Interview mit Hans Harrer
"Die schweigende Mehrheit liegt nicht immer richtig – nicht einmischen ist feige"

Im LEADERSNET-Interview spricht Hans Harrer, Vorstandsvorsitzender vom Senat der Wirtschaft, über die Entstehung, das Schaffen und die vier Säulen des Vereins. Außerdem erklärt er, was sich seiner Meinung nach in der Gesellschaft verändern muss, wo es Zeit für radikale Reformen ist und was er sich von Unternehmer:innen sowie Politiker:innen wünscht.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Harrer, Sie sind Vorstandsvorsitzender vom Senat der Wirtschaft. Wie groß ist dieser Verein, was macht er und welche Visionen haben Sie?

Hans Harrer: Der Senat der Wirtschaft wurde ursprünglich als ein Thinktank für eine ökologische, soziale Marktwirtschaft gegründet. Die ersten Impulse zur Gründung hat es vor vielen Jahren beim Forum Alpbach gegeben. Mit seiner Neugier und seinem Verständnis für Wirtschaft einerseits und für Politik andererseits fand Erhard Busek das Thema so interessant, dass er meinte, es gibt nur eins: Sich entscheiden, mit dabei zu sein oder von außen zuschauen zu müssen. Ihm hat gefallen, etwas zu schaffen, das keine Farbenlehre trägt. Wirtschaft wurde auf einem weißen Blatt gesehen, auf dem festgelegt werden konnte, was wir machen, wofür wir stehen und was wir für unser Land tun können.

Aus diesem Thinktank ist dann ein "Do-Tank" entstanden. Mit Thinktanks schlägt man keine Wurzeln. Wurzeln schlägt man nur, wenn man dann den Mut hat, das Denken auf den Boden zu bringen. Der Senat ist dann, so sage ich immer, mutiert in einen Do-Tank und hat sich über die letzten 16 Jahre entwickelt sowie sich mehreren Themen, die auf vier Säulen gebaut sind, gewidmet: Gesundheit, Wirtschaft, Bildung und Ökologie.

Heute besteht der Senat aus 800 Unternehmen aus allen Ebenen der Unternehmerschaft. Unser größtes Interesse ist dabei, Partner des Mittelstandes zu sein, aber auch für Familienunternehmen. Denn sie haben die wenigsten Lobbys in der Gesellschaft. Es ist vieles im Umbruch, auch deswegen, weil die Menschen nicht mehr bereit sind, in alten, ausgetretenen Pfaden zu sein und sich ständig instrumentalisieren zu lassen. Wir glauben daran, dass es besser wird, wenn der Unternehmer selbstbestimmt handelt und nicht fremdbestimmt wird. Je mehr wir regulieren, desto unfreier werden wir. Und wir wissen, Innovationen sind nur im freien Raum machbar. Dafür setzt der Senat auf den Hausverstand. Außerdem wollen wir aus dem Ego-Pfad heraustreten, in dem wir uns die letzten 20 bis 30 Jahre hineinmanövriert haben, weil uns alles zugefallen ist. Wirtschaften war ziemlich einfach, weil immer alles nach oben gegangen ist. Aber die Menschen werden nicht stressfähig, wenn immer alles nach oben geht, sondern wenn sie Fehler machen. Und in letzter Zeit gibt es viele Fehler, weil sich Strukturen und Technologien verändern.

LEADERSNET: Angst ist bekanntlich ein Dealbreaker und die Chance ein Dealmaker. Wie stehen Sie dazu?

Harrer: Mein Leben ist auf einem Optimisten aufgebaut und darauf bin ich stolz. Damit ist alles schon gesagt. Unsere Gesellschaft braucht wieder Zuversicht. Wir besudeln die Menschen mit Angstparolen – ob es nun um den Krieg geht oder die Klimakatastrophe. Menschen haben das Recht auf eine Zukunft. Leistung darf nicht als Schimpfwort genutzt werden. Mein größtes Problem, gesellschaftspolitisch gesehen, ist die schweigende Mehrheit. Viele Menschen wissen, es kann so nicht weitergehen. Sie sind aber entweder zu feige oder zu träge, etwas zu ändern. Aber wenn der Mensch ständig denkt, dass etwas nicht geht, wird es auch nicht gehen.

LEADERSNET: Der Senat ist natürlich politisch und kämpft für Rahmenbedingungen. Wie sehen Sie denn momentan die politischen Vorgaben und was wünschen Sie sich in Anbetracht dessen, dass wir in wenigen Tagen wählen?

Harrer: Ich wünsche mir das Normalste: dass Politik lebensfreundliche Rahmenbedingungen schafft, um die Wirtschaft und Gesellschaft zu befeuern. Ich möchte, dass die Menschen in unserer Gesellschaft wieder zeigen, dass ihre Arbeit und ihre Leistung einen Wert hat. Egal, wer nach diesen Wahlen die politische Verantwortung übernehmen muss, jemand wird es machen müssen. Ich habe nur einen Auftrag zu vergeben: Hört endlich auf, die Menschen mit Problemen zu besudeln. Auch die Medien haben eine gesellschaftliche Verantwortung, dass die Menschen Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft bekommen.

LEADERSNET: Was macht der Senat in absehbarer Zeit?

Harrer: Grundsätzlich konzentrieren wir uns auf die unsere vier Säulen: Bildung, Gesundheit, Ökologie und Wirtschaft. Und auf denen bauen wir ständig Themen auf. Was uns bisher immer gelungen ist. Vor circa neun Jahren haben wir unter anderem begonnen, uns den Sustainable Development Goals (SDG) - also Nachhaltigkeitszielen - zu widmen und darüber aufzuklären. Heute ist das Thema in der Gesellschaft angekommen.

Ein anderes Thema, das der Senat anstößt, sind Bildungsprogramme, da Ressourcen vorhanden sind, die Wissenschaft stärker mit dem Mittelstand, den Unternehmen zu verschränken. Die Wissenschaft braucht die Unternehmen zum Finanzieren ihrer Arbeiten in Zukunft. Wir haben fantastische Universitäten und Fachhochschulen sowie ein gutes Bildungssystem. Wir müssen allerdings die Administration in all diesen Strukturen verschlanken, sprich die Bürokratie herausnehmen, um Wissenschaft Raum für Forschungen zu geben.

Und es gibt viele Bereiche, in denen wir uns der Gesundheit widmen. Ja, auch die Unternehmergesundheit. Daran denkt man oft nicht. Wir müssen diese Themen anpacken und bereit sein, radikal zu reformieren. Radikal bedeutet aber auch, es muss viel ausgeräumt werden, damit Platz für etwas Neues ist. Aber wir nehmen den Ramsch, der da ist, nicht weg. Infolgedessen werden diese Systeme immer unflexibler und unverständlicher.  

LEADERSNET: In Anbetracht der mannigfaltigen Aufgaben, wie sehen Sie es: Dürfen wir uns auf die Zukunft freuen oder müssen wir sie mit großem Respekt erwarten? Und was ist Ihr Appell an die Gesellschaft – vielleicht auch an die Mitglieder des Senats?

Harrer: Es ist ein ganz einfacher Aufruf an die Menschen, dass sie schauen, dass ihre Unternehmen funktionieren. Jeder Unternehmer hat die Aufgabe, dass sein Unternehmen zukunftsfähig bleibt und innovativ ist. Und den Rest der Zeit können sie einsetzen, um mehr für die Gesellschaft da zu sein, sich einzumischen und eben kein Teil der schweigenden Mehrheit zu werden. Außerdem muss die Wirtschaft für den Menschen da sein. Ebenso wie die Politik. Es braucht einfach gute Botschaften und Zuversicht, um die Gesellschaft zu empowern. 

www.senat.at

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