Infineon: Standardisierung als Quintessenz für Wettbewerbsfähigkeit

Valerie Höllinger, CEO von Austrian Standards, und Sabine Herlitschka, CEO/CTO von Infineon Austria, sprechen mit LEADERSNET über Innovationskraft "Made in Austria".

LEADERSNET: Frau Herlitschka, die wirtschaftliche Situation ist momentan in allen Branchen angespannt. Wie agiert Infineon Austria in diesem Umfeld?

Herlitschka: Mikroelektronik, vor allem Energiesparchips für die Elektromobilität, Solar- und Windkraftanlagen oder Rechenzentren, sind derzeit hochgefragt. Wir investieren daher weiterhin kontinuierlich in Forschung und Entwicklung an unseren Standorten in Villach, Graz und Linz. Das macht uns zu einem der forschungsstärksten Unternehmen in Österreich. Erst im September 2021 haben wir unsere neue, vollautomatisierte Hightech-Chipfabrik für Leistungselektronik am Standort Villach eröffnet. Dort fertigen wir Energiesparchips, die die Dekarbonisierung und Digitalisierung ermöglichen. Allein die im Geschäftsjahr 2021 produzierten Energiesparchips helfen, rund 7 Millionen Tonnen an CO2-Emissionen über die Lebensdauer der Produkte einzusparen. Damit leisten wir mit Technologie einen großen Beitrag zur Energiewende.

Wir kooperieren zudem eng mit Universitäten, Fachhochschulen, Forschungszentren und Start-ups. Damit schaffen wir neues Know-how und positive Spill-Over-Effekte für das gesamte Innovationssystem in Österreich.

LEADERSNET: Frau Höllinger, wie passen Standards mit Innovationskraft und Kosteneffizienz zusammen?

Höllinger: Stellen Sie sich vor, Sie müssten jedes Mal das Rad neu erfinden, wenn Sie ein Fahrzeug bauen wollen. Das wäre sehr zeitaufwändig und teuer. Dafür gibt es Standards, die Organisationen helfen, damit diese nicht bei null anfangen müssen, sondern auf bereits Erprobtem aufbauen können.

Innovationen werden oft am Markt vorbeientwickelt, weil die Bedürfnisse und Erwartungen des Marktes unbekannt sind. Es ist unklar, was "state of the art" ist – wo ein Produkt anschlussfähig sein muss. So fällt es schwer, eine kritische Masse zu erreichen, um aus einer brillanten Idee eine vom Markt akzeptierte Lösung zu machen. Standards sind Wegbereiter für Innovationen, indem sie diese im Rahmen bestehender Systeme anschlussfähig und integrierbar machen.

So verhält es sich auch bei zukunftsweisenden Innovationen wie bei Infineon. Standardisierung schafft einen grundlegenden Rahmen, in dem spezifische Lösungen entwickelt werden.

LEADERSNET: Und wie können Standards Forschungs- und Entwicklungsprozesse befeuern?

Höllinger: Fragen Sie am besten unsere heurigen Living Standards Award-Preisträger:innen wie z.B. die Montanuniversität Leoben oder das Österreichische Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI).

Im Rahmen des Projekts "ReWaste4.0" hat die Montanuniversität Leoben in Kooperation mit Zementindustrie und Ersatzbrennstoffherstellern eine Methode zur Berechnung der stofflich verwertbaren Anteile von Ersatzbrennstoffen erarbeitet. Das Ausgangsmaterial dafür: Abfälle. Die Forschungsergebnisse der Universität führten zur Entwicklung eines neuen internationalen Standards für das Recycling von Ersatzbrennstoffen im sogenannten Co-Processing.

Mit dem Projekt "Biorelation" hat das Österreichische Forschungsinstitut für Chemie und Technik (OFI) das Ziel verfolgt, eine validierte In-vitro-Screening-Methode zu entwickeln, die Tierversuche obsolet macht. Diese dient der Bewertung von sensibilisierenden und reizenden Eigenschaften bei Medizinprodukten und wird jetzt auch als anerkannte Alternative zu Tierversuchen in der ISO 10993 geführt.

LEADERSNET: Warum machen Sie Standards bewusst zur Sache des oberen Managements?

Herlitschka: Die Standardisierung hat einen wesentlichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Sie ist ein strategisches Element, um mit Technologien weltweit führend zu sein. Wir befinden uns derzeit in der digitalen Transformation. Hier braucht es mehr denn je Schnittstellen durch Standards.

Mir ist es wichtig, ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um bei europäischen und internationalen Standardisierungsprojekten mitzugestalten. Das stärkt nicht nur die österreichische Wirtschaft, sondern auch die Führungsposition Europas – im Vergleich zu Asien und den USA.

Höllinger: Standardisierung muss Chef:innensache sein – in China z. B. sieht man deutlich, welche Wettbewerbsvorteile es hat, wenn das oberste Management der die notwendige Relevanz beimisst. Nicht umsonst ist China in vielen internationalen Normungsgremien auf dem Vormarsch, was sowohl wirtschaftliche Vorteile für chinesische Unternehmen als auch für die chinesische Volkswirtschaft bringt. Quasi eine Win-win-Situation auf allen Seiten. Auch bei uns und in allen europäischen Ländern, wäre es wichtig, dass die Bedeutung von Standards und Standardisierung in den Chefetagen Einzug hält – so wie bei Infineon.

LEADERSNET: Das Beispiel China zeigt, dass Expansionspolitik durch Technologiestandards gepusht werden kann. Wie antwortet das europäische Standardisierungssystem darauf?

Höllinger: Standards zu setzen, ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit. Denn wer den Standard hat, hat den Markt. China verfolgt seit Jahren mit seiner "One Belt, One Road"-Initiative eine klare Strategie in der Standardisierung. So haben sie sich in wenigen Jahren bei der internationalen Standardisierungsorganisation ISO von 6 auf 75 Sekretariate hinaufgearbeitet.

In Europa wurde die Standardisierung auf politischer, volkswirtschaftlicher und sogar betriebswirtschaftlicher Ebene lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Wir müssen rasch handeln, damit Europa am internationalen Parkett nicht ins Hintertreffen gerät. Denn schon längst ist die Standardisierung zum Austragungsort für den Wettlauf um wirtschaftliche Dominanz geworden.

Einen wichtigen Schritt hat die EU-Kommission durch die Erarbeitung einer Standardisierungsstrategie gesetzt, um u.a. die Rahmenbedingungen für die Standardisierung schneller und fit für die Zukunft zu machen.

LEADERSNET: Frau Herlitschka, wie sehen Sie das in Ihrer Rolle als österreichischer Leitbetrieb?

Herlitschka: Wir unterstützen den Weg zu einem grünen, resilienten und digitalen europäischen Binnenmarkt. Unsere Halbleiterlösungen machen das Leben umweltfreundlicher und sicherer. Sie unterstützen alle Themen, die mit Daten zu tun haben.

Österreich muss auf nationaler Ebene, aber noch mehr im europäischen Verbund, strategische Zukunftsthemen frühzeitig mit der Standardisierung verknüpfen, um Produkte, Prozesse und Dienstleistungen marktfähig zu machen. Es geht um die Positionierung am globalen Markt.

LEADERSNET: Frau Höllinger, was bietet Austrian Standards österreichischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen an, um aktiv einen Beitrag zu leisten?

Höllinger: Wir setzen seit über 100 Jahren auf Schwarmintelligenz. Das Besondere an der Standardisierung ist und bleibt, dass sie offen für alle ist und alle gehört werden. Unsere Türen stehen offen, um die Standards von morgen und Innovationen mitzugestalten.

Wer bei den Komitees und Gremien der Standardisierung an graue Runden von Theoretiker:innen denkt, täuscht sich gewaltig. Wir leben Vielfalt nicht nur, für uns ist sie erfolgsentscheidend. Es gibt Themen, die so komplex sind, dass es viele kluge Köpfe für eine gute Lösung braucht. In der Standardisierung haben alle – egal ob KMUs, Konzerne, Forschungseinrichtungen sowie Startups oder Verwaltung – das gleiche Stimmengewicht.

Darüber hinaus bietet die aktive Mitarbeit an der Standardisierung eine Vielzahl von Vorteilen: Wer in der Standardisierung aktiv ist, weiß ganz schnell, was übermorgen "State of the Art" ist. Durch diesen Einblick in die aktuelle Entwicklung des jeweiligen Fachgebiets, erhalten die Teilnehmenden einen Wissensvorsprung und damit Zeitgewinn. Gemeinsam mit unterschiedlichen Expert:innen können die Teilnehmenden die Inhalte zukünftiger Regelwerke aktiv mitgestalten und beeinflussen.

Herlitschka: Bei unseren Standardisierungsaktivitäten legen wir momentan die Schwerpunkte auf technische Spezifikationen. Wir definieren zudem Anwendungsfälle für die Megatrends Digitalisierung, Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit.

Wir treiben Konnektivitäts-, Netzwerk- und Sicherheitsstandards voran. Und – aktuell sehr spannend – wir entwickeln Innovationsstandards für Quantencomputer.

LEADERSNET: Frau Herlitschka, das sind viele Projekte. Wie halten Sie die Innovationsbereitschaft bei Ihren Mitarbeiter:innen hoch?

Herlitschka: Gute Führung ist interaktiv und diskursiv. Wir arbeiten mit Zielen, nicht mit Maßnahmen. Das ist ein anspruchsvoller Weg. Am Ende sind die erzielten Ergebnisse der Maßstab. Das motiviert alle. Heutzutage ist man nur im Team erfolgreich. Das alles ist in unseren Führungsprinzipien verankert.

Meine Kernaufgabe ist es, den strategischen Rahmen vorzugeben und für Klarheit bzw. Transparenz zu sorgen.

LEADERSNET: Auf welche Führungsqualitäten wird es in Zukunft ankommen?

Höllinger: Erst kürzlich titelte der ORF, dass ein "weiblicher" Führungsstil immer gefragter wird. Und das nicht zu Unrecht, wie ich finde. Das heißt nicht, dass Frauen die besseren Führungskräfte sind, aber die Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass einige traditionell weibliche Attribute zunehmend wichtiger werden.

Führen auf Distanz dominiert die neue Arbeitswelt. Das braucht Vertrauen und gute Beziehungsarbeit. Nur durch regelmäßigen Austausch auf Augenhöhe, Verständnis für die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen, klare Ziele und realistische Erwartungshaltungen kann das gelingen.

LEADERSNET: Wie blicken Sie auf die kommenden Monate?

Herlitschka: Wir erleben einen massiven Wandel und geopolitische Dynamiken. Viele Entwicklungen haben sich bereits früher abgezeichnet. Plötzlich bekommen die Schlagwörter Resilienz und Flexibilität unmittelbare Relevanz. Mein Credo lautet: Chancen in jeder Situation suchen.

Die Digitalisierung und Energiewende erleben einen Schub. Standards können in diesen instabilen Zeiten für Orientierung sorgen. Sie schaffen Fairness und Vertrauen. Umso wichtiger für neue Technologien und die Skalierbarkeit von Innovationen.

LEADERSNET: Was wollen Sie der österreichischen Innovationslandschaft abschließend mitgeben?

Höllinger: Die Innovationskraft Österreichs ist ungebrochen hoch. Österreich rangiert EU-weit im Spitzenfeld im Bereich Forschung und Entwicklung. Damit wir am internationalen Parkett konkurrenzfähig bleiben, dürfen wir uns allerdings nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen.

Wenn es uns gelingt, zum einen die Relevanz von Standards und Standardisierung auch in den Führungsebenen bekannt zu machen und zum anderen junge Expert:innen für die Standardisierung zu gewinnen, können wir die Innovationskraft Österreichs noch weiter ausbauen.

www.austrian-standards.at

www.infineon.com

Valerie Höllinger

© feelimage, Felicitas Matern

ist seit Jänner 2022 Managing Director von Austrian Standards und seit 2021 Mitglied der Geschäftsführung. Die Juristin, Managerin und Unternehmerin verantwortete als Geschäftsführerin des BFI Wien die Geschäftsbereiche der Privat- & Firmenkunden, geförderte Bildungsprojekte sowie Finanzen und – neben der digitalen Transformation – die Segmente Innovation & New Business, Data Science, Vertrieb, Marketing & PR, Customer Care & Quality. Die gebürtige Wienerin war in den Branchen IT, Telekommunikation, Getränkeindustrie und Erwachsenenbildung als Managerin tätig und langjährige stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Bundestheater-Häuser.

Sabine Herlitschka

© Infineon Austria

ist seit April 2014 Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG. Ihre beruflichen Stationen umfassen industrielle Biotech-Forschung, internationale Forschungs- und Technologiekooperation sowie -finanzierung, Internships bei renommierten U.S. Institutionen, Fulbright Wissenschaftlerin und Gründungs-Vizerektorin an der Medizinischen Universität Graz. Neben zahlreichen Funktionen ist Sabine Herlitschka aktuell unter anderem Vizepräsidentin der Industriellenvereinigung Österreich, Stellvertretende Vorsitzende des Rats für Forschung und Technologieentwicklung der Österreichischen Bundesregierung sowie Aufsichtsratsvorsitzende der FH Kärnten.

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ist seit Jänner 2022 Managing Director von Austrian Standards und seit 2021 Mitglied der Geschäftsführung. Die Juristin, Managerin und Unternehmerin verantwortete als Geschäftsführerin des BFI Wien die Geschäftsbereiche der Privat- & Firmenkunden, geförderte Bildungsprojekte sowie Finanzen und – neben der digitalen Transformation – die Segmente Innovation & New Business, Data Science, Vertrieb, Marketing & PR, Customer Care & Quality. Die gebürtige Wienerin war in den Branchen IT, Telekommunikation, Getränkeindustrie und Erwachsenenbildung als Managerin tätig und langjährige stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Bundestheater-Häuser.

Sabine Herlitschka

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ist seit April 2014 Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG. Ihre beruflichen Stationen umfassen industrielle Biotech-Forschung, internationale Forschungs- und Technologiekooperation sowie -finanzierung, Internships bei renommierten U.S. Institutionen, Fulbright Wissenschaftlerin und Gründungs-Vizerektorin an der Medizinischen Universität Graz. Neben zahlreichen Funktionen ist Sabine Herlitschka aktuell unter anderem Vizepräsidentin der Industriellenvereinigung Österreich, Stellvertretende Vorsitzende des Rats für Forschung und Technologieentwicklung der Österreichischen Bundesregierung sowie Aufsichtsratsvorsitzende der FH Kärnten.

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