Trotz konstant guter Entwicklung des Arbeitsmarktes, fällt es Unternehmen in Österreich aktuell besonders schwer, offene Stellen schnell nachzubesetzen. Die Suche nach Fachpersonal stellt sich für viele Betriebe als Spießrutenlauf heraus.
Das Arbeitsmarktservice AMS hält mit Initiativen dagegen und verspricht Erleichterung durch enge Kooperation mit den Unternehmen und den Arbeitssuchenden. Wie genau das funktioniert erklärt Petra Draxl, die Geschäftsführerin des AMS Wien, im Interview mit LEADERSNET.
LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Draxl, wir hören am Beginn jedes Monats, dass die Zahl der offenen Stellen, die die Wiener Betriebe dem AMS melden, wieder gewachsen ist. Wie reagieren Sie darauf?
Draxl: Wir bemühen uns für die Wiener Wirtschaft Arbeitssuchende zur Verfügung zu stellen und dabei genau darauf zu schauen, ob das Matching für die Betriebe auch wirklich passt. Wir wollen den Aufschwung und die gute Konjunktur nutzen. Wir haben hierfür ein eigenes Segment, das "Service für Unternehmen" bei dem wir eben erst die Zahl unserer Betriebs-Profis verdoppelt haben. Aktuell haben wir somit 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Team des Service für Unternehmen. Hier versuchen wir den Betrieben mit dem breiten Angebot das wir haben – und wir bieten hier wirklich ein breites Portfolio für Unternehmen – die ideale Unterstützung zu bieten.
LEADERSNET: Können Sie uns etwas genauer von dieser Unterstützung erzählen? Welche Services bieten Sie an?
Draxl: Nun unser Portfolio reicht von der Stellenbesetzung über die Unterstützung zur Qualifizierung bis hin zur Beratung zur Altersteilzeit. Vielleicht nehmen wir als Beispiel die Qualifizierung heraus: Wir sehen ja, dass für die Betriebe ganz entscheidend ist, ob die Personen, die am Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, auch wirklich für die geforderten Tätigkeiten geeignet sind. Qualifizierungsinitiativen sind ein essenzieller Teil unserer Arbeit. Wir haben eben erst unsere Strategie die wir gemeinsam mit der Stadt Wien, Sozialpartnern und anderen wichtigen Akteuren fahren, bis ins Jahr 2030 verlängert. Mit dem sogenannten Qualifikationsplan wollen wir möglichst vielen Menschen, die nicht über einen Pflichtschulabschluss hinaus qualifiziert sind, zu einem guten Bildungsabschluss verhelfen und sie so zu gesuchten und attraktiven Fachkräften für die Wiener Wirtschaft machen.
LEADERSNET: Wie funktioniert das?
Draxl: Wir haben hierbei verschiedene Modelle der arbeitsplatznahen Qualifizierung. Wir gehen auch aktiv auf Betriebe und Branchen zu und fragen, welches Fachpersonal Ihnen fehlt. Wir gleichen das mit den Arbeitssuchenden am Markt ab und finden die am besten passenden Kandidaten, nicht unbedingt bereits mit entsprechendem Abschluss. Wenn es hier noch an Qualifikationen mangelt suchen wir dann gemeinsam nach Wegen, wie wir diese höher oder entsprechend passend qualifizieren können. In diesem Sinne wird gemeinsam ausgesucht und ein Ausbildungsplan festgelegt. In den meisten Fällen ist das ein Lehrabschluss oder eine andere qualifizierte Ausbildung. Das geschieht entweder direkt im entsprechenden Betrieb oder externen Ausbildungszentren, die mit uns kooperieren. Das ist eine Qualifizierungsschiene die wir nutzen, eine andere wesentliche Schiene ist der Jugendbereich. Auch hier schauen wir verstärkt darauf, dass wir Jugendlichen zu einer überbetrieblichen Ausbildung und besseren Aussichten am Arbeitsmarkt verhelfen. Im März 2019 veranstalten wir wieder eine große Messe unter dem Titel "Volltreffer" um zu schauen, dass besonders die Jugendlichen mit einer überbetrieblichen Ausbildung auf einen Arbeitsplatz oder eine Lehrstelle in einem Betrieb vermittelt werden.
LEADERSNET: Also gibt es hier auch ganz bewusst einen Fokus auf die jungen Arbeitssuchenden?
Draxl: Richtig, aber nicht nur – die arbeitsplatznahe Qualifizierung ist eine Leistung die wir allen anbieten. Das heißt, wenn wir Menschen haben, die noch eine höhere Ausbildung oder eine bessere Qualifikation erreichen wollen, oder auch eine Umschulung machen wollen um in einem Betrieb anfangen zu können, der sie gerne anstellen würde, dann unterstützen wir hier natürlich. Das betrifft sowohl Jugendliche als auch Arbeitssuchende über 25 Jahren. Wobei wir Umschulungen breiter organisieren, da kaufen wir auch eigens Kurse ein. In dem Kontext der arbeitsplatznahen Qualifizierung geht es tatsächlich um eine sehr enge Kooperation mit den jeweiligen Betrieben. Das heißt beispielsweise wenn ein Hotel gerade einen Koch oder eine Köchin sucht, dann schauen wir gemeinsam mit dem Betrieb wer hier gut passen könnte und was eventuell noch zur Komplettierung des Anforderungsprofils des Betriebes fehlt. Wir qualifizieren die Arbeitskräfte dann auch in enger Zusammenarbeit und direkt vor Ort im Betrieb. Das bedeutet bei Erwachsenen konkret, dass diese Personen meist schon eine gewisse Ausbildung haben und wir gemeinsam mit Ihnen aufbauend auf diese die noch fehlenden Qualifikationen erarbeiten. Die Person ist dann bereits im Betrieb angestellt, macht nebenbei die Ausbildung und wird so zu einem außerordentlichen Lehrabschluss geführt.
LEADERSNET: Wie lange dauert es denn im Schnitt bis die Personen ihren außerordentlichen Lehrabschluss erreichen?
Draxl: Das dauert maximal 18 Monate, manchmal auch weniger. Das kommt ganz individuell auf die Person an, was sie schon gemacht hat und kann und was man vom bereits Gelernten anrechnen kann. Wir haben auch viele Schul- oder Lehrabbrecher, und je nachdem auf welchem Ausbildungsstand sie sich befinden, wird das fehlende Know-how nachgelernt. Die enge Zusammenarbeit mit den Betrieben als auch mit den Arbeitssuchenden ist hier ein starkes Asset, um genau auf die Bedürfnisse beider Seiten eingehen zu können, da hat jeder was davon – und das wollen wir auch zukünftig stärker forcieren.
LEADERSNET: Betrifft das nur die Wiener Wirtschaft, also Wiener Betriebe, oder ist das AMS Wien auch für andere da?
Draxl: Unser Blick reicht weit über die Wiener Landesgrenzen hinaus. Die überregionale Vermittlung ist ein wichtiger Teil unseres Einsatzes, wir betreiben da quasi Arbeitsmarkt-Lobbying in ganz Österreich. Wir kommunizieren unseren Arbeitssuchenden dabei auch klar, dass es ihre Karrierechancen deutlich verbessert, wenn sie überregional tätig waren. Wir schauen auch, ob Wiener Arbeitslose auf Stellen in den Bundesländern passen. Wir haben da ein eigenes Vermittlungszentrum in unserer Regionalstelle Huttengasse im 16. Bezirk, die sich ganz explizit damit beschäftigt. Erst kürzlich gab es ein konkretes Beispiel hierfür bei uns: Eine Kollegin mit 38 Jahren war arbeitssuchend in der Industrie und offen für eine Anstellung in Oberösterreich. In Kooperation mit vier Betrieben in Oberösterreich haben wir vor Ort eigene Informationsveranstaltungen organisiert, die sich direkt an Arbeitssuchende gerichtet haben. Im Rahmen einer zweitägigen Tour durch verschiedene Industrietriebe in ganz Oberösterreich konnten sich die Arbeitssuchenden dort eingehend informieren. Die Betriebe stellten sich dabei als im Detail vor, auch in Bezug auf Leistungen für Angestellte die nicht in Oberösterreich wohnhaft sind. Zu dieser Aktion gab es einstimmig sehr gute Rückmeldungen von den Betrieben als auch von den Arbeitssuchenden.
LEADERSNET: Sind Ihre Ansprechpartner in der Wirtschaft also eher tendenziell die großen Unternehmen oder auch kleinere und mittelständische Betriebe?
Draxl: Wir arbeiten natürlich auch mit kleineren Betrieben zusammen, sehr bedarfsorientiert. Wir haben unser Service für Unternehmen eigens so aufgestellt, dass es nun gerade auch für die KMU leichter geworden ist unsere Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Wiener Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten stellen die Mehrheit dar und gerade diese haben auch vermehrt Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften. Für sie sind nun auch die Wege zum AMS kürzer geworden, nun ist die nächstliegende AMS-Stelle im Bezirk auch gleich ihr Ansprechpartner für alle Fragen. Betriebe, die gerne bei der Suche nach Arbeitskräften mit uns kooperieren wollen, können uns hier so direkt ansprechen und dann werden wir gerne tätig. Wir haben auch jährliche Planungssitzungen in deren Rahmen wir unsere Einsätze planen und machen bewusst Raum für Kooperationen mit KMUs.
LEADERSNET: Sie legen in Ihrer Arbeitsvermittlung vermehrt den Fokus auf Frauenprogramme, auch in Kooperation mit Betrieben. Für die Technikbereiche gibt es ja beispielsweise das "FiT"-Programm – wie wird das von der Zielgruppe angenommen?
Draxl: Genau, wir haben die Initiative für Frauen in Handwerk und Technik, kurz FiT. In diesem Programm haben wir zwei Schienen: Da gibt es einerseits "Young FiT", das sich auf Mädchen und junge Frauen konzentriert und sie in Ausbildungen zu führen. Das machen wir gemeinsam mit großen und kleinen Betrieben um Mädchen dazu zu motivieren, auch in technischen Berufen Fuß zu fassen. Ein großes Projekt haben wir hier mit den ÖBB. Hier gibt es bereits Standorte mit 20 Prozent Mädchenanteil. Wenn man beispielsweise die Gala "Die Amazone" vom Verein Sprungbrett besucht, sieht man auch sehr klar, wie viele Betriebe – auch kleinere – sich aktiv in diesem Bereich engagieren.
LEADERSNET: Und die zweite Schiene?
Draxl: Die zweite Schiene ist das Programm für erwachsene Frauen, in dem es tatsächlich um eine Umschulung und Umorientierung geht. Es gelingt zunehmend besser, Frauen in technischen Berufen unterzubringen und das Interesse zu wecken. Sobald man die Schwelle der 15 bis 20 Prozent in einem Betrieb oder einer Sparte geknackt hat, dann merkt man, dass das Interesse auch von selbst vermehrt steigt. Es ist zwar nach wie vor keine einfache Motivationsarbeit in diesem Bereich, die wir leisten, aber es wird merklich einfacher, je mehr Vorbilder wir hier haben. Da geht es um ein breites Spektrum von IT-Berufen bis zu Lehrberufen in Mechatronik und Elektronik. Wir bearbeiten dieses Thema unentwegt. Wir arbeiten hier auch sehr eng mit den Berufsinformationszentren und Schulen zusammen, gerade in der Orientierung. In unserem Berufsausbildungszentrum (BAZ) gibt es wöchentlich Informationsveranstaltungen für Frauen in der Technik, um aufzuzeigen wie breit die Möglichkeiten hier für Frauen sind und wie attraktiv diese Sparten sind, nicht nur im Gehaltsaspekt.
LEADERSNET: Wenn wir schon beim Thema Frauen sind, vielleicht gehen wir zum Abschluss etwas näher auf Ihre Person ein. Wie lange sind Sie schon dabei, wie sind Ihre Erlebnisse in Sachen Genderthemen am Arbeitsplatz? Wie geht es Ihnen in Ihrer Führungsposition als Female Leader?
Draxl: Nun, ich mache diesen Job jetzt etwas über sechs Jahre. Ich bin schon auch sehr lange in unserer Branche, hier sind es über 30 Jahre und tatsächlich bin ich in der glücklichen Position sagen zu können, dass über all die Jahre noch nie jemand meine Kompetenz als weibliche Führungskraft angezweifelt hätte. Mir sind Genderthemen nicht komplett fremd, natürlich, auch bei uns kennt man diverse "Auf-und-Abs" der Thematik Geschlecht: traut man sich gewisse Tätigkeiten zu, Unregelmäßigkeiten in Sachen Gehalt im Vergleich zu männlichen Kollegen usw. Das habe beispielsweise auch ich selbst vor Jahren ein einziges Mal erlebt und es auch angesprochen. Aber in der Position, die ich aktuell bekleide gab es noch nie ein derartiges Thema. Aber ganzheitlich gesehen, ist das wohl bei uns wirklich etwas anderes. Ich bin davon überzeugt, dass wir eine sehr fortschrittliche Branche sind. Ich bin jetzt 58, also doch schon eine erfahrene Führungskraft. Mit der Unterstützung eines tollen Teams um mich, kann ich sagen, dass wir hier sehr gut aufgestellt sind. Man muss es aber auch wirklich auf der Ebene sehen, dass wir beim AMS einen sehr starken und konsequenten Fokus auf Frauenförderung legen. Das überprüfen wir regelmäßig und behandeln es als Zielcontrolling in Bezug darauf, wie viele Frauen wir in Führungspositionen eingesetzt haben wollen. Wir gewichten das ganz so, wie ein klassisches Finanzcontrolling – nicht mehr und nicht weniger. Ich würde schon sagen, dass Frauen davon profitieren, das ist nicht überall so.
LEADERSNET: Vielleicht verweilen wir abschließend noch einen Moment auf dem heiß diskutierten Thema Gehalt: Hat man in der kooperativen Suche mit Betrieben nach Arbeitskräften schon bei der Vermittlung Einsicht auf eine Gleichbehandlung in der Entlohnung?
Draxl: Bei offenen Stellen die uns gemeldet werden, müssen Betriebe ja offenlegen, welche Entlohnung ihre Angestellten erwartet. Das ist kollektivvertraglich festgelegt und gesetzlich geregelt. Nach Bewerbung und Anstellung kann man das natürlich nicht nachprüfen, auch in der engen Zusammenarbeit nicht. Was wir aber haben, ist ein Beratungsprogramm mit dem wir als Arbeitsmarktservice für Unternehmen aktiv sind. Dabei handelt es sich um ein österreichweites Beratungsprogramm in dessen Rahmen teilnehmende Unternehmen aus sechs unterschiedlichen Schwerpunkten auswählen können. Einer dieser Punkte ist Chancengleichheit und Frauenförderung, darin liegt auch indirekt die Gehaltsfrage eingebettet. Wir stehen engagierten Betrieben jeder Größe also natürlich auch hier gerne beratend zur Seite und verweisen auf passende Initiativen, wie in diesem Fall beispielsweise ein eigenes Beratungsprojekt in Kooperation mit dem europäischen Sozialfonds (ESF), Deloitte und BAB das sich gänzlich dem Thema Gehaltstransparenz widmet.
www.ams.at