LEADERSNET: Wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf die globale Lebensmittelversorgung aus? Mit welchen Folgen sind für die kommenden Monate zu rechnen?
Bhushan: Der Krieg in der Ukraine hat sich nicht nur auf die Menge, sondern auch auf die Verfügbarkeit von Lebensmitteln stark ausgewirkt – und dies weltweit. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Beginnen wir mit einigen Zahlen. Auf Russland und die Ukraine entfallen etwa 25 Prozent der weltweiten Weizenexporte (auf Russland rund 19 und auf die Ukraine etwa sieben Prozent). Russland ist der weltweit größte Exporteur von Weizen. Zudem exportiert Russland auch etwa 60 Prozent des Sonnenblumenöls. Außerdem entfallen auf Russland und die Ukraine etwa 17,5 Prozent der weltweiten Maisexporte (auf die Ukraine etwa 15 Prozent und auf Russland etwa 2,5 Prozent). Die Ukraine ist damit der viertgrößte Maisexporteur der Welt. Das ist eine große Menge Nahrung.
Dann gibt es noch die Düngemittel. Hier lohnt sich vor allem ein Blick auf Russland und Weißrussland werfen. Beide Länder sind für rund 18 Prozent der weltweiten Düngemittelexporte verantwortlich. Auf Russland allein entfallen etwa 20 Prozent der weltweiten Ausfuhren von Stickstoffdünger (Ammoniumnitrat und Harnstoff), 25 Prozent der weltweiten Ausfuhren von Kalidünger (Pottasche) und 10 Prozent der weltweiten Ausfuhren von Phosphordünger (Phosphat).
LEADERSNET: Warum ist das so problematisch?
Bhushan: Das ist aus mehreren Gründen problematisch: Erstens ist die Versorgung an russischem und ukrainischen Weizen und Mais wegen des Krieges auf dem Spotmarkt gestört. Außerdem fand die Pflanzsaison in den betroffenen Regionen nicht statt oder war stark beeinträchtigt. Dies wird sich wahrscheinlich auch auf die Verfügbarkeit in Zukunft auswirken. Zweitens hat Russland die Ausfuhr von Düngemitteln verboten, während weißrussische Düngemittel mit Sanktionen belegt sind. Düngemittel aus diesen Ländern sind also nicht auf den Rohstoffmärkten verfügbar und werden es in nächster Zeit auch nicht sein. Zu allem Überfluss hat China die Ausfuhr von Düngemitteln im Juli 2021 verboten. Auf China entfallen etwa 15 Prozent der weltweiten Düngemittelausfuhren. Das bedeutet also eine Unterbrechung der Düngemittelausfuhr für etwa ein Drittel der weltweiten Exporte.
Wir sind der Ansicht, dass diese Probleme zusammengenommen die Lebensmittelmärkte in den kommenden Monaten vor Herausforderungen stellen werden. Eine globale Rezession könnte sicherlich einen Teil der zukünftig erwarteten Nachfrage reduzieren, was die Preise für Lebensmittel und Düngemittel ins Gleichgewicht bringen könnte. Längerfristig wird es jedoch immer wichtiger, die globalen Probleme bei Lebensmitteln und Düngemitteln durch innovative Technologien zu lösen. Wir sind davon überzeugt, dass die Investition in die Lösungen eine praktikable Anlagestrategie sein kann, und genau das tun wir mit unserem Rize Sustainable Future of Food UCITS ETF (RIZF).
LEADERSNET: War die globale Industrie für Lebensmittelerzeugung und -technologie auf die Auswirkungen des Kriegs adäquat vorbereitet? In welchen Bereichen haben sich negative Auswirkungen gezeigt, welche Bereiche sind verschont geblieben?
Bhushan: Nein – unser globales Lebensmittelsystem war nicht darauf vorbereitet! Das liegt daran, dass dieses System unglaublich zentralisiert ist. In den letzten 50 Jahren konnten wir ausschließlich beobachten, wie Länder ihre komparativen Vorteile bei einzelnen Lebensmitteln maximieren. Durch eine Reihe sich wiederholender Optimierungen haben sich die Länder auf die Produktion unterschiedlicher Lebensmittel konzentriert, für die diese Produktion am wirtschaftlichsten ist. Das ist das Ergebnis normaler, freier Wirtschaft: Die Verbraucher haben durch niedrigere Kosten und ständige Verfügbarkeit enorm profitiert.
Heute können wir die Ergebnisse dieser Optimierungen betrachten. Mexiko zum Beispiel, das für den Anbau von Avocados prädestiniert ist, ist zum weltgrößten Avocado-Exporteur geworden. Dasselbe gilt für Russland (Weizen), die USA (Mais), Neuseeland (Milchprodukte) oder Indien (Reis). In diesem System würde zum Beispiel Deutschland niemals zum weltweit führenden Weinexporteur werden. Dieser Titel würde zum Beispiel an Frankreich oder Italien gehen.
LEADERSNET: Zentralisierte Lebensmittelsysteme haben also dazu geführt, dass Länder und Unternehmen, die bestimmte Lebensmittel am effizientesten herstellen konnten, zu den weltweit führenden Herstellern dieser Lebensmittel wurden?
Bhushan: Ja, und durch einen sich selbst verstärkenden Kreislauf haben wir die heute bestehende, stark vernetzte und voneinander abhängige Import-Export-Wirtschaft für Lebensmittel aufgebaut. Auch hier war der letztendliche Nutznießer der Verbraucher. Der entstandene Angebotsschock der Lebensmittelversorgung hat uns jedoch gelehrt, dass vernetzte Systeme nicht unbedingt die robustesten sind. Die Import-Export-Lebensmittelwirtschaft war schon immer mit Risiken behaftet. Und das sehen wir heute mit Blick auf die Lebensmittelversorgungsseite.
Die Auswirkungen sind bei allen vier von den Menschen am meisten verzehrten Nahrungsmitteln (Weizen, Mais, Reis und Kartoffeln) zu spüren. Bei Weizen und Mais aus den oben genannten Gründen, aber auch bei den beiden anderen wegen des Düngemittelproblems, das bereits angesprochen wurde. Das Problem wird sich in den kommenden Monaten auch auf andere Nahrungsmittel ausweiten.
LEADERSNET: Wie sieht eine krisensichere, globale Lebensmittelindustrie aus? Welche Lektionen können wir aus den aktuellen Entwicklungen auf dem Markt für Lebensmittel ziehen?
Bhushan: In einer wirklich krisensicheren Lebensmittelindustrie sind Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit auch im Bestreben nach mehr Nachhaltigkeit wichtige Prioritäten. In einer Zeit des Klimawandels stimmen hoffentlich die meisten Menschen überein, dass Lebensmittelnachhaltigkeit erforderlich ist – und das sowohl in der Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren, als auch, wie wir Lebensmittel konsumieren.
Mehr Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln kann dazu beitragen, die durch Lebensmittel und Landwirtschaft verursachten Emissionen (die größtenteils von dem stammen, was wir essen, vor allem Fleisch und Rindfleisch) sowie die Umweltauswirkungen von Lebensmitteln und Landwirtschaft (z. B. Landnutzungsänderungen, Verlust der biologischen Vielfalt und primärer Lebensräume, Wasser- und Bodenverarmung, Bodenerosion, Verschlechterung unserer obersten Böden, Ausschwemmung von Stickstoff und anderen Pflanzenschutzmitteln, und so weiter) zu bekämpfen.
LEADERSNET: Reicht Nachhaltigkeit alleine?
Bhushan: Nein, wir sind der Meinung, dass ein Lebensmittelsystem, das lediglich nachhaltig ist, uns oder eine unabhängig funktionierende Gesellschaft nicht unbedingt vor akuteren Schocks, Belastungen und Katastrophen schützt, unabhängig davon, ob diese vom Menschen verursacht wurden oder natürlich sind.
Wir sind daher der Ansicht, dass ein krisensicheres Lebensmittelsystem sowohl nachhaltig als auch widerstandsfähig sein muss - und je nachdem, wo auf der Landkarte diese Gesellschaft zu finden ist, auch unabhängig. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass diese Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit nicht unbedingt auf Kosten einer reifen und funktionierenden Importwirtschaft gehen muss.
Es gibt beispielsweise viele wohlhabende Länder, die viele ihrer Lebensmittel aus weniger wohlhabenden Volkswirtschaften importieren, wo diese Importe ebenfalls den Lebensunterhalt von Bauern mit niedrigem Einkommen sichern. Die Notwendigkeit einer reifen und funktionierenden Importwirtschaft rechtfertigt jedoch nicht den völligen Verzicht auf Investitionen in Lösungen für das Krisenmanagement, d. h. die Schaffung einer robusten Ersatznahrungsmittelwirtschaft, wenn Sie so wollen.
Wir haben Backup-Generatoren für Energie und wir haben Backups in der Cloud für unsere Datenverwaltungssysteme, warum können wir also nicht dasselbe für Lebensmittel haben? Wenn Lebensmittel letztlich ein Menschenrecht sind, sollte dann nicht jede Regierung dafür sorgen, dass ihre Bürger:innen im Falle eines Schocks bei der Lebensmittelversorgung, der genau dieses Menschenrecht gefährdet, versorgt sind?
LEADERSNET: Wie sieht eine krisenresistente Infrastruktur denn aus?
Bhushan: Eine krisenresistente Lebensmittelinfrastruktur kann in allen möglichen Formen realisiert werden, von der Errichtung heimischer vertikaler Farmen über die Förderung der Landwirtschaft unter kontrollierten Bedingungen in städtischen Gebieten bis hin zu Investitionen in die Wissenschaft, die dazu beitragen, die Haltbarkeit von Lebensmitteln zu verlängern, und dem Einsatz von Technologien zur Lösung von Problemen in der Rückführungslogistik in Verbindung mit Lebensmittelverschwendung (etwa ein Drittel der von Menschen gekauften Lebensmittel werden verschwendet), einschließlich der Entwicklung von Programmen zur Aufklärung von Menschen über eine nachhaltige und naturfreundliche Ernährung. Ein solches infrastrukturelles Unterstützungssystem besteht aus vielen Komponenten, und wir sind zuversichtlich, dass Europa nun gezwungen sein wird darüber zu sprechen, was langfristig gesehen ein positives Ergebnis der aktuellen Entwicklungen ist.
LEADERSNET: Welche Überlegungen sollte man im Hinblick auf den heurigen Herbst machen und welche Vorkehrungen treffen?
Bhushan: Als Privatpersonen sprechen wir uns für einen achtsamen Konsum in allen Bereichen aus, vor allem in Bezug auf Lebensmittel und Energie. Wir leben in sehr unsicheren Zeiten. Obwohl wir uns in einer Zeit des Krieges befinden, kann dies auch eine Zeit der Selbstbesinnung sein. Die Weltwirtschaft leidet, aber wir wissen auch, dass auch die Natur leidet. Die Wissenschaft hat uns die Grenzen der Biokapazität unserer Erde aufgezeigt.
Deshalb müssen wir diese Zeit nutzen, um zu lernen, diese Grenzen zu respektieren und uns gleichzeitig an den Klimawandel anzupassen. Eine verschwenderische Gesellschaft ist nicht sehr langlebig. Diesen Herbst haben wir die Chance, unsere Neigung nach unbegrenztem Ressourcenverbrauch zurückzuschrauben und zu versuchen, ein gewisses Gleichgewicht mit der Natur wiederzufinden. Vielleicht beschreibt es das Wort "Erhaltung" am besten. Wir müssen mit unseren Lebensmitteln, unserer Energie und unserer Natur sparsam umgehen – und das alles zur gleichen Zeit. Und wir können jetzt damit beginnen.
LEADERSNET: Was raten Sie Anlegern dieser Tage?
Bhushan: Wir möchten Investoren dazu ermutigen, gründlich nachzudenken und ihre langfristigen Perspektiven wiederzufinden. Verbringen Sie Zeit damit, über Ihre tiefsten langfristigen Überzeugungen nachzudenken – die Überzeugungen, wohin sich die Gesellschaft bewegt, und überlegen Sie dann, wie sich das mit dem deckt, was Sie sich wünschen. Machen Sie sich klar, ob es eine thematische Chance zwischen den beiden gibt, und stimmen Sie dann mit Ihren Ersparnissen ab. Investieren Sie in Unternehmen und Branchen, von denen Sie glauben, dass sie für die Zukunft, die Sie sich wünschen, am wichtigsten sind.
Wir haben das Glück, dass der Markt in diesem Jahr stark abverkauft hat und viele Anlagen mit beträchtlichen Abschlagen gehandelt werden. Wir glauben, dass dies einige potenziell interessante Einstiegspunkte für Anleger bietet, die ihre langfristigen Ansichten konsolidieren wollen.
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