Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Frieden

| Redaktion 
| 10.11.2024

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Geneigte Leser:innen, in den vergangenen Tagen und Wochen ist viel passiert. So hat beispielsweise der deutsche Bundesfinanzminister Christian Lindner ein viel beachtetes, 18-seitiges Papier zur Wirtschaftswende in Deutschland präsentiert. Nun ist Linders Karriere als Finanzminister zwischenzeitlich unrühmlich zu Ende gegangen. Das Dokument ist dennoch wirklich lesenswert, Interessierte finden es unter dem Link wirtschaftswende-deutschland.pdf, und – unter uns – ich würde die Inhalte auch für Österreich als gute Basis erachten.

Was ist "Frieden"

Die deutsche Ampelkoalition ist am Ende und es wird voraussichtlich im Frühjahr 2025 gewählt. Dann gingen soeben die US-Wahlen über die Bühne, deren immense Auswirkungen auch wir hier in Europa zu spüren bekommen werden. Doch weder über das eine noch über das andere möchte ich mich-zumindest heute- äußern, sondern zu einem Thema, das uns wirklich alle umtreibt – die Rede ist vom Frieden. Als "Friede" bezeichnen wir im heutigen Sprachgebrauch den allgemeinen Zustand zwischen Menschen, sozialen Gruppen oder Staaten, in dem bestehende Konflikte in rechtlich festgelegten Normen ohne Gewalt ausgetragen werden. Doch blicken wir uns um, sieht die Realität leider ganz anders aus.

In der Ukraine herrscht seit dem Angriff Russlands nun schon seit beinahe drei Jahren Krieg. Im Nahen Osten ist die Gefahr eines Flächenbrandes allgegenwärtig. Und doch – oder vielleicht gerade deshalb – wünschen sich nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern wir alle uns nichts sehnlicher als Frieden.

Wichtige Gedanken

Aber wie kann es gelingen, wenn Krieg herrscht, zu Frieden zu gelangen? Ich maße mir nicht an, die eine allumfassend richtige Antwort darauf liefern zu können, aber ein paar wichtige Gedanken müssen meines Erachtens auf dem Weg dorthin jedenfalls eine Rolle spielen. Am Beispiel des Krieges in der Ukraine lässt sich etwa festmachen, dass vor allem rechts- und linksextrem orientierte Gruppierungen die Meinung vertreten, man müsste einfach nur mit Russland – also Putin – reden, und die Ukraine müsste einfach nachgeben, also in der Schlussfolgerung das eigene Land aufgeben. Dieser vorgeschlagene Weg lässt den viel einfacheren Weg völlig außer Acht, nämlich, dass sich Russland aus den besetzten Ländern zurückzieht und die Kriegshandlungen einstellt. Die erste Variante ist nicht nur deshalb, sondern aus mehreren anderen Gründen unrealistisch und wird keinen Frieden bringen können.

  1. Frieden kann nur dann dauerhaft hergestellt werden und funktionieren, wenn sich beide Seiten damit arrangieren können. Dies ist sicherlich nicht möglich, wenn ein Aggressor, welcher – wie im Falle der Ukraine – unberechtigt und ohne Anlass das Land überfällt, und der "Frieden" das Resultat durchgesetzter Kriegsziele ist.
  2. Bekommt der Aggressor im Rahmen eines solchen "Druckfriedens" seine Ziele zugesprochen, wird ihn nichts davon abhalten, auch weitere Ziele im Kriegswege erreichen zu wollen. Im Falle Russlands stünde dann womöglich eine Ausweitung des Landes bis zu den ehemaligen Grenzen des Zarenreiches zu befürchten.
  3. Bekommt ein Aggressor im Rahmen eines "Druckfriedens" seine Ziele zugesprochen, kann dies auch anderen Ländern als Negativbeispiel dienen oder sogar als Aufforderung verstanden werden, Gleiches zu probieren. Was dies für zahlreiche andere Konflikte, beispielsweise Nord-Südkorea, Zypern, Taiwan-China, etc. bedeutet, möchte ich mir nicht vorstellen.

"Fahrplan" für den Frieden

In Anbetracht dessen kann deshalb ein erster Schritt zum Frieden – also Einstellung von Kampfhandlungen, Waffenstillstand und Friedensvertrag – ausschließlich erfolgen, wenn der Aggressor seine Ziele nicht erreicht hat und diese auch nicht erreichen kann. Allein aus diesem Grund halte ich es politisch auch richtig, dem angegriffenen Land in jenem Ausmaß Unterstützung zukommen zu lassen, dass der Aggressor sein Ziel tatsächlich nicht erreichen kann. Wird dies unterlassen, wie viele Links- und Rechtsextreme es fordern, kann es nie zu einem wirklichen und vor allem haltbaren Frieden kommen. Davor machen auch Gespräche schlichtweg keinen Sinn.

Wäre dieser erste Schritt einmal erreicht, müsste in weiterer Folge an einer künftigen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Lösung gearbeitet werden, sodass eine vollumfassende Aussöhnung und damit uneingeschränkter Frieden entstehen können. Dies wurde und wird auch z.B. auch weiterhin etwa im Nahen Osten komplett vernachlässigt. Es bedarf einer sogenannten „Nachkriegslösung", die es allen Parteien ermöglicht, aus dem Frieden einen Nutzen zu ziehen, etwa infolge einer besseren wirtschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Lage als während des Krieges bzw. davor.

Wie dies genau zu umzusetzen wäre, müsste natürlich bereits vorab zumindest in groben Zügen als Fahrplan festgelegt werden. Dabei könnten sich die beteiligten Parteien – wie so oft – Anleihen und Inspiration in der zeitgemäßen Unternehmensführung nehmen. Der Erfolg moderner Unternehmen basiert auf dem Prinzip des freudvollen und engagierten Zusammenarbeitens und nicht, wie noch vor wenigen Dekaden üblich, auf hierarchischen Strukturen, Ausnutzung und Unterdrückung. Wenn dieser grundsätzliche Gedanke in den Köpfen der Aggressoren und den Angegriffenen Platz greifen würde, wäre der Weg zum Frieden schon gar nicht mehr ganz so weit.

Mir ist durchaus bewusst, dass dies alles nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass wirklicher Frieden – und nicht nur eine Zwischenlösung – nur unter den von mir oben ausgeführten Grundvoraussetzungen erfolgen kann.

In diesem Sinne lassen Sie uns konstruktiv und auch wirklich geplant wenigstens versuchen Frieden zu schaffen und nicht nur populistisch nach Gesprächen zu schreien.

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