„Den ORF modernisieren"

| 23.03.2015

ORF-Finanzchef Richard Grasl im Interview mit Paul Leitenmüller über das Fernsehen der Zukunft, das Verhältnis zu den Privaten und wie der Songcontest den ORF pusht.  

Wie hat sich die Entwicklung des ORF in den letzten Jahren gestaltet, "zahlt" der Eurovisions Song Contest auf die Marke ORF ein und welche Visionen gibt es im Kampf um die Seher der Zukunft? leadersnet.at hat Richard Grasl, den kaufmännischen Direktor des ORF, zu einem Gespräch gebeten.

leadersnet.at: Zuerst ein kurzer Rückblick: Wie waren die vergangenen Jahre aus der Sicht des kaufmännischen Chefs des ORF?

Grasl: Es war durchgehend sehr herausfordernd und spannend. Meine bisherigen 5 Jahre als kaufmännischer Direktor teilen sich in 2 Abschnitte: Teil 1 war die Stabilisierung nach der großen Krise 2008/2009, die ist ja auch am ORF nicht spurlos vorübergegangen. Da mussten wir ein striktes Sanierungsprogramm durchführen. Und vor kurzem starteten wir Stufe 2, das ist die Modernisierung des Unternehmens.

leadersnet.at: Und in Kürze steht mit dem Song Contest außerdem noch ein Mega-Event ins Haus. Welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen?

Grasl: Stimmt, das ist für ein Unternehmen wie den ORF natürlich eine Riesen-Herausforderung. Innerhalb nur eines Jahres muss die größte Fernsehshow der Welt organisiert werden. Und dabei geht es ja nicht nur um die Show selbst. Außerdem kommen 2.000 Journalisten, es geht um die Themen Sicherheit, IT und Verkehrskonzepte. Zusätzlich muss ein Rahmenprogramm gestaltet werden. Für einen Fußball-Event hat man bis zu 4 Jahre Vorbereitungszeit – zum Song Contest muss alles in 12 Monaten stehen!

leadersnet.at: Hilft der Eurovisions Song Contest der Marke ORF?

Grasl: Ganz bestimmt. Alleine der Sieg von Conchita Wurst letztes Jahr in Kopenhagen war ein Erfolg. Und heuer wird ganz Europa für eine ganze Woche auf Österreich schauen. In den Präsentationsvideos der Kandidaten werden alle Bundesländer vorkommen, und es liegt an uns, Österreich und speziell Wien als attraktive Stadt und den ORF als modernes Unternehmen zu präsentieren.

leadersnet.at: Apropos: Zuletzt gab es Gerüchte, das vorhandene Budget für den Eurovisions Song Contest würde nicht reichen?

Grasl: In einem Projekt dieser Dimension gibt es immer wieder schwierige Phasen, aber wir sind grundsätzlich auf dem richtigen Weg und kommen aus heutiger Sicht mit der Budgetvorgabe von 15 Millionen Euro aus. Besonders schwierig war in diesem Fall natürlich vor allem die Änderung der Sicherheitslage. Zu Beginn der Planung vor einem Jahr gab es keinen Anschlag in Paris oder Dänemark und keine Bedrohungen durch radikale Gruppierungen. Und gerade beim Thema Sicherheit werden wir bestimmt nicht sparen.

leadersnet.at: Streaming oder Fernsehen ist aktuell die Frage. Wagen wir einen Blick in die Zukunft - wie wird das Fernsehen in 10 Jahren aussehen?

Grasl: Wir sehen alle gerne bewegte Bilder. Egal ob Filme, Sportübertragungen oder Nachrichten. Es ist das goldene Zeitalter des bewegten Bildes. Allerdings wird sich die Art & Weise, WO, WANN und WIE man es konsumiert, massiv ändern. Die Inhalte werden viel stärker orts- und zeitungebunden konsumiert, auch die Geräte sind einem ständigen Wandel unterzogen. In 10 Jahren wird wohl noch nicht die gesamte Bevölkerung Österreichs auf nonlineares TV gewechselt haben, aber die Zuwachsraten werden enorm. Das heißt, wir werden über viele Jahre hinweg im Parallelbetrieb laufen – normale 24-Stunden-Sender und darüber hinaus Angebote on demand.

leadersnet.at: Wie ist das Verhältnis des ORF zu den Privatsendern?

Grasl: Der ORF hat sämtliche Veränderungen in der Fernsehlandschaft Österreichs in den letzten 50 Jahren geprägt. Und jetzt gibt es Stimmen, der ORF dürfe zB. keine APPs produzieren oder keine neuen Digitalkanäle bespielen. Natürlich gibt es bestimmte Dinge, die sollen die Privaten machen, und bestimmte Dinge, die ein öffentlich-rechtlicher Sender tun soll. Der ORF soll aber an Inhalt und Qualität gemessen werden. Aber man kann uns doch nicht in der Technologie- oder in der Distributionsfrage beschränken und damit verhindern, dass wir dort sein können, wo unsere Kunden sind! Das wäre wie wenn man vor knapp 50 Jahren gesagt hätte: „Farbfernsehen ist für die Privatsender, die Öffentlich-Rechtlichen müssen schwarz-weiß bleiben“ Das ist natürlich Unsinn, die Plattformneutralität ist daher eine wichtige Frage für uns.

leadersnet.at: Der Besetzungspolitik im ORF wird oftmals der Proporz nachgesagt....

Grasl: Die Herausforderungen am Markt sind so komplex, dass man es sich nicht leisten kann, nach anderen Kriterien als nach Qualität zu besetzen. Ich habe in meiner Direktionszeit mehrere entscheidende Positionen besetzt, zum Beispiel Oliver Böhm als Geschäftsführer der ORF Enterprise oder Alexandra Fida als Leiterin des New Business Development.  Ich habe noch keinen einzigen Menschen gefragt, wo er ideologisch dazugehört. Alle Kolleginnen und Kollegen wurden nach objektiven Kriterien ausgesucht und der Erfolg gibt uns Recht. Ich kann doch die Vermarktung des ORF – da geht es um ein Gesamtvolumen von rund 220 Millionen Euro – nicht in die Hände von jemandem legen, der vielleicht gute Beziehungen hat, aber sich im Geschäft nicht auskennt.

leadersnet.at: Was ist die Vision des Richard Grasl?

Grasl: Den ORF in einer Zeit des größten Umbruches, den die Medienlandschaft je erlebt hat, so erfolgreich zu modernisieren, dass wir locker mithalten können. Im Augenblick geht’s uns ja gut mit Reichweiten und Marktanteilen – aber wir müssen uns schon jetzt darauf einstellen, wie Medien künftig konsumiert werden – aus gegebenem Anlass zum Beispiel die Apple Watch., Bei orf.at waren wir sehr erfolgreich und als eines der ersten Medien überhaupt auf dem Markt. Genau so muss es uns jetzt wieder gelingen. Gleichzeitig wird ja außerdem der gesamte Standort Küniglberg umgebaut – wir müssen hier im ORF also nicht nur Struktur und Workflow umstellen, sondern auch das Haus dazu bauen.

leadersnet.at: Wann wird der Umbau des ORF-Gebäudes fertig sein?

Grasl: Die Sanierung des großen Verwaltungstrakts wird Mitte 2016 abgeschlossen sein, die anderen Gebäudeteile sowie der große Zubau werden sukzessive bis 2021 fertiggestellt. Und das wird für das gesamte Team parallel mit dem Umbruch in der Medienlandschaft bestimmt die größte und spannendste Herausforderung. Gottseidank fühle ich mich noch sehr jung und bin voller Ideen ... bis jetzt läuft es auch sehr gut.

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