„Die kreative Idee steht heute nicht mehr an erster Stelle“

isobar-CEO Helmut Kosa über den Trendbegriff Brand Commerce und die Zukunft der Werbung.

Im Jahr 2000 hat Helmut Kosa die Agentur pjure isobar gegründt, die seit rund einem Jahr unter dem Namen isobar firmiert. leadersnet hat den Agenturprofi Kosa zum Interview getroffen und sich von ihm erklären lassen, was Brand Commerce bedeutet, welchen Stellenwert Data im Kreativprozess hat und in welchen Bereichen die Branche in Österreich noch hinterherhinkt.

leadersnet: Brand Commerce ist derzeit, ähnlich wie Content Marketing, in aller Munde. Aber was steckt genau hinter dem Begriff?

Kosa: Historisch gesehen hat es auf der einen Seite immer sehr produkt- und aktionsbezogene Werbung und auf der anderen Seite sehr imagebezogene Werbung gegeben. Das Konsumentenverhalten hat sich in den vergangenen Jahren aber sehr stark verändert. Jeder nutzt digitale Kanäle bzw. mobile Devices und alles ist internetbasiert. Dadurch haben wir viel schneller die Möglichkeit, von einer Marke auf ein bestimmtes Produkt und auf einen Kaufabschluss zu kommen. Wir verstehen unter Brand Commerce, dass wir es schaffen, die Themen Markenführung und Verkaufsförderung so ineinander zu verzahnen, dass wir in jeder Phase der Customer Journey sowohl die Image-Komponente als auch die Produkt-Komponente und die Kaufabschluss-Komponente miteinander kombinieren können. Das können wir deshalb machen, weil wir genau wissen, in welcher Phase wir den Konsumenten mit welcher Botschaft erreichen können.

leadersnet: Macht diese Verfügbarkeit von Daten und die Möglichkeit sie auch auszuwerten, den großen Unterschied zu herkömmlicher klassischer Werbung aus?

Kosa: Früher hat es gereicht, wenn man eine gute, kreative Idee hatte und diese dann auf den entsprechenden Medienkanälen verbreitet hat. Heute brauche ich zwar immer noch eine kreative Idee, aber die kommt nicht mehr an erster Stelle. An erster Stelle steht heute die Strategie. Das heißt, ich muss mir überlegen, wie ich die Themen Markenführung und Produktkommunikation verbinde. Diese Strategie muss auf allen verfügbaren Channels – von TV über Online bis hin zu Mobile – funktionieren und ausgespielt werden. Das Ziel ist es, den Konsumenten so schnell wie möglich zu einem Abschluss zu bewegen. Dazu braucht es technologisches Wissen, um die ganzen verfügbaren Daten richtig auswerten zu können und auch datenschutzrechtlich alles korrekt abzuwickeln. Das Wissen, das aus all diesen Daten generiert wird, hat natürlich auch Auswirkungen auf die Kreation. Da ich bestimmte Vorlieben und Interessen der Konsumenten kenne, können die Kreativen die Werbung viel individueller gestalten.

leadersnet: Heißt das, dass die Kreation clusterbasiert arbeitet?

Kosa: Genau. Das geschieht größtenteils voll automatisch, da es datenbankbasierend ist. Wir haben beispielsweise für die Bewerbung von Produkt X das Cluster Y und können dementsprechend die Kreation briefen. Nachdem die Werbung ausgespielt wird, sehe ich dann im Dashboard, ob es funktioniert oder nicht. Wenn es nicht funktioniert, dann kann ich es umgehend adaptieren. Das ist das wirklich Spannende: Ich kann ein Sujet im Zuge einer Kampagne laufend optimieren. Zudem läuft die Kampagne nicht nur einmalig. Wenn ich erkenne, dass ein Konsument Bedarf für Produkt X hat, dann kann ich das passende Sujet dazu ausspielen. Das heißt, die Kampagne läuft sozusagen zwölf Monate, sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag. Sobald jemand in mein Cluster hineinfällt, bekommt er die passende Werbung geliefert.

leadersnet: Denken Sie, dass das die Zukunft der Werbung sein wird?

Kosa: Es gibt im ganzen deutschsprachigen Raum vielleicht eine Handvoll Agenturen, die sich mit der Thematik so intensiv beschäftigen wie wir. Wir sind eigentlich keine Werbeagentur im herkömmlichen Sinn. Als Teil des Dentsu Aegis Networks – der drittgrößten Agenturgruppe der Welt – tun sich für uns natürlich großartige Möglichkeiten auf. Ich denke, dass es zukünftig nur noch eine Art von Agentur geben wird. Es wird keine Unterscheidung mehr zwischen Werbeagentur, Mediaagentur, Digitalagentur usw. geben. Es wird eine Agentur geben, die für eine Marke zuständig sein wird. Wir arbeiten schon seit drei Jahren daran, dass wir genau so eine Agentur sind. Das heißt: Wenn wir für einen Kunden arbeiten, haben wir ein Team mit Leuten aus der Kreation, aus der Marktforschung, aus der Media und aus dem Performancemarketing. Dass wir als Teil der Dentsu-Gruppe auf eine Reihe von Spezialisten zurückgreifen können, ist natürlich ein Riesen-Asset, den sonst niemand in Österreich hat.

leadersnet: Österreich ist ein kleiner Markt, der zudem darunter leidet, dass viele Konzerne ihre Entscheidungen nicht auf lokaler Ebene sondern international treffen. Was bedeutet das für Sie als Agentur?

Kosa: Es ist tatsächlich so, dass es immer weniger Firmen gibt, bei denen die Entscheider tatsächlich in Österreich sitzen. Wir wissen auch, dass Marketingabteilungen tendenziell kleiner statt größer werden. Auch hier wird versucht permanent zu optimieren und zusammenzulegen. Da ist Österreich, aufgrund seines kleinen Marktes, nicht immer an erster Stelle. In diesem Zusammenhang spielt das Thema DACH, also Deutschland, Österreich und Schweiz, eine essenzielle Rolle. Für uns ist es deshalb ganz wichtig, dass wir über die Grenzen hinaus denken. Unser Kernzielgebiet ist der DACH-Raum. Wir betreiben beispielsweise einen eigenen Standort in Zürich. Im Rahmen der Dentsu-Gruppe gibt es auch eine Niederlassung in Deutschland. Wir arbeiten also schwerpunktmäßig in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dazu haben wir auch einige Kunden im angrenzenden osteuropäischen Raum, wie Ungarn, Slowenien, Kroatien, Slowakei und Tschechien. Aber ich glaube, dass man sich vor allem auch aufgrund der steigenden Bedeutung der Data-Thematik als Agentur in jeglicher Form überregional beschäftigen muss. Das Data-Thema ist nicht lokal begrenzt. Wenn ich diverse Cluster entwickle, hören die ja nicht einfach an einer Ländergrenze auf. Deshalb ist es umso wichtiger, auch hinsichtlich Medien und anderer potentieller Partner, überregionale Kooperationen einzugehen. Wenn man sich beispielsweise anschaut, welche Medien in Österreich konsumiert werden, sind ganz vorne einige dabei, die keine heimischen Plattformen sind. Das heißt nichts anderes, als dass wir uns endgültig davon verabschieden müssen, dass wir in unserer Branche rein für Österreich arbeiten können. Das geht jetzt noch, aber in wenigen Jahren wird das gänzlich unmöglich sein. Das hat auch zur Folge, dass genau zwei Agenturtypen übrig bleiben werden. Jene, die wirklich alles – von der Kreation über Media bis hin zu Technologie – aus einer Hand anbieten können und dann noch die, die sich auf eine Nische spezialisieren und ein kleiner, feiner Anbieter bleiben.

leadersnet: Kann es sein, dass wir in Österreich in diesem Bereich grundsätzlich ein wenig hinterherhinken?

Kosa: Ich denke, dass das kein speziell österreichisches Thema ist, sondern grundsätzlich den gesamten DACH-Raum betrifft. Das ist in der Schweiz nicht besser als in Österreich und in Deutschland vielleicht eine Spur besser. Tatsächlich hat es auch sehr viel damit zu tun, dass man selber Geld in die Hand nehmen und investieren muss. Hier gibt es halt weniger Unternehmen, die die Möglichkeit haben viel Geld in diese Dinge hineinzustecken. Wir haben das Glück, dass wir als Gruppe viele Möglichkeiten haben. Wir haben zum Beispiel vor vier Monaten Blue Infinity gekauft. Das ist eine Firma aus der Schweiz, die der größte Salesforce-Implementierungspartner in Europa mit 550 Mitarbeitern ist. Blue Infinity hat sich rein auf das Thema E-Commerce und CAM spezialisiert, was für uns wiederum ein Riesenvorteil ist. Das Problem ist, dass es in unserer Branche Leute gibt, die sich mit den Technologiethemen noch gar nicht auseinandergesetzt haben. Teilweise auch deshalb, weil sie gar nicht die Ressourcen haben. Wie will eine Agentur, mit vielleicht 20 oder 30 Mitarbeitern, aus dem Stand Technologie-Knowhow aufbauen? Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es ein sehr langer Prozess war, die Bereiche Kreation, Media und Technologie unter einen Hut zu kriegen.

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