WU-Studie
Unfreiwillig befristete Beschäftigung drückt Löhne stärker als gedacht

| Redaktion 
| 15.07.2024

Eine Studie hat das Rätsel gelöst, warum das Einkommenswachstum in Europa lange niedriger war als prognostiziert.

Wenn Arbeitnehmer:innen nur einen befristeten Vertrag bekommen, obwohl sie eigentlich unbefristet arbeiten möchten, spricht man von unfreiwilliger befristeter Beschäftigung. Diese Art der Beschäftigung kommt in Europa immer häufiger vor. Forscher:innen von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) konnten nun nachweisen, dass das negative Auswirkungen auf das Lohnwachstum hat.

"Rätsel wurde gelöst"

"Warum die Löhne in Europa im Verlauf der 2010er Jahre langsamer gestiegen sind, als die Prognosen vorhergesagt haben, war lange ein Rätsel", sagt Lukas Lehner vom WU Forschungsinstitut "Economics of Inequality".

Der WU-Forscher hat in Zusammenarbeit mit Paul Ramskogler und Aleksandra Riedl von der OeNB nun dieses Rätsel gelöst. Sie haben die Lohnentwicklung in 30 europäischen Staaten in den Jahren 2004 bis 2017 untersucht und konnten dabei erstmals zeigen, dass ein Anstieg unfreiwilliger befristeter Beschäftigungsverhältnisse das Lohnwachstum im gleichen Maße drückt wie ein Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Arbeitslosigkeit und Lohnwachstum

In der Ökonomie ist der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit schon lange bekannt: Je niedriger die Arbeitslosigkeit ist, desto stärker steigen die Löhne. "Aus ökonomischer Sicht kann man Arbeitslose mit Ersatzspieler:innen bei einer Fußballmannschaft vergleichen", sagt Lehner und fügt hinzu: "Mit einer größeren Ersatzbank steigt der Konkurrenzdruck in einer Mannschaft, und damit werden Lohnverhandlungen schwieriger. Unsere Studie zeigt, dass neben den Arbeitslosen auch die unfreiwillig befristet Beschäftigten auf der Ersatzbank Platz genommen haben."

Spezialfall Österreich

Die Expert:innen sind sich einig, wie stark dieser Konkurrenzdruck und damit der Druck auf die Löhne ist, hänge von den Institutionen in den jeweiligen Ländern ab. Je stärker sich Arbeitnehmer:innen bei den Lohnverhandlungen koordinieren, desto niedriger ist dieser Wettbewerbseffekt und damit der Einfluss auf das Lohnwachstum.

In Spanien oder Polen, wo unter 20 Prozent der Beschäftigten in Gewerkschaften organisiert sind, ist er sehr deutlich spürbar, in den skandinavischen Ländern, wo über 40 Prozent in Gewerkschaften sind, dafür kaum. "Österreich ist hier ein Spezialfall, weil es eine sehr hohe Abdeckung von Kollektivverträgen und koordinierte Lohnverhandlungen gibt", so Lehner. Dadurch sei dieser Effekt auch in Österreich kaum ausgeprägt – "in Summe überwiegt in Europa aber der Wettbewerbseffekt", sagt der Experte.

Unbefristeter Vertrag 

Der durchschnittliche Anteil unfreiwilliger befristeter Beschäftigungsverhältnisse in Europa lag 2017 bei 5,5 Prozent und damit nur mehr leicht unter der durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 7,4 Prozent. Mit Covid und dem anschließend einsetzenden Aufschwung haben sich die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt allerdings geändert: "Durch den derzeit herrschenden Arbeitskräftemangel müssen Unternehmen wieder um Personal konkurrieren", erklärt Lukas Lehner. Dadurch sei der Anteil befristeter Arbeitsverträge deutlich gesunken. "Gleich einen unbefristeten Vertrag anzubieten, ist derzeit ein beliebtes Goodie, um Arbeitskräfte zu binden", so Lehner. 

"Wenn wir Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt eindämmen wollen, sind starke und möglichst inklusive Arbeitsmarktinstitutionen, wie wir sie in Österreich mit der Sozialpartnerschaft haben, ein großer Vorteil", sagt Lehner abschließend.

www.wu.ac.at

www.oenb.at

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