Cornelia Wesenauer im Interview
"Insolvente Immobilienfirmen weisen immer ein ähnliches 'System' auf"

Im LEADERSNET-Interview spricht Cornelia Wesenauer, Mitglied der Geschäftsleitung des AKV, über die beunruhigende Entwicklung der aktuellen Insolvenzzahlen, die Gründe für die vielen Pleiten und deren Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft. Dabei beleuchtet die Juristin u.a. die Immobilienbranche, wo viele Unternehmer:innen "aufs schnelle Geld aus waren".

LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Wesenauer, der Alpenländische Kreditorenverband (AKV) spricht von einem beunruhigenden Höchststand der Insolvenzen seit 2009. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für diesen Anstieg?

Cornelia Wesenauer: Wir werden das Jahr 2024 mit einem Rekordwert an Firmeninsolvenzen beenden. Dieser drastische Anstieg an Insolvenzfällen hat sich bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 abgezeichnet und führte im dritten Quartal 2024 zu einem Höchststand an eröffneten Firmeninsolvenzen und zu einem Plus von 26,35 Prozent im Vergleich zum bereits insolvenzreichen Vorjahr (Anm.: LEADERSNET berichtete). Grund hierfür ist, dass die Wirtschaftslage nach Ende der COVID-19 Pandemie in eine Rezession gerutscht ist. Die Zinsänderungen der EZB, die hohe Inflation und der Rückgang des BIP führte zu Konsum- und Investitionszurückhaltung, die hohen Zinsen und die verschärften Kreditvergaberichtlinien haben die Bau- und Immobilienwirtschaft in eine Krise geführt und die Kaufzurückhaltung der Konsument:innen belastet die Handelsbranche sowie die Gastronomie.

LEADERSNET: Wie bewerten Sie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die derzeit zu vermehrten Insolvenzen in Österreich führen? Sind es primär konjunkturelle Faktoren oder spielt auch Missmanagement eine Rolle?

Wesenauer: Bei vielen Insolvenzfällen spielen beide Faktoren eine wesentliche Rolle. Während der COVID-Pandemie entstand bei vielen Unternehmern der Eindruck, dass durch behördliche Lockdowns und Ausschüttung von staatlichen Förderungen die "Stopptaste" in der Wirtschaft gedrückt wurde. Die Erwartung vieler, dass die "guten Zeiten" aus den Jahren vor der Pandemie nahtlos fortgesetzt werden, wurde jedoch enttäuscht. Die Änderung der Zinspolitik und der Einbruch der Immobilienpreise wurden bereits von vielen Expert:innen prognostiziert. Weiters haben die Erfahrungen aus der Pandemie das Konsumverhalten der Menschen maßgeblich beeinflusst. Während sich in den Jahren vor der Pandemie erfolgreiche Unternehmen durch starke Expansion ausgezeichnet haben und höheres unternehmerisches Risiko – zum Beispiel durch weitgehende Fremdfinanzierungen von Projekten – zu größeren Gewinnen geführt haben, sind immer mehr Unternehmen ohne Eigenkapital und Liquiditätspolster in die Krise gestürzt. Die Frage, inwiefern diese Entwicklung bereits prognostizierbar war und sich Unternehmer:innen "darauf einstellen" hätten können, wird wohl im Einzelfall zu beurteilen sein.

LEADERSNET: Sie erwähnten, dass viele Immobilienunternehmer:innen "aufs schnelle Geld aus" waren. Können Sie diesen Trend näher erläutern und seine Auswirkungen auf den Immobilienmarkt beschreiben? Welche spezifischen Fehler haben Ihrer Meinung nach zu den Insolvenzen in dieser Branche geführt?

Wesenauer: Aus dem Blickwinkel einer Insolvenzjuristin lässt sich feststellen, dass (insolvente) Immobilienunternehmen immer ein ähnliches "System" aufweisen. Die Unternehmensgruppe besteht – auch aus steuerlichen Gründen – aus vielen eigenen Projektgesellschaften. Diese einzelnen Gesellschaften erwerben eine Immobilie, mit dem Ziel, diese (zum Beispiel nach Neubau oder Renovierung) mit Gewinn wieder zu verkaufen. Die Finanzierung der Projekte erfolgte fast ausschließlich über Kreditfinanzierungen von außen. Der Erfolg dieses "Systems" basierte darauf, dass die Wertsteigerungen von Immobilien in den letzten Jahren kontinuierlich und sicher waren. So gingen einige Unternehmen dazu über, die erwarteten Gewinne bereits vor Realisierung der Projekte in neue Projekte zu investieren. Dazu mussten Aktivwerte und Leistungen innerhalb der Gesellschaftsstruktur wechselseitig verrechnet werden. Als sich der Immobilienmarkt nicht schnell genug wertsteigernd weiterentwickelt hat, sind einige dazu übergegangen, durch interne Verkäufe die Immobilien bilanziell aufzuwerten, so konnten neue Finanzierungen für weitere Projekte lukriert werden. Ein System des rasanten Wachstums, das nur solange funktioniert, solange immer neue Projekte die älteren Projekte stützen.

LEADERSNET: Inwiefern haben sich die Ursachen für Insolvenzen in den letzten Jahren verändert? Gibt es neue Faktoren, die Unternehmen in die Insolvenz treiben?

Wesenauer: Die wirtschaftliche Gesamtsituation stellt heute für alle Unternehmen in Österreich eine Herausforderung dar. In "guten" wirtschaftlichen Zeiten ist es natürlich leichter, Unternehmen positiv zu führen. Es gab jedoch immer wieder wirtschaftliche Entwicklungen, die in der einen oder anderen Branche zu einem Anstieg der Insolvenzfälle geführt haben. Auch waren "unternehmerische Fehlleistungen" immer ein relevanter Faktor. Ich denke aber, dass sich die Marktlage mit jedem Jahr schneller verändert. Es herrscht in den meisten Branchen ein hoher Konkurrenz- und damit Preisdruck. "Trends" am Markt müssen rasch erkannt werden und die Preiskalkulationen müssen zutreffend sein. Immer wieder lese ich in den Analysen zu den Insolvenzursachen in den einzelnen Insolvenzfällen, dass "Billiganbieter" die Preise am Markt drücken und daher Unternehmen nicht mehr gewinnbringend wirtschaften können. Bei einigen Branchen kommt die übermächtige Konkurrenz von international tätigen Konzernen, die nunmehr selbstverständlich ihre Leistungen online anbieten, hinzu.

LEADERSNET: Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Rolle der Banken und Kreditgeber in dieser Situation verändert? Trägt eine zu lockere Vergabepolitik zu den steigenden Insolvenzen bei?

Wesenauer: Ob eine konkrete Kreditvergabe "zu locker" war, ist nur im Einzelfall beurteilbar. Es scheint jedoch, dass das Abgehen von den bisherigen Kreditvergaberichtlinien zu strengeren Vorgaben für viele Unternehmer:innen überraschend kam bzw. dass Anforderungen nicht mehr erfüllt werden konnten. Die KIM-Verordnung und die fehlende Kreditnachfrage, aufgrund der verschärften Kreditvergaberichtlinien, haben die Bewilligungen von Neubauten auf einen jahrzehntelangen Tiefststand fallen lassen. Bei aller Kritik, die man an der einen oder anderen Stelle üben kann, muss man jedoch auch darauf hinweisen, dass es nicht möglich ist, die wirtschaftliche Situation in Österreich isoliert zu betrachten. Viele Faktoren, die unsere Wirtschaftsentwicklung in Österreich zuletzt massiv beeinträchtigt haben, hängen mit geopolitischen Entwicklungen zusammen. Sei es die COVID-19 Pandemie oder der Ukraine-Krieg, beide Ereignisse haben nachhaltigen Einfluss auf Lieferkettenschwierigkeiten und Preisentwicklungen. Weder Banken noch Unternehmen waren in der Lage, das Ausmaß und die Dauer solcher Ereignisse vorherzusehen.

LEADERSNET: In welchen Sektoren sehen Sie neben der Immobilienbranche momentan die größten Risiken für Unternehmensinsolvenzen? Gibt es Branchen, die besonders anfällig sind?

Wesenauer: Neben der Baubranche sind die Handels- und Gastronomiebranche immer besonders "insolvenzanfällig". Dies liegt natürlich einerseits daran, dass es hiervon – rein nach der Anzahl – so viele gibt, aber auch andererseits daran, dass hier im Gegensatz zu so manchem Industrieunternehmen weniger Eigenkapital vorhanden und notwendig ist. Für beide Branchen sind Faktoren wie Inflation, Preissteigerungen am Energie- und Rohstoffmarkt, gestiegene Lohnkosten, Lieferkettenschwierigkeiten und Konsumzurückhaltung derzeit besonders beeinträchtigend. Auch in der Handelsbranche kam es in den letzten Monaten zu spektakulären Insolvenzfällen. Spektakulär, weil es sich um große, etablierte Unternehmen mit zahlreichen Dienstnehmer:innen, Filialen, langer Geschichte oder sogar internationaler Bekanntheit handelt. Handelsunternehmen haben die besondere Herausforderung, dass sich diese wirtschaftlichen Faktoren sowohl auf der Ausgaben- als auch der Einnahmenseite niederschlagen. Es werden zahlreiche Dienstnehmer:innen und große Verkaufsflächen benötigt, was mit wesentlich gestiegenen Kosten verbunden ist. Andererseits führt das Sparverhalten der Konsument:innen jedoch zu geringeren Einnahmen. Handelsware ist in vielen Fällen auch Saisonware oder rasch veraltet, sodass ein großer Lagerbestand relativ rasch unverkäuflich und wertlos wird.

LEADERSNET: Der Ökonom Joseph Schumpeter prägte den Begriff der "schöpferischen Zerstörung". Inwieweit sehen Sie die aktuellen Insolvenzen als Teil eines notwendigen wirtschaftlichen Erneuerungsprozesses?

Wesenauer: Eine hohe Anzahl an Insolvenzfällen lässt immer große Besorgnis entstehen. Der Marktbereinigungseffekt, den Unternehmensinsolvenzen haben, wird dabei aber nicht beachtet. Einerseits kam es während der Jahre der COVID-19 Pandemie zu einem unnatürlichen Einbruch der Insolvenzzahlen, da staatliche Unterstützungsmaßnahmen und das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht vielen kaputten Unternehmen über diesen Zeitraum hinweggeholfen haben, andererseits sind die enormen Insolvenzfälle im Jahr 2023 und 2024 nicht nur auf die Liquidierung dieser "Zombieunternehmen" zurückzuführen. Für jede funktionierende Wirtschaft ist ein funktionierender Markt essenziell. Hierzu gehört auch die notwendige Konkurrenzsituation zwischen den Unternehmen, die leistbare und qualitative Leistungen für Kunden sicherstellt. Unternehmen, die dieses Marktgleichgewicht durch "Preisdumping" und "qualitativ minderwertige" Leistungen stören, müssen daher auch wieder vom Markt verschwinden, um andere Unternehmen nicht mitzureißen.

LEADERSNET: Welche präventiven Maßnahmen können Unternehmen Ihrer Erfahrung nach ergreifen, um eine Insolvenz zu vermeiden? Sind bestimmte Frühwarnsysteme besonders effektiv? Welche Frühwarnsignale sollten Unternehmen und Investor:innen beachten, um drohende Insolvenzen rechtzeitig zu erkennen?

Wesenauer: Wie immer wird in "schlechten Zeiten" die unternehmerische Leistung auf die Probe gestellt. Ein Kochrezept für erfolgreiche Unternehmen gibt es meiner Ansicht nach nicht. Wenn, dann wäre mein Ratschlag das genaue Gegenteil: Flexibilität. Ein erfolgreiches Unternehmen zeichnet aus, auf die Signale des Marktes flexibel zu reagieren und nicht "alten" Erfolgsrezepten nachzulaufen. Besonders essenziell ist hierbei ein funktionierendes Rechenwerk und eine Geschäftsführung, die einen nachhaltigen Überblick über alle finanziellen Veränderungen hat. Es darf niemals der Kopf in den Sand gesteckt werden, mit der Hoffnung, dass sich Probleme von allein lösen werden. Zeigt der finanzielle Status des Unternehmens eine Überschuldung und dass eine positive Fortführungsprognose nicht mehr möglich ist, dann gibt es keinen Weg an einer Insolvenz vorbei. Über 55 Prozent der Insolvenzverfahren werden nicht auf Initiative des schuldnerischen Unternehmens selbst initiiert, sondern von einem Gläubiger beantragt, der auf sein Geld wartet. Bei über 55 Prozent der Unternehmen erfolgt das Insolvenzverfahren somit zu spät. Dennoch endeten fast 30 Prozent der Insolvenzverfahren in den letzten drei Quartalen mit dem Abschluss eines Sanierungsplans und konnten daher fortgeführt und gerettet werden.

LEADERSNET: Gibt es Ihrer Meinung nach Änderungsbedarf im österreichischen Insolvenzrecht, um besser auf die aktuelle Situation reagieren zu können?

Wesenauer: Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass das österreichische Insolvenzrecht sehr gut funktioniert, weil es durch die starke Stellung der Insolvenzverwalter viel Flexibilität für die Herausforderungen diverser Unternehmen lässt. Die Rückzahlungsquoten an die Gläubiger und der Anteil an Sanierungen sind im internationalen Vergleich herausragend. Bei Insolvenzfällen rund um große Unternehmensgruppen und Konzerne konnte man jedoch beobachten, dass es zu Schwierigkeiten bei der Abwicklung von Insolvenzen von Gesellschaften, die nur als Teil einer gesamten Unternehmensgruppe funktionieren, kommen kann. Da jede insolvente Gesellschaft für sich eine eigene Insolvenzmasse bildet, stößt hier Aufklärungsarbeit und damit eine Anspruchsprüfung und -verfolgung an notwendige Grenzen. Ein Konzerninsolvenzrecht, das auf die Sanierung, oder Liquidation einer ganzen Unternehmensgruppe ausgerichtet ist, fehlt im österreichischen Insolvenzsystem und könnte hier eine fairere Lösung für die Gläubiger:innen darstellen.

www.akv.at

Zur Person

Cornelia Wesenauer ist eine renommierte Expertin für Insolvenzfragen und Mitglied der Geschäftsleitung des Alpenländischen Kreditorenverbandes (AKV). Als Leiterin der Insolvenzabteilung Wien/NÖ/Burgenland hat sie einen umfassenden Einblick in die aktuelle wirtschaftliche Lage.

Für sie gehören Insolvenzen zum Alltag, doch der gegenwärtige Höchststand seit 2009 und die größte Pleite der österreichischen Wirtschaftsgeschichte (Stichwort: Signa) gibt auch der erfahrenen Juristin Anlass zur Sorge.

Als ausgewiesene Fachfrau gibt sie im Interview Einblicke in die komplexen Zusammenhänge von wirtschaftlichen Herausforderungen, gesetzlichen Rahmenbedingungen und unternehmerischen Entscheidungen, die zu der aktuellen Insolvenzwelle beigetragen haben.

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

Zur Person

Cornelia Wesenauer ist eine renommierte Expertin für Insolvenzfragen und Mitglied der Geschäftsleitung des Alpenländischen Kreditorenverbandes (AKV). Als Leiterin der Insolvenzabteilung Wien/NÖ/Burgenland hat sie einen umfassenden Einblick in die aktuelle wirtschaftliche Lage.

Für sie gehören Insolvenzen zum Alltag, doch der gegenwärtige Höchststand seit 2009 und die größte Pleite der österreichischen Wirtschaftsgeschichte (Stichwort: Signa) gibt auch der erfahrenen Juristin Anlass zur Sorge.

Als ausgewiesene Fachfrau gibt sie im Interview Einblicke in die komplexen Zusammenhänge von wirtschaftlichen Herausforderungen, gesetzlichen Rahmenbedingungen und unternehmerischen Entscheidungen, die zu der aktuellen Insolvenzwelle beigetragen haben.

leadersnet.TV