Interview Karin Pollack
LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das Nachhaltigkeits-Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in allen ihren Facetten von Environment über Social bis Governance.
Nachdem es bei den letzten zwei Artikeln um Wissenswerte über die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD gegangen war und zahlreiche Expert:innen diesbezüglich zu Wort gekommen waren, geht es dieses Mal um das Thema Kreislaufwirtschaft.
æhre: Eine Einstiegsfrage: Was genau ist Kreislaufwirtschaft?
Dobrauz: In einer Kreislaufwirtschaft entsteht kein Müll. Das ist vielleicht die einfachste Definition. Alles wird weiterverwendet oder wiederverwertet. Das ist ein Grundprinzip der Natur und hat sich erst durch die Industrielle Revolution, etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, verändert.
æhre: Inwiefern?
Dobrauz: Erst seit damals gibt es Müll. Unser heutiges Wirtschaftssystem funktioniert nach dem Prinzip Take – Make – Waste. Also: Wir entnehmen Ressourcen aus der Natur, verändern sie mit viel Energie und Arbeit und machen sie zu Produkten, die von der Natur nicht mehr abgebaut werden können. Dadurch entstehen Abermillionen Tonnen von Müll, die auf Deponien in Afrika oder Südamerika landen.
æhre: Aber Österreich ist Weltmeister in der Mülltrennung ...
Dobrauz: Recycling ist eine Zwischenstufe. Es ist wichtig, Müll zu trennen. Doch eigentlich sollte Müll in sämtlichen Bereichen des Lebens gar nicht erst entstehen.
æhre: Können Sie ein Beispiel geben?
Dobrauz: Besonders eindrücklich ist das Problem in der Bekleidungsbranche. Die Modeindustrie ist für 10 Prozent des CO₂-Ausstoßes verantwortlich, produziert sogar mehr Müll als die Automobilindustrie. Die Ellen MacArthur Foundation hat ermittelt, dass pro Sekunde eine Lastwagenladung Kleidung entweder verbrannt wird oder auf der Müllhalde landet. Wollte man das beziffern, werden 460 Milliarden Dollar pro Jahr verschwendet.
æhre: Was wäre das Gegenmodell?
Dobrauz: Neue Stoffe, die von selbst verrotten, ein bisschen so, als ob man ein kaputtes Hemd in den Garten wirft und es nach ein paar Monaten zu Erde wird. Solche Stoffe gibt es bereits. Eine andere Form wäre es, wenn Kleiderhersteller ihre Waren zurücknähmen, dieses Material also wie einen Rohstoff betrachten und weiterverwerten würden.
»Recycling ist eine Zwischenstufe. Eigentlich sollte Müll erst gar nicht entstehen.« Günther Dobrauz-Saldapenna
æhre: Für welche Branchen eignet sich Kreislaufwirtschaft noch?
Dobrauz: Für jede Branche. Alles, was auf dem Markt ist, sollte im Sinne der Wiederverwertbarkeit neu betrachtet werden. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten zwei Jahren in der EU entsprechende Regularien eingeführt werden und sich die gesamte Wirtschaft nach diesen Prinzipien neu orientieren wird.
æhre: Die aktuell jedoch nicht unbedingt wächst. 2019 lag der Anteil an Waren, die in Kreislaufwirtschaft produziert wurden, bei 9 Prozent, 2023 nur noch bei 7 Prozent. Wie ist das zu erklären?
Dobrauz: Kreislaufwirtschaft hat sehr viel mit Lieferketten zu tun. Sie sind in der Pandemie zusammengebrochen, auch der Krieg in der Ukraine übt einen starken Einfluss auf die Warenwirtschaft aus. Das hat uns gezeigt, wie abhängig wir von jenen Ländern sind, die unsere Waren billig produzieren. Es ist mitnichten so, dass ein Schweizer Qualitätsprodukt auch tatsächlich in der Schweiz produziert wird, sondern in Billiglohnländern. Die Industrienationen haben nahezu die gesamte Produktion von Waren ausgelagert. Ein Ziel von Kreislaufwirtschaft ist es, die Produktion wieder zurückzuholen.
Günther Dobrauz-Saldapenna ist Jurist, Partner des Schweizer Investmenthauses exelixis capital AG und Leiter des Family-Office Dobrauz-Saldapenna 1858 AG. Zuvor war er als Unternehmensberater bei Deloitte, zuletzt bei PricewaterhouseCooper tätig. © aehre/ Lukas Ilgner/ bereitgestellt
æhre: Wer sind die Gegner der Kreislaufwirtschaft?
Dobrauz: Dobrauz: All jene, die ihre Prozesse nicht neu denken wollen. Große Unternehmen produzieren Waren, denken linear. Produktionen in kreislauffähige Systeme zu transferieren, bedeutet immer auch ein großes Investment, weil Lieferketten komplett umgestellt werden müssten. Dafür werden Manager:innen heute aber nicht bezahlt. Ich denke, dass erst neue Gesetze Dynamik hineinbringen werden.
æhre: Weniger global und wieder mehr regional?
Dobrauz: Die Zukunft liegt in kürzer gedachten Lieferketten, davon bin ich überzeugt. Ich denke, dass die Transformation aber auch durch die Technologie erfolgen wird. In Zukunft werden Lieferketten digital erfasst und abgewickelt. Mit der künstlichen Intelligenz werden sich vollkommen neue Möglichkeiten eröffnen, auch das spielt in die Hände der Kreislaufwirtschaft. Es wird vollkommen neue Businessmodelle geben.
æhre: Was bedeutet das konkret für Unternehmen?
Dobrauz: Kreislaufwirtschaft ist eine Art des Denkens und beginnt bei jedem Einzelnen. Wer einkaufen geht, kann einfach eine Stofftasche mitnehmen. In Unternehmen gibt es je nach Branche unterschiedliche Ansätze. Verpackungen sind ein riesiges Thema. Es geht darum, sich zu informieren, wie man Dinge in einem konkreten Sinn in der eigenen Realität kreislauffähig machen kann. Ich trage Shirts aus wiederverwendbaren Materialien. Mein Sohn auch. Er ist stolz darauf und fragt mich oft, ob das, was ich gerade mache, kreislauffähig ist. Den jungen Leuten ist das sehr wichtig. Kreislauf gegen die Krise sozusagen.
æhre: Gibt es Best-Practice-Modelle?
Dobrauz: Der Stoffhersteller OceanSafe AG ist ein Beispiel. Oder Häuser in Holland, die aus komplett kreislauffähigen Materialien gebaut sind. Auch der Uhrenhersteller ID Genève setzt Kreislaufwirtschaft genial um. Alle Bestandteile sind aus recycliertem Stahl. Das Uhrband ist nicht aus Leder, das wäre ja Sondermüll, sondern wird aus Blättern hergestellt. Und die Verpackung ist ebenfalls biologisch abbaubar. Das fand auch Leonardo DiCaprio fantastisch und hat in diesen Uhrenhersteller investiert.
Lösungsorientiert. Produktionen zurückholen, Verpackungen überdenken und vollkommen neue Produkte entwickeln: Günther Dobrauz-Saldapenna, Gründer von exelixis Capital AG, im Gespräch mit Karin Pollack © aehre/ Lukas Ilgner/ bereitgestellt
æhre: Wie sehen Sie die Zukunft?
Dobrauz: Es werden neue Geschäftsfelder entstehen. Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass die Kutschenbauer von einst keine Automobilproduzenten geworden und auch die Hersteller von Schreibmaschinen nicht ins Computerbusiness eingestiegen sind. Es gibt derzeit viele interessante Start-ups, die an vollkommen neuen Lösungen arbeiten. Gut, wer bei diesem Trend dabei ist.
»Die Zukunft liegt in kürzer gedachten Lieferketten.« Günther Dobrauz-Saldapenna
æhre: Das sagen Sie auch, weil Sie als Investor tätig sind. Das von Ihnen gegründete Venture-Capital-Unternehmen exelixis capital AG hat seinen Fokus auf Kreislaufwirtschaft. Sehen Sie einen Boom?
Dobrauz: Definitiv. Wir haben als Familienunternehmen begonnen und sind gewachsen, weil es viele interessante Projekte gibt und wir Geld verdienen können. Es ist die Kombination aus Kreislaufwirtschaft und Technologie, die neue Geschäftsfelder entstehen lassen wird. Sie sind unsere Vision für eine gesunde Zukunft. –
Das gesamte Interview als Podcast können Sie hier anhören.
Außerdem: Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im neuen Nachhaltigkeits-Businessmagazin aehre auf www.aehre.media und in der neuen Ausgabe ab 12.12. am Kiosk.
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