
Entwicklung Wohnbau- und Gewerbekredite – Neugeschäft in Österreich seit 01.01.2022 © Infina
Wohnimmobilienmarkt zeigt unterschiedliche Dynamiken
Trotz hoher Zinsen und geringer Nachfrage zeigen sich die Preise für Neubauten in erstklassigen Lagen stabil bis moderat steigend. Im Juni 2024 erreichte der Baukostenindex für den Wohnhaus- und Siedlungsbau mit 286,5 Punkten einen neuen Rekordwert. Im Speziellen ist laut Infina der Anstieg der Lohnkosten, die von April auf Mai 2024 um weitere 5,3 Prozent zugenommen haben.
Der 1. Österreichische Neubaubericht des Fachverbandes Immobilien- und Vermögenstreuhänder der WKO prognostiziert trotz der anhaltend hohen Baupreise für das Jahr 2024 einen Rückgang der Neubauleistung um zehn Prozent und ab 2025 einen dramatischen bundesweiten Einbruch um bis zu 80 Prozent.
Bei gebrauchten Wohnimmobilien in Österreich zeigt eine deutliche Differenzierung. Für das heurige Jahr prognostiziert Remax Real Estate Future Index einen Anstieg des Immobilienangebots und einen Wertverlust von 3,8 Prozent bei Wohnungen in zentralen Lagen. Noch stärker betroffen seien Stadt- und Zinshäuser sowie Eigentumswohnungen in Landgemeinden, bei denen Wertverluste von 7,0 Prozent bzw. 6,2 Prozent erwartet werden.
"Die prognostizierten Trends bestätigen sich in unseren jüngsten Beobachtungen, sowohl in unserem Kerngeschäft der Finanzierung als auch durch die Rückmeldungen unserer Partner im Immobilienbereich. Die Preisreduktionen sind bereits deutlich spürbar", unterstreicht Christoph Kirchmair die Relevanz dieser Daten.
Rückgang der Immobilientransaktionen beeinträchtigt Neugeschäft
Der deutliche Rückgang im Neugeschäft hat nun auch zu einem Sinken des Bestandsvolumens bei Wohnbaukrediten geführt. Bis zum Ende des ersten Halbjahres 2024 sank dieses Volumen laut Angaben der Österreichischen Nationalbank auf 130,0 Milliarden Euro, im Vergleich zu 132,1 Milliarden Euro im Jahr 2023 und 135,4 Milliarden Euro im Jahr 2022.
Auch das Volumen der Neugeschäfte in der privaten Wohnbau-Finanzierung konnten keinen positiven Trend verzeichnen. Aufgrund der Kombination aus hohen Zinsen und gestiegenen Neubaukosten, verschärft durch die KIM-Verordnung, werden viele Wohnprojekte finanziell unerschwinglich.
Das Bestandsvolumen bei Gewerbeimmobilien verzeichnet im Gegensatz trotz des Rückgangs im Neukreditvolumen im Jahr 2023 einen Anstieg.
Entwicklung Wohnbau- und Gewerbekredite – Bestandsgeschäft in Österreich seit 01.01.2022 © Infina
Gemeinsam handeln
"Die Luft aus dem Immobilienmarkt in Österreich entweicht langsam, aber stetig", sagt Kirchmair und ergänzt: "Angesichts der erhöhten Inflation durch den Osten Europas und steigender Kosten für Baustoffe, Baulöhne sowie Energie, stehen wir vor großen Herausforderungen. Zusätzlich sind die Erträge österreichischer Banken in Russland derzeit schwer transferierbar, während im Westen, vor allem in den USA, das Zinsniveau aufgrund einer robusten Wirtschaft hoch bleibt."
Laut Infina könnte sich die Situation im österreichischen Markt bis 2027 verbessern, jedoch nur, wenn Banken, Politik und Wirtschaftssektor gemeinsam handeln.
www.infina.at
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