Interview mit Christoph Badelt
"Es sollten keine Maßnahmen ohne Gegenfinanzierung beschlossen werden"

| Redaktion 
| 06.01.2025

Im LEADERSNET-Interview spricht Fiskalrats-Präsident Christoph Badelt u.a. über die dringende Notwendigkeit einer Budgetkonsolidierung, den Rückgang der Produktivität, die Rolle von Zukunftsinvestitionen und KI. Zudem erklärt er, weshalb Schweden ein besseres Vorbild für Österreich ist als die Schweiz und was es für eine nachhaltige Budgetpolitik braucht.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Badelt, die Staatsverschuldung könnte laut Prognosen bis 2028 auf 85 Prozent des BIP steigen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung, und welche konkreten Risiken sehen Sie für die wirtschaftliche Stabilität Österreichs?

Christoph Badelt: Die Aufgabe des Fiskalrats besteht darin, die budgetäre Entwicklung zu analysieren und den Konsolidierungsbedarf aufzuzeigen. Die derzeitige Situation verlangt dringend nach einer Budgetkonsolidierung, nicht nur im Einklang mit den Vorgaben der EU-Kommission, sondern darüber hinaus. Es gilt auch, Mittel für Zukunftsinvestitionen freizumachen – Investitionen, die eine kommende Regierung tätigen muss, um Österreich zukunftssicher zu machen. Der Handlungsbedarf ist immens.

LEADERSNET: Wie im Vorjahr wird Österreich auch in den kommenden Jahren die EU-Maastricht-Kriterien deutlich verletzen. Sie plädieren für die Kürzung von Ausgaben sowie die Generierung zusätzlicher Einnahmen durch neue Steuern. Welche Steuerreformen halten Sie für notwendig, um sowohl mehr Einnahmen zu generieren als auch die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs zu stärken? 

Badelt: Meine Aussage, dass man sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnahmenseite etwas machen muss, ist weniger eine normative Aussage als eine Prognose. Grundsätzlich wäre es sicher nachhaltiger, von der Ausgabenseite her zu konsolidieren. Aber ich vermute, dass eine rein ausgabenseitige Konsolidierung politisch nicht umsetzbar sein wird, weil die politischen Kosten zu groß wären. Der Fiskalrat selbst schlägt keine konkreten Maßnahmen vor, da wir uns neutral verhalten müssen. Unser Job ist es, den Konsolidierungsbedarf aufzuzeigen und Möglichkeiten durchzurechnen. Wir haben rund 50 konkrete Maßnahmen dargestellt und berechnet. Diese reichen von der Überprüfung von Steuerprivilegien bis hin zu strukturellen Reformen.

LEADERSNET: Gibt es Länder, von denen Österreich in Bezug auf Budgetdisziplin oder Reformen lernen kann? Ist beispielsweise die Schweiz mit ihrer Schuldenbremse ein Vorbild?

Badelt: Vergleiche mit anderen Ländern sind immer schwierig. Die Schweiz hat beispielsweise eine viel niedrigere Steuer- und Abgabenquote sowie eine andere gesellschaftliche Struktur. Ein direkter Vergleich ist daher wenig hilfreich. Erfolgreiche Reformbeispiele finden wir eher in Schweden, das seinen Wohlfahrtsstaat grundlegend reorganisiert hat. Für Österreich ist entscheidend, die Abgabenquote längerfristig nicht weiter steigen zu lassen, auch wenn kurzfristige Einnahmemaßnahmen unvermeidlich sein könnten.

LEADERSNET: Ein Problem in vielen hochentwickelten Ländern ist fehlendes Wirtschaftswachstum. Können neue Technologien wie künstliche Intelligenz die fehlende Produktivität der letzten Dekaden zurückbringen?

Badelt: Das Produktivitätswachstum ist in ganz Europa zurückgegangen, in Österreich besonders stark. Ein wichtiger Faktor ist die demografische Entwicklung – die Arbeitskräfteknappheit wird sich als entscheidender Engpassfaktor darstellen. Technologische Entwicklungen wie KI können hier sicherlich helfen und zu einem Produktivitätsschub führen. Allerdings glaube ich nicht, dass in den hochentwickelten Ländern Europas Wachstumsraten jenseits von zwei bis 2,5 Prozent in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten sehr realistisch sind. Das gilt vielleicht noch für die osteuropäischen Länder mit Aufholbedarf, aber für Österreich oder Deutschland erwarte ich das nicht.

LEADERSNET: Die Baufertigstellungen sind zuletzt deutlich zurückgegangen. Hinzu kommt, dass Österreich im Jahr 1971 rund 7,5 Millionen und im Vorjahr gut über neun Millionen Einwohner:innen hatte. Die Migration verschärft den Druck auf den Wohnungsmarkt weiter. Wie könnte man hier Abhilfe schaffen?

Badelt: Man muss das von beiden Seiten betrachten: Durch das Bevölkerungswachstum steigt die Nachfrage nach Wohnraum permanent, während die Bautätigkeit in den letzten Jahren nicht mitgegangen ist. Das führt zu hohen Preisen für Mieten und Bauen. Zusätzlich hat die Bauwirtschaft seit Corona ein spezielles zyklisches Problem. Die Regierung ist mit einem größeren Paket im Frühjahr dagegen angegangen, aber bis diese Maßnahmen wirken, vergeht Zeit. Die Bauwirtschaft ist einer der wenigen Bereiche, wo im Augenblick ein echtes Konjunkturpaket noch etwas bringen würde – sowohl für die Auftragslage als auch um mittelfristig gegen die Knappheit am Wohnungsmarkt anzukämpfen. Das Auslaufen der KIM-Verordnung finde ich dennoch keine gute Entwicklung.

LEADERSNET: In den 1970er Jahren musste man für ein neues Kompaktauto etwa fünf bis sechs Monatsgehälter investieren, im Vorjahr waren es rund zehn bis zwölf Monatsgehälter – je nach Fahrzeugpreis und individuellem Einkommen. Ausstattung, Sicherheit, Komfort und Technik wurden zwar deutlich verbessert, das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es für die Menschen heutzutage schwieriger ist, sich etwas zu leisten. Woran liegt das?

Badelt: Der Hauptgrund für diesen Unterschied ist, dass die Reallöhne (inflationsbereinigt) langsamer gestiegen sind als die Preise von Autos und anderen Konsumgütern. Mit ein Grund ist, dass das Wachstum der Arbeitsproduktivität von vier Prozent in den 1980er Jahren auf zuletzt unter ein Prozent abnahm. Bei der Ungleichheit der Einkommensverteilung liegt Österreich im Mittelfeld und weist dank des Wohlfahrtsstaats nach Steuern und Transfers eine vergleichsweise moderate Ungleichheit auf. Bei der Vermögensverteilung sieht es jedoch anders aus. Diese ist in Österreich im europäischen Vergleich überdurchschnittlich ungleich, was unter anderem auf die geringe Eigentumsquote und die starke öffentliche Altersvorsorge zurückzuführen ist.

LEADERSNET: Abschließend, welche Botschaft möchten Sie den politischen Entscheidungsträger:innen und der Öffentlichkeit mitgeben, um die Herausforderungen der nachhaltigen Budgetpolitik zu meistern und eine stabile finanzielle Zukunft für Österreich zu sichern?

Badelt: Das wichtigste Prinzip ist, dass keine Maßnahmen ohne Gegenfinanzierung beschlossen werden sollten. Das ist in der Vergangenheit massiv passiert, sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite. Es hat keinen Sinn, Maßnahmen zu beschließen – auch wenn sie per se gut oder sinnvoll sein mögen – wenn man nicht sagt, woher die Finanzierung kommt. Nur so können wir verhindern, wieder in eine neue Budgetproblematik zu geraten, nachdem wir die jetzige hoffentlich beseitigt haben. Es ist ein mühsamer Weg, aber er ist notwendig.

www.fiskalrat.at

Hintergrund-Infos zum Interview

Österreichs Finanzlandschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen – und kaum jemand kennt die Zahlen und Zusammenhänge so präzise wie Univ. Prof. Dr. Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrats. Angesichts düsterer Prognosen warnt Badelt eindringlich davor, allein auf die EU-Fiskalregeln zu setzen. Solche Maßnahmen könnten zwar kurzfristig die Defizite begrenzen, doch sie reichen nicht aus, um dringend notwendige Zukunftsinvestitionen in Bereichen wie Bildung und Klimaschutz zu finanzieren. 

Im LEADERSNET-Interview plädiert der Fiskalrats-Präsident für einen Paradigmenwechsel: Eine kluge Fiskalpolitik müsse sowohl Ausgaben streichen als auch neue Einnahmen generieren. Dabei dürften bisherige Tabus – etwa in der Steuerpolitik – nicht länger unantastbar bleiben und eingefahrene Denkmuster in den politischen Verhandlungen müssen überwunden werden.

Das Interview wurde noch vorm Scheitern der Verhandlungen für eine Dreier-Koalition geführt.

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Hintergrund-Infos zum Interview

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Im LEADERSNET-Interview plädiert der Fiskalrats-Präsident für einen Paradigmenwechsel: Eine kluge Fiskalpolitik müsse sowohl Ausgaben streichen als auch neue Einnahmen generieren. Dabei dürften bisherige Tabus – etwa in der Steuerpolitik – nicht länger unantastbar bleiben und eingefahrene Denkmuster in den politischen Verhandlungen müssen überwunden werden.

Das Interview wurde noch vorm Scheitern der Verhandlungen für eine Dreier-Koalition geführt.

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