"Das Medienecho hat mich ein wenig überrascht"

Der zukünftige ORF-General Roland Weißmann spricht im großen LEADERSNET.tv- und LEADERSNET-Interview über seine Pläne für Österreichs größtes Medienunternehmen, erklärt, warum er welche Direktor:innen ausgewählt hat, verrät, wo es für den ORF digitalen Aufholbedarf gibt und ob er schon Ideen für neue Programme hat. 

LEADERSNET: Sie sind designierter ORF-Generaldirektor. Ist das ein cooler Job?

Weißmann: Eine überraschende Frage (lacht). Natürlich bin ich stolz, froh und motiviert, hier ab Jänner dann tatsächlich arbeiten zu dürfen mit meinem Team, das ja vor wenigen Wochen mit großer Zustimmung durch den Stiftungsrat bestellt wurde. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit unseren hervorragenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ja, ich denke, dass das eine eine tolle Zeit werden wird.

LEADERSNET: Sie sind vom ORF-Stiftungsrat gewählt worden. Wie haben Sie die Diskussionen um diese Wahl empfunden?

Weißmann: Na ja, es ist ja keine Wahl gewesen, sondern die Bestellung einer Vorstandsposition. Tatsächlich ist es so, dass man gesehen hat, wie relevant der ORF nach wie vor für die Österreicherinnen und Österreicher ist. Es hat ein sehr großes Medienecho gegeben. Ehrlicherweise war ich ein wenig überrascht davon, aber insgesamt hat es dann ganz gut funktioniert. Ich freue mich darüber, dass ich von einer Zweidrittelmehrheit im Stiftungsrat, das ist das Aufsichtsgremium des ORF, gewählt worden bin.

LEADERSNET: Wie sehen Sie den ORF im internationalen Vergleich zu anderen Medienhäusern?

Weißmann: Ich würde sagen im internationalen Vergleich sind wir klein, aber oho. Wir sind ein sehr erfolgreiches Unternehmen – über die letzten Jahre auch wirtschaftlich. Wir haben nach wie vor höchstes Vertrauen des Publikums und auch im internationalen Vergleich sehr hohe Marktanteile mit unseren Programmen. Wir stehen im Vergleich mit den anderen öffentlich-rechtlichen Sendern in Europa – sowohl was Radio und Fernsehen als auch online betrifft – wirklich sehr gut da. Auch wirtschaftlich sind wir stabil. Da muss ich schon dazusagen, dass das natürlich auch die Arbeit von Alexander Wrabetz war, mit dem ich übrigens auch nach wie vor sehr gut zusammenarbeite. Dass das Haus heute so gut dasteht, ist zu einem großen Teil auch sein Verdienst.

LEADERSNET: Eines Ihrer Wahlversprechen war die digitale Transformation. Hier gibt es offensichtlich Aufholbedarf. Wie digital ist der ORF?

Weißmann: Wir sind schon sehr digital – viel digitaler, als man es ursprünglich vielleicht vermuten würde. Uns geht es darum, dass wir unser Produkt auch in den digitalen Raum bringen können. Hier gibt es gewisse Schranken für den ORF und hier kämpfen wir dafür, dass wir mit unseren Produkten auch ins Netz kommen. Warum wollen wir das? Wenn man sich die Mediennutzung der unter 30-Jährigen anschaut, ist Streaming das Hauptkonsumationsmittel. Deshalb müssen wir mit unseren Produkten eben ins digitale Streaming hinein, um die Jungen zu erreichen. Und warum wollen wir die Jungen erreichen? Weil wir einen Auftrag haben. Wir müssen die gesamte Bevölkerung erreichen und hier brauchen wir – um unseren öffentlich rechtlichen Auftrag erfüllen zu können – auch die Möglichkeit, die Menschen dort zu erreichen, wo sie Medien konsumieren. Und das ist vermehrt zeit- und ortsunabhängig.

LEADERSNET: Das Schließen dieser "Streaminglücke", sprich dass man auch dafür GIS bezahlt, soll vielleicht schon nächste Woche den Ministerrat passieren. Wird das so sein?

Weißmann: Da bin ich der falsche Ansprechpartner. Es ist ja so, dass sich die aktuelle Geschäftsführung – aber auch ich – schon seit längerem bemühen, dass wir eine digitale Novelle des ORF-Gesetzes bekommen. Aber wann das genau sein wird, da bin ich nicht der richtige Ansprechpartner.

LEADERSNET: Stichwort Online first und Online only – Könnte es das geben, dass der ORF etwas nur für online produziert und nicht über seine klassischen Kanäle ausspielt?

Weißmann: Wir hoffen, dass es diese Möglichkeiten gibt. Wichtig ist: Wir müssen die Menschen dann erreichen, wenn sie die Medien, die Nachrichten und die Informationen konsumieren wollen. Wenn ich an meine eigene Mediennutzung denke, dann ist es so, dass ich untertags sicher 20 Mal aufs Handy auf die blaue Seite (orf.at – Anm. d. Red.) schaue und mich mit Informationen update. Wir wollen die öffentlich-rechtlichen Inhalte dorthin bringen, wo die Menschen Inhalte konsumieren. Das ist der erste Ansatz, den wir verfolgen.

LEADERSNET: Um diesen Ansatz zu verfolgen, ist es natürlich auch notwendig, dass er Gesetzgeber mitspielt. An welchem Punkt sind Sie da?

Weißmann: Wie Sie richtig sagen, ist das eine Entscheidung des Gesetzgebers. Aber natürlich versucht der ORF darauf hinzuweisen, dass Menschen immer mehr streamen und sich vermehrt digitaler Mittel bedienen. Darum wollen wir mit unseren öffentlich-rechtlichen Inhalten dorthin, wo die anderen bereits sind. Dazu braucht es eine Digital-Novelle des Gesetzes. Meines Wissens ist keine große ORF-Gesetzesänderung geplant, sondern "nur" eine digitale Novelle, um mit unseren Inhalten auch digital präsent sein zu können.

LEADERSNET: Es gibt natürlich nicht nur digitale, sondern auch regionale Inhalte. Hierfür sind die neun Landesstudios zuständig. Sie durften jetzt das Team der Landesdirektor:innen gemeinsam mit den Landeshauptleuten, so wie es der Gesetzgeber vor, zusammenstellen ...

Weißmann: Das muss ich ein bisschen präzisieren. Tatsächlich ist es so, dass die Landesdirektorinnen und Landesdirektoren auf meinen Vorschlag hin vom Stiftungsrat gewählt werden. Die Landeshauptleute haben ein Anhörungsrecht und diesem Recht bin ich natürlich nachgekommen. Aber die Entscheidung, also der Vorschlag, kommt vom Generaldirektor – vom designierten – und gewählt werden die Landesdirektinnen und -direktoren vom Stiftungsrat.

LEADERSNET: Das heißt, Sie kennen jetzt alle Landeshauptleute persönlich?

Weißmann: (lacht) Teilweise kannte ich sie schon vorher, aber mittlerweile habe ich mich im Rahmen dieses Prozesses natürlich mit allen Landeshauptleuten und auch dem Wiener Bürgermeister abgestimmt.

Die neuen Landesdirektor:innen in der "Einzelkritik" von Weißmann, gibt es in unserem LEADERSNET.tv-Video.

LEADERSNET: Bei den vier designierten zentralen Direktor:innen haben Sie eine 75-prozentige Frauenquote geschafft. Neue Finanzdirektorin wird etwa ORF-III-Geschäftsführerin Eva Schindlauer. Warum haben Sie sich für sie entschieden?

Weißmann: Wie Sie richtig gesagt haben, gibt es vier zentrale Direktorinnen und Direktoren. Ich habe mich für drei Frauen und einen Mann entschieden. Das sind die 75 Prozent. Hinter dieser Zahl stecken drei Vollprofis. Für Eva Schindlauer habe ich mich deswegen entschieden, weil ich in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit ihr zusammengearbeitet habe. Eva Schindlauer war in der Vergangenheit Geschäftsführerin von ORF III, hat aber nebenbei auch noch die Finanzen von ORF 1 mitbetreut und da hat es eine sehr intensive dreijährige Zusammenarbeit gegeben. Mich beeindruckt, wie sie sich den wirtschaftlichen Herausforderungen stellt. Der ORF ist ja immer dazu angehalten, sehr sorgsam mit seinem Gebührengelder umzugehen. Das machen wir. Eva Schindlauer macht das. Sie kommt ursprünglich aus der Privatwirtschaft, hat lange Erfahrung im Pharmabereich und wird sicher einen sehr guten und frischen Wind in die Finanzgebarung des ORF bringen.

LEADERSNET: Neue Radio-Direktorin wird Ingrid Thurnher. Warum ist die Wahl auf sie gefallen?

Weißmann: Zu Ingrid Thurnher braucht es, glaube ich, nicht viele Worte. Sie ist ein langjähriges journalistisches Gesicht des ORF. Sie steht für Unabhängigkeit und Objektivität. Sie war zuletzt Chefredakteurin von ORF III und hat einen wirklich tollen Job gemacht. Nebenbei hat sie auch noch ein Wirtschaftsstudium absolviert. Darum habe ich sie mit den Hörfunkagenden betraut. Ihre Wurzeln waren ursprünglich auch im Landesstudio Niederösterreich und vor allem war sie selbst lange Hörfunkjournalistin. Sie hat ein sehr spannendes Konzept für die Weiterentwicklung der ORF-Radios ausgearbeitet, das mich überzeugt hat.

LEADERSNET: Puls-4-Senderchefin Stefanie Groiss-Horowitz wird in Zukunft als Programmdirektorin fungieren – vielleicht eine Ihrer spektakulärsten Wahlen ...

Weißmann: Tatsächlich ist es für sie eine Heimkehr. Stefanie Groiss-Horowitz ist ein Fernseh-Vollprofi. Sie hat ihre beruflichen Wurzeln ursprünglich im ORF, war jetzt einige Jahre im Privatfernsehen und hat dort natürlich noch zusätzliches Know-how erworben. Es freut mich besonders, dass ich sie in den ORF zurückholen kann. Auch wenn der ORF natürlich in den digitalen Raum muss, werden auch die klassischen linearen Produkte des ORF, sprich das Radio- und Fernsehprogramm, in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine ganz wichtige Rolle spielen. Deshalb braucht es Vollprofis in diesen Positionen. Stefanie Groiss-Horowitz wird ORF 1, ORF 2 und Sport Plus führen. Nur ORF III hat einen eigenen Chef. Es ist ganz wichtig, dass wir da eine tolle Managerin an der Spitze haben, weil wir natürlich im Wettbewerb stehen. Ich bin mir sicher, dass wir mit ihren Programmideen für unser Publikum weiter interessant bleiben.

LEADERSNET: Was gibt es da an Programmideen, die schon umherschweben?

Weißmann: Also, wir stehen sozusagen schon im Hintergrund in der Küche und bereiten einiges vor. Man muss dazu sagen, dass Fernsehen eine längere Dauer hat. Das heißt, dass wir in den ersten drei, vier Monaten Produktionen zeigen werden, die bereits fertig sind oder jetzt gerade fertig gestellt werden. Wir werden mit dem Staffelfinale der "Vorstadtweiber", mit der Winterolympiade in Peking und "Starmania Reloaded" auf jeden Fall einige Programmhighlights starten können. Es wird rund um die Weihnachtsfeiertage auch das Finale von "Maria Theresia" geben. Da wird als einiges passieren und wir arbeiten im Hintergrund bereits – aber da bitte ich noch um ein bisschen Geduld – an einigen neuen Programmen und Produktideen. Das wird sehr spannend werden und ich glaube, dass sich die Zuschauerinnen und Zuschauer schon auf einiges freuen können.

LEADERSNET: Neuer Technischer Direktor wird GIS-Chef Harald Kräuter. Wird er technisch alles das machen, was Sie sich in dieser digitalen Transformation wünschen?

Weißmann: Er wird vor allem das machen, was der ORF in der Zukunft braucht, um zukunftsfit zu werden. Harald Kräuter ist ebenfalls ein ORF-Urgestein. Er war in der Vergangenheit in der Technischen Direktion Mitarbeiter als Hörfunktechniker tätig und hat es zwischenzeitlich zum stellvertretenden Leiter gebracht. In den vergangenen zehn Jahren war er Geschäftsführer der GIS, einer ORF-Tochter, und hat dort einen sehr guten Job gemacht und es freut mich, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich kenne Harald Kräuter schon sehr lange. In ihm schlägt ein wirkliches ORF-Herz und wir werden die technische Brillanz, für die ORF bekannt ist, auch in den kommenden Jahren unseren Zuschauerinnen und Zuschauer anbieten können.

LEADERSNET: Apropos GIS: Eine Gebührenerhöhung – eigentlich eine Anpassung der Gebühren – steht im Raum. Was wird da auf uns zukommen?

Weißmann: Es ist nicht nur eigentlich eine Anpassung, sondern es ist tatsächlich eine Anpassung. Vom Gesetzgeber ist vorgegeben, dass der ORF alle fünf Jahre einen Gebührenantrag stellen muss. Da wird berechnet, was die Kosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags sind. Es ist ein sehr kompliziertes, im ORF-Gesetz abgebildetes Rechenwerk, das da hinterlegt ist und daraus ergibt sich eine Gebühr, die der ORF zur Verfügung hat, um die beliebten Programme der Österreicherinnen und Österreicher finanzieren zu können. Die 5-Jahres-Periode ist jetzt wieder ausgelaufen. Das heißt, dass wir schon von Gesetzeswegen her einen Antrag stellen müssen und das wird in den kommenden Wochen passieren.

 

LEADERSNET: Weil wir vorhin über die "Streaminglücke" gesprochen haben: Ist es geplant, dass in Zukunft all diejenigen, die schwören, sie schauen eh nicht ORF, aber das am Handy tun, trotzdem zur Kasse gebeten werden?

Weißmann: Das sind zwei Dinge, die völlig unabhängig voneinander passieren. Das eine ist die Gebührenanpassung, die gesetzlich vorgeschrieben ist. Das andere ist ein Urteil, das besagt, dass wenn man ORF-Inhalte über Streaming konsumiert, keine Gebühr zahlen muss. Da wird es wenig überraschen, dass der ORF der Meinung ist, wenn man ORF-Produktionen konsumiert – egal über welche Möglichkeiten – sollten Gebühren entrichtet werden.

LEADERSNET: Der ORF ist einer der größten Partner der heimischen Werbewirtschaft. Wie wird das in einer zunehmend digitalen Welt sein?

Weißmann: Die Situation ist diesbezüglich eine insgesamt sehr schwierige für den heimischen Medienmarkt. Ich habe mir die aktuellen Zahlen, was die Werbespendings im Digitalbereich für Österreich betrifft, angesehen. Da reden wir von knapp zwei Milliarden Euro Werbeumsatz und davon gehen 90 Prozent an internationale Giganten wie Google, Apple, Netflix und Co. Nur zehn Prozent dieses Kuchens bleiben insgesamt für alle heimischen Medienunternehmen über. Deshalb gibt es eine Initiative des ORF, gemeinsam mit anderen heimischen Playern, sich diesem internationalen Trend entgegenzustellen. Es ist nicht gut, wenn so viel Wertschöpfung aus Österreich abgezogen wird, ohne dass die meisten hier Steuern zahlen.

LEADERSNET: Nachdem die Zusammenarbeit der heimischen Medien offenbar funktioniert, wenn es darum geht, sich gegen die Digitalgiganten zu stellen – wird es auch Kooperationen in anderen Bereichen geben?

Weißmann: Der ORF war immer schon Partner der heimischen Medien und das wollen wir auch in Zukunft sein. Es gibt einige Projekte, wie etwa Austria-Videoplattform, wo es mit den österreichischen Zeitungen einen Austausch gibt für Nachrichten und Inhalte des ORF, die wir den Zeitungen zur Verfügung stellen. Das ist nur ein Beispiel, wo man in der Zukunft weiter kooperieren könnte. Es gibt auch beim Sportrechteerwerb Kooperationen. Der ORF arbeitet bei der Formel 1 und der Euro League mit Servus TV zusammen. Diesen Kooperationen stehen wir sehr offen gegenüber und hoffen, so für beide Seiten insgesamt mehr für den heimischen Medienstandort erreichen zu können. Das ist das Ziel.

www.orf.at

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV