Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Kompromisse

| Redaktion 
| 14.07.2024

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

In der Euphorie rund um die Fußball-EM – die ja nun leider sowohl für die österreichische als auch für die deutsche Mannschaft viel zu bald zu Ende ging – ist es vielleicht untergegangen, doch mich hat in den letzten Tagen vor allem das erste Fernsehduell der beiden Präsidentschaftskandidaten Trump und Biden zutiefst schockiert. Lassen wir einmal außen vor, dass hier zwei wirklich alte weiße Männer um das höchste und wichtigste Amt der Welt kandidieren. Dieses Fernsehduell hat zumindest einen großen Verlierer: die Demokratie. Vielleicht widme ich mich diesem Thema zukünftig in einem Gastkommentar, wenn sich meine diesbezügliche Aufregung wieder etwas gelegt hat. Heute möchte ich mich jedoch einem in diesem Zusammenhang durchaus wichtigen Thema widmen, das mich leider auch nicht weniger ärgert: dem Kompromiss.

Die von mir hochgeschätzte frühere Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, meinte kürzlich in einem Kurier-Interview: "Seit Jahren wird der Kompromiss madig gemacht." Ich bin da etwas anderer Ansicht: Ich glaube, dass an vielen Miseren, die wir heute haben, der – wohlgemerkt falsche! – Kompromiss schuld ist und daher zu Recht kritisiert wird.

Was bedeutet Kompromiss?

Aber wie immer, das kennen meine geneigten Leser:innen ja schon, lassen Sie uns von vorn anfangen: Was bedeutet Kompromiss? Die grundsätzliche Definition ist "Übereinkunft, Einigung durch gegenseitige Zugeständnisse". Im politischen Kontext bedeutet dies, dass jede Partei ein Stück ihrer eigenen Vorstellungen aufgeben muss, damit eine Einigung mit den anderen Parteien zustande kommt. Leider greift diese Definition, glaube ich, zu kurz. Denn nicht umsonst gibt es den Ausdruck "faule Kompromisse". Ich glaube, diese zielen auf den Inhalt eines Kompromisses ab, aber auch darauf, dass zu schnell die eigenen Prinzipien, Meinungen und berechtigte Argumente aufgegeben werden, um Macht auszuüben oder um Ruhe zu haben. Österreich ist dabei das Land der Kompromisse, was schon – leider – die Sozialpartnerschaft bedingt. Ich bin der festen Überzeugung, dass in Deutschland und Österreich, aber auch in der EU insgesamt, die jetzige schlechte wirtschaftliche Lage, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, das Wachsen der politischen Extremen und die gedämpfte Stimmung unter anderem auf solche faulen Kompromisse zurückzuführen sind.

Lassen Sie mich dies an ein paar Beispielen erläutern: Die Schwarz-Grüne Regierung ist mit dem Konzept "Das Beste aus zwei Welten", also einem absoluten Kompromiss, angetreten, von dem man retrospektiv durchaus sagen kann, dass er total gescheitert ist. Die ÖVP hat hier – Gott sei Dank – zumindest versucht, das Schlimmste zu verhindern. Trotzdem hat sich nur die Verschuldung erhöht, und Österreich ist in fast keinem Punkt vorangekommen. Warum nehmen die Bürokratie und Berichtspflichten so zu? Dazu fällt mir sofort ein Beispiel ein: Auf EU-Ebene werden bei Direktiven Kompromisse über deren Inhalt geschmiedet, und jenen, die "nachgeben", wird als Zugeständnis angeboten, Berichtspflichten zusätzlich zu regeln, mit der daraus wachsenden überbordenden Bürokratie. Oder schauen wir uns die letzten Kollektivvertragsverhandlungen an: Der sogenannte Kompromiss resultierte in den höchsten Lohnsteigerungen in der ganzen EU. So sehr ich dies jeder und jedem Einzelnen gönne, so belastend ist dies auf Dauer für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze.

Wie soll ein Kompromiss aussehen?

Wie soll ein Kompromiss aussehen, wenn jemand eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich fordert, wir aber wissen, dass wir mehr und günstiger arbeiten müssen werden? Griechenland hat soeben die 6-Tage-Woche eingeführt. Soll es dann eine 35-Stunden-Woche sein? Oder wenn jemand eine Vermögens- und Erbschaftssteuer einführen will – soll der Kompromiss dann sein, dass eine mildere Form dieser Steuern eingeführt wird?

Die Beispiele ließen sich unendlich weiterführen. Was will ich damit sagen? Sind Kompromisse schlecht? Nein, aber was sich geändert hat, ist, dass in der Politik und Wirtschaft zu schnell auf Prinzipien – und ja, ich würde sogar sagen, Rückgrat – verzichtet wird, um falsche Kompromisse zu schließen. Wir müssen wieder zur Erkenntnis zurückkehren, dass der Kompromiss nicht immer die beste Lösung ist, sondern dass es ab und zu besser ist, sich nicht zu einigen. Die wirklich roten Linien müssen auch eingehalten werden und nicht aus Faulheit oder Machterhalt mit einem Kompromiss überschritten werden. Ein Learning aus dem Erstarken der extremen politischen Parteien, aber auch bei einigen der großen Staaten und Wirtschaftsunternehmen, ist, dass diese ihren klaren roten Linien folgen und sie nicht um des Kompromisses willen aufgeben. Ob deren Lösungen besser sind, lasse ich mal dahingestellt.

Und dennoch ist dies keine grundsätzliche Absage an den Kompromiss, nein! Zu einem Kompromiss gehört aber immer, dass keine:r der Beteiligten das Gesicht verliert, wenn er oder sie von den ursprünglichen Forderungen abrückt. Aber vor allem, dass auch nicht ein Dritter, wie z. B. die Bevölkerung, der große Verlierer ist. Das Ziel eines Kompromisses muss sein, dass sein Inhalt dazu geeignet ist, das Land oder die Parteien weiterzubringen. Lassen Sie uns deshalb nicht den Kompromiss nicht per se als die Lösung aller Probleme ansehen, sondern wägen wir stets ab, ob er uns voranbringen kann. Einfacher gesagt: besser kein Kompromiss als ein Kompromiss um des Kompromisses Willen. Wo ich diesen Sommer keinen Kompromiss eingehe? Beim Genießen, der Sonne, La Dolce Vita und dabei, der Politik und der Wirtschaft noch kritischer auf die Finger zu schauen!

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