Text von Karin Pollack
LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das Nachhaltigkeits-Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in allen ihren Facetten von Environment über Social bis Governance.
Nachdem es bei den letzten Artikeln, welche aus dem neuen aehre Nachhaltigkeitsbusiness-Magazin stammen, um das Arbeiten mit Behinderung und Inklusion ging, soll sich dieses Mal alles um Arbeiten im Alter drehen. Wir leben in einer alternden Gesellschaft, in vielen Branchen fehlen die Fachkräfte – vor allem die Frauen. Warum also nicht das Pensionsalter erhöhen? Die Berufserfahrung von langjährigen Mitarbeitenden spräche dafür, doch generelle Lösungen für eine Neuordnung sind schwierig.
Erfahrung ist eine wunderbare Sache. Sind für Jüngere viele Dinge neu, überraschend und herausfordernd, haben all jene, die schon lange im Job sind, den großen Vorteil, schon sehr viel erlebt zu haben. "Been there, seen that, done that" war der Titel einer in den 1990er-Jahren erfolgreichen, irischen Rockband namens "Something happens", die in sechs Worten all das zusammenfasst, was unter dem Begriff Erfahrung zu verstehen ist. Beruflich betrachtet heißt das, dass alle möglichen und unmöglichen Schwierigkeiten im Job bekannt sind und langjährige Mitarbeitende wissen, welche Lösungswege sich bewährt haben. Plus: der große Vorteil von Routinen, die die Abwicklung von Prozessen beschleunigen.
Doch die wertvolle Erfahrung hat auch ihre Schattenseiten. Ältere Mitarbeiter:innen sind im Vergleich zu neuen wesentlich teurer, zumindest aus Arbeitgeber:innensicht. In Branchen, die finanziell unter Druck stehen, wird deshalb oft lieber auf die Jungen, im Vergleich wesentlich kostengünstigeren Arbeitskräfte gesetzt.
»Die Erhöhung des Pensionsantrittsalters ist ein wichtiger Schritt, um die demografische Entwicklung bei gleichzeitigem Mehrbedarf der Arbeitskräfte aufeinander abzustimmen.« Martin Kocher, Arbeitsminister
Aus Sicht der Arbeitnehmenden ergibt sich auch ein höchst differenziertes Bild. Nicht alle können und wollen über das gesetzliche Pensionsalter hinaus arbeiten und freuen sich auf den Ruhestand, vor allem dann, wenn der Arbeitsalltag mühsam oder ärgerlich war. Fakt ist auch, dass viele dem Stress auch nicht mehr gewachsen sind: Mit den Lebensjahren wird statistisch auch die Wahrscheinlichkeit für Krankheiten größer, und das wiederum beeinträchtigt die individuelle Leistungsfähigkeit. Eine Studie des Robert Koch-Instituts in Deutschland zeigt, dass jeder Vierte zwischen 65 und 74 Jahren einmal im Jahr ins Krankenhaus muss. Und mit 70 Jahren leiden 25 Prozent an psychischen Erkrankungen, 32 Prozent an Schwerhörigkeit. Außerdem stellt sich die Frage des Pensionsantritts für Menschen, die körperlich anspruchsvolle Tätigkeiten ausüben, anders als für all jene, die ihre Arbeitszeit in Büros sitzend verbringen. Kurzum: Der Arbeitsmarkt lässt aufgrund seiner vielen unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten kaum allgemeingültige Lösungen zu. Deshalb werden Debatten um das Pensionsantrittsalter stets sehr kontrovers geführt.
Rechnerisch unmöglich
Doch Tatsache ist: Auf lange Sicht betrachtet ist das Pensionssystem in seiner heutigen Form nicht mehr ausreichend. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Eco zeigt seit Jahren die Gründe dafür auf. Erstens: Die Lebenserwartung ist seit den 1970er-Jahren von 70 auf 81 Jahre gestiegen, das heißt, die Menschen beziehen in Relation zu den geleisteten Arbeitsjahren auch viel länger Pension. Zweitens: Die Geburtenraten sind gesunken, was bedeutet, dass wesentlich weniger Junge für die Pensionen ihrer Eltern und Großeltern aufkommen müssen. Das wiederum sprengt den Generationenvertrag. Und drittens: Die Differenz muss der Staat zuschießen, was über einen längeren Zeitraum gesehen nicht leistbar wäre.
Dringend reformbedürftig
Deshalb ist es also nur folgerichtig, dass der Nationalrat Ende Januar dieses Jahres Maßnahmen für eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters gesetzt hat. Mit den Stimmen der schwarz-grünen Regierung wurde ein höherer Pensionszuschlag für all jene beschlossen, die über das Regelpensionsalter hinaus in Beschäftigung sind. Der jährliche Bonus wird von 4,2 auf 5,1 Prozent erhöht und kann maximal drei Jahre bezogen werden. Der Bund wird, wie in der Aussendung dargelegt, auf zwei Jahre befristet, außerdem einen Teil der Pensionsbeiträge jener Beschäftigten übernehmen, die neben der Pension erwerbstätig sind. Diese müssen nur für jenen Teil des Zuverdienstes Pensionsbeiträge leisten, der über der doppelten Geringfügigkeitsgrenze liegt. Im Jahr 2024 sind das 1.037 Euro. Bundesminister Johannes Rauch von den Grünen sagte: "Wir reagieren auf den Wunsch von immer mehr Menschen, die länger arbeiten wollen, und werden deshalb weitere Schritte setzen, um den Übergang vom Erwerbs- ins Pensionsleben flexibler zu gestalten." ÖVP-Klubchef August Wöginger freute sich, weil er es als Maßnahme gegen den Fachkräftemangel betrachtet und das Mantra, dass Leistung sich wieder lohnen müsse, erfüllt sieht.
Potenzielle Arbeitskraft. Das gesetzliche Pensionsantrittsalter ist eine Sache, der tatsächliche Antritt eine andere. Auch wenn die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen ist, wurde das Antrittsalter nur sehr dosiert angepasst. Die Möglichkeit für Frühpensionen hebelt Systeme aus. © OECD
Politisch möglich
Und weil Pension als Thematik wirklich schwer zu verstehen ist, weil es in die Grundfesten des sozialen Miteinanders in einem Staat eingreift, ist im Gesetzesvorschlag auch ein Informationspaket inbegriffen. Bei der Pressekonferenz pflichtete auch Ingrid Korosec dem Minister bei. Die Präsidentin des Österreichischen Seniorenbundes bezeichnete die neue Regelung als "Win-win-Situation" und „Etappenziel“. Und auch Arbeitsminister Martin Kocher äußerte sich positiv und sprach von einem "ersten wichtigen Schritt, um die demografische Entwicklung bei gleichzeitigem Mehrbedarf der Arbeitskräfte aufeinander abzustimmen". Dass es damit nicht getan ist, weiß der Arbeitsminister allerdings auch. Denn er kennt auch die österreichische Realität auf dem Arbeitsmarkt und weiß, wo Wunsch und Realität auseinanderklaffen.
De facto ist es nämlich so, dass Männer im Schnitt nicht wie vorgesehen mit 65 Jahren in Pension gehen, sondern schon mit 59,1 Jahren und Frauen nicht mit 60, sondern bereits mit 57,1 Jahren. Der Grund dafür ist, so Expert:innen einhellig, die Tatsache, dass es gesetzlich möglich ist und der Staat in der Vergangenheit Frühpensionierungen auch gefördert hat. Zudem steigen durch das Senioritätsprinzip mit zunehmendem Alter die Einkommen, was Arbeitnehmende kostspieliger macht. Eine von Sora durchgeführte Studie im Auftrag des Arbeitsmarktservices kam zum Ergebnis, dass sich das Alter in Bewerbungsprozessen nicht als Vor-, sondern als Nachteil herausstellt. Ältere Menschen können sich zwar bewerben, bekommen aber den Job nicht. Das erklärt auch die hohe Langzeitarbeitslosigkeit von Menschen über 50 Jahre. Sie liegt bei 10,3 Prozent.
Von wegen Erfahrung
"Altersdiskriminierung ist auch ein geschlechtsspezifisches Problem", sagt Sandra Konstatzky, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft im Bundeskanzleramt. In ihrem jährlichen Bericht sieht sie diesbezüglich eine Häufung. Während ein höheres Alter bei Männern als Qualität gesehen wird, würden Frauen ab dem 50. Lebensjahr oft schon zum alten Eisen gezählt, vor allem in Branchen, in denen Frauen in gut dotierten Positionen arbeiten, sei dies der Fall – etwa im Journalismus. Konstatzky betont dabei auch das Dilemma, dass sich das niedrige Pensionsantrittsalter von Frauen, das ursprünglich als Schutz etabliert wurde, in Wahrheit als Nachteil herausstellt. Denn es beeinträchtigt vor allem die Höhe der Pensionen, was im schlechtesten Fall die Altersarmut bei Frauen erhöhen kann.
Expert:innen sprechen sich deshalb meist für flexible Modelle beim Pensionsantrittsalter aus. Vorbildwirkung hat die 2005 in Finnland beschlossene Pensionsreform, bei der die Frühpension abgeschafft wurde und Arbeitnehmer:innen die Wahl haben, zwischen 63 und 68 Jahren in Pension zu gehen. Ziel ist es, Menschen länger in Beschäftigungsverhältnissen halten zu können. Wer länger arbeitet, bekommt allerdings auch deutlich mehr Pension. Zudem sind die Beiträge, die ältere Arbeitende zwischen 63 und 67 leisten, viermal so viel wert wie die Jahre davor. Das kann Pensionen um einige Hundert Euro nach oben schnellen lassen.
Gutes Leben
Auch das schwedische Modell ist laut Wirtschaftsforschungsinstitut Eco dem österreichischen überlegen. Dort gibt es zwar – so wie hierzulande – auch ein Pensionskonto, doch im Unterschied zum österreichischen Modell sind in Schweden die Beiträge für Einzahlende fix und nicht die Höhe der Pensionen. Die Pensionshöhe ergibt sich aus dem Zeitpunkt des Pensionsantritts, indem das angesparte Kapital auf die erwartete Pensionsdauer aufgeteilt wird. Wer früher zu arbeiten aufhört, bekommt auch eine niedrigere Auszahlung, weil die erwartete Pensionsdauer steigt und weniger eingezahlt wurde. Auch das Pensionsantrittsalter zwischen 61 und 69 Jahren ist in Schweden flexibel gestaltet. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit einer Teilpension, um parallel auch in Teilzeit arbeiten zu können.
Klar ist, dass in einer sich wandelnden Gesellschaft auch die Institutionen mitziehen müssen. Im österreichischen Pensionssystem wirken viele Kräfte zusammen. Das langfristige Ziel scheint wohl, dass alle, die länger arbeiten können und wollen, auch die Möglichkeit haben sollten. Was einfach klingt und individuell vielleicht wünschenswert ist, erfordert jedoch in den nächsten Jahren gesetzliche Meisterleistungen. Nur so kann ein gutes Leben im Alter gewährleistet werden. –
Mehr über das Pensionssystem in Österreich erfahren Sie in der Infobox.
Außerdem: Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im neuen Nachhaltigkeits-Businessmagazin aehre auf www.aehre.media.
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