Gastkommentar Peter Sverak
Targeting statt Streuverlust: Was Europa von US-Wahlkampagnen lernen kann

| Redaktion 
| 03.12.2024

Gastkommentar von Peter Sverak, Landesgeschäftsführer der ÖVP Wien.

Die letzten eineinhalb Wochen vor der US-Wahl 2024 verbrachte ich in Washington D.C. und Kalifornien – zwei Regionen, die die politische Vielfalt der Vereinigten Staaten eindrucksvoll zeigen. Vor Ort konnte ich erleben, wie der US-Wahlkampf tatsächlich funktioniert: präzise, datengesteuert und mit einem beeindruckenden Fokus auf direkte Wähleransprache. Ob bei den Kampagnen von Kamala Harris oder Donald Trump – die Methodik und Dynamik der US-Wahlstrategien bieten wertvolle Ansätze, die auch bei uns zu einer zielgerichteteren und effizienteren Kampagnenführung beitragen könnten.

Chirurgische Präzision der Kampagnenführung

Was in den USA sofort auffällt, ist die beinahe chirurgische Präzision der Kampagnenführung. Während in Europa oft breit gestreut wird, setzen US-Kampagnen auf datenbasierte Strategien. Tür-zu-Tür-Kampagnen, lokale TV-Spots und zielgerichtete Social-Media-Ansprache werden exakt auf potenzielle Wählergruppen zugeschnitten. Freiwillige sind dabei das Rückgrat dieser "Grassroots"-Bewegungen. Ausgestattet mit detaillierten Informationen zu ihren Gesprächspartner:innen, sprechen sie Menschen gezielt an – persönlich, überzeugend und nah an ihren Bedürfnissen. Auch wenn der europäische Datenschutz solche Vorgehensweisen erschwert, bleibt die zugrunde liegende Strategie eine Lektion: Präzision schlägt Streuverlust.

Die Dominanz sozialer Medien

Die Dominanz sozialer Medien in US-Kampagnen ist beeindruckend. Inhalte entstehen in Echtzeit, oft direkt über das Smartphone – sei es ein Reel, ein Video oder ein Beitrag, der blitzschnell mit Millionen geteilt wird. Unterstützer:innen werden aktiv eingebunden und fungieren als Multiplikatoren, was eine enorme Reichweite erzeugt. Besonders auffällig ist, wie diese Dynamik durch die Vielzahl gleichzeitig stattfindender Wahlen verstärkt wird. Neben der Präsidentschaftswahl stehen hunderte weitere Ämter zur Wahl – von Kongresssitzen bis zu lokalen Posten. Diese Vielfalt erfordert klare Botschaften und eine gleichzeitig breite wie präzise Themenabdeckung.

Klare Gewichtung der Botschaften 

Eine weitere Erkenntnis ist die klare Gewichtung der Botschaften: Etwa 40 Prozent des Inhalts zielen darauf ab, den:die politische:n Gegner:in zu kritisieren, weitere 40 Prozent heben die eigenen Stärken hervor. Nur etwa 20 Prozent beschäftigen sich mit konkreten politischen Vorhaben. Dieses Verhältnis zeigt, wie stark in den USA auf Emotionalisierung gesetzt wird. Ziel ist es, die Wähler:innen nicht nur zu überzeugen, sondern sie zu mobilisieren – ein Ansatz, der die Bedeutung emotionaler Kommunikation in Wahlkämpfen unterstreicht.

Die Rolle der TV-Werbung

Ein weiterer Unterschied zu europäischen Gepflogenheiten ist die Rolle der TV-Werbung. Durch regionale Aussteuerung können spezifische Wählergruppen präzise angesprochen werden. Möglich wird das durch die enormen Budgets, die durch Spenden generiert werden. Präsidentschaftskandidat:innen sammeln regelmäßig Hunderte Millionen Dollar, aber auch lokale Kandidat:innen verfügen über Mittel, die in Europa unvorstellbar erscheinen. Diese finanzielle Basis erlaubt eine Werbedichte, die Botschaften tief verankert.

Was Europa lernen kann

Die Erfahrungen aus den USA zeigen klar: Wahlkämpfe müssen präziser, datengestützter und emotionaler werden. Wähler:innen dort zu erreichen, wo sie sind – mit den passenden Themen, auf den richtigen Kanälen und zur besten Zeit – ist der Schlüssel. Auch wenn nicht alle US-Methoden in Europa direkt umsetzbar sind, bleibt die zentrale Lektion: Datenanalysen, klare Botschaften und die aktive Einbindung von Unterstützern können eine neue Qualität in die politische Kommunikation bringen.


Kommentare auf LEADERSNET geben stets ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors bzw. der jeweiligen Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion. Im Sinne der Pluralität versuchen wir unterschiedlichen Standpunkten Raum zu geben – nur so kann eine konstruktive Diskussion entstehen. Kommentare können einseitig, polemisch und bissig sein, sie erheben jedoch nicht den Anspruch auf Objektivität.

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV