"Was ist in Krisenzeiten eine Bilanz von vor eineinhalb oder zwei Jahren wert?"

Coface-Country-Managerin Dagmar Koch erzählt im Interview, warum es für Unternehmen Sinn macht, eine Kreditversicherung abzuschließen und was diese von anderen Versicherungen unterscheidet, warum sie nicht an eine Insolvenzwelle glaubt und warum sich Österreich von der Corona-Krise gut erholen wird.

LEADERSNET: Gleich zum Einstieg die Frage: Wie wird man Coface-Chefin? Was muss man da gelernt haben und was muss man können?

Koch: In erster Linie muss man sehr begeistert sein für Kunden. Mein beruflicher Werdegang sieht so aus, dass ich zuvor über 17 Jahre im Bankwesen im Finanzierungsbereich tätig war. Dort habe ich sehr intensiv für Kunden nach Lösungen gesucht, um ihre Supply Chain zu entwickeln. Es hat sich dann ergeben, dass die Coface jemanden gesucht hat, der ein Client-Centricity-Mindset mitbringt und idealerweise noch über Erfahrung im Supply-Chain-Fincance-Bereich verfügt. Und im Zuge dessen ist man auf mich gekommen und deshalb sitzen wir heute da.

LEADERSNET: Versicherungen kennt man aus dem Haushalt oder aus all den Bereichen, die man normalerweise im Business braucht. Was genau ist aber eine Versicherung für einen Kredit?

Koch: Ich sage immer gerne, dass eine Kreditversicherung mehr als eine Versicherung ist. Beim Haushalt denkt man beispielsweise an eine Feuerversicherung, die haben wir alle und die schließt man einmal ab. Bei einer Kreditversicherung ist das jedoch ganz anders. Die Coface hat über 500 Milliarden Euro versichertes Obligo und wir haben ganz viele Limite, die wir auf Risken zeichnen. Das heißt, wenn Sie als Unternehmer jemandem ein Zahlungsziel gewähren und Sie möchten nicht riskieren, dass derjenige das dann nicht zahlen kann oder Sie möchten wissen, wie derjenige finanziell da steht, dann wenden Sie sich an eine Kreditversicherung, wie die Coface und wir checken das global ab. Wir sind in über 66 Ländern vertreten. Bei uns treffen 430 Risikoexperten 10.000 Kreditentscheidung am Tag. Eine Kreditversicherung ist also nicht etwas, das man einmal abschließt und das war's dann und man hört nie wieder voneinander. Wir sind in regelmäßigem Kontakt mit unseren Kunden, weil sie zum Beispiel wissen wollen, wie es einem Unternehmen – das sie jetzt neu beliefern, aber noch nicht kennen – geht und für wie viel Limit es gut ist. Auch das Monitoring – gerade in Zeiten wie diesen, wo sich viele Dinge schnell ändern, wo es gewisse Unsicherheiten gibt und wo man allein auf die Financials nicht vertrauen kann – ist wichtig. Denn was ist in Krisenzeiten eine Bilanz von vor eineinhalb oder zwei Jahren wert? Wenig.

LEADERSNET: Könnte man sagen, dass es eine Bonitätsprüfung für Firmen ist?

Koch: Das ist eine Bonitätsprüfung plus. Wir prüfen nicht nur die Bonität und sind im permanenten Austausch mit unseren Risken als auch mit mit unseren Kunden, sondern wenn wirklich mal was schiefgeht, dann zahlen wir auch. Das heißt, wenn ein Unternehmen ausfällt – und das ist nicht schon dann, wenn es in Konkurs ist, sondern wenn 180 Tage nicht gezahlt wird – dann zahlt die Versicherung und springt ein ...

LEADERSNET: ... und regressiert bei demjenigen, der das Geld schuldet?

Koch: Genau so funktioniert es.

LEADERSNET: Wie ist es jetzt in dieser Pandemiezeit, kann man hier schon feststellen, dass es mehr Insolvenzen gibt und ist Ihr Geschäft gefragter denn je?

Koch: Wie Sie sicher auch vom KSV1870 und anderen Auskunfteien hören, sehen wir viel weniger Insolvenzen – auch aufgrund der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen. Die Insolvenzen in Österreich sind im ersten Quartal dieses Jahres – wenn man den Zahlen glauben darf und das tue ich – um 60 Prozent zurückgegangen und auch im letzten Jahr waren sie um 40 Prozent geringer. Wir sind also in einem historisch niedrigen Tal der Insolvenzen und wenn ich das auch gleich vorwegnehmen darf – weil Sie mich das wahrscheinlich fragen werden – ich rechne nicht mit einem Insolvenz-Tsunami oder mit einer Insolvenzwelle. Ich glaube, so wie viele andere Experten auch, dass es, wenn die staatlichen Maßnahmen nach und nach zurückgenommen werden, dann wieder zu einem langsamen Anstieg kommen wird, sprich zu einer Marktbereinigung, wenn Sie so wollen.

Was die zweite Frage betrifft: Ja, wir haben viele Nachfragen, weil die Unternehmen einfach auch unsicher sind. Man weiß nicht, wie es weiter geht und ob man den Bilanzen noch vertrauen kann. Man merkt auch, dass sich die Unternehmer natürlich sehr genau überlegen, wie es weitergehen wird und was noch kommt. Die Unsicherheit ist sehr groß und wenn es so viel Unsicherheit gibt, dann gibt es das Bedürfnis nach mehr Sicherheit. Deshalb haben wir uns nicht nur auf die Versicherung fokussiert. Das ist nämlich nur der eine Teil der Lieferkette. Wir haben einen riesigen Datenpool und wir haben unsere Recherchen und unsere Gespräche mit den Kunden um fast ein Viertel erhöht. Diesen Datenpool stellen wir auch unseren Kunden zur Verfügung.

LEADERSNET: Die Frage, die sich mir jetzt stellt: Was kostet das, wenn ich diese Sicherheit haben will?

Koch: Nicht so viel, wie Sie glauben (lacht). Das kann man jetzt so über den Daumen natürlich nicht sagen. Das hängt immer von den konkreten Bedürfnissen ab. Wir haben für jedes Kundensegment eigene Lösungen. Als KMU (Klein- und mittlere Unternehmen – Anm. d. Red.) braucht es eine schnelle Entscheidung mit möglichst wenig Aufwand – am besten auf Knopfdruck – und man muss genau wissen, mit welchen Beträgen man kalkulieren muss. Da haben wir beispielsweise das "Easyliner"-Produkt, wo man wirklich auf Knopfdruck weiß, wie hoch die Absicherung ist und wie viel diese kostet. Am anderen Ende der Bandbreite gibt es die großen, internationalen Konzerne, die globale Programme – von Russland bis Südamerika, mit ganz speziellen lokalen Bedürfnissen – brauchen. Darauf sind wir auch spezialisiert. Das hat dann natürlich ganz andere Parameter und muss viel mehr "taylor made" sein.

LEADERSNET: Stichwort Spezialisierung: Worauf ist Coface eigentlich spezialisiert? Gibt es beispielsweise eine gewisse Branche, wo Sie sagen, dass Sie dort wirklich zuhause sind und da sollte man auf alle Fälle zu Ihnen kommen oder gibt es diesbezüglich gar keine Spezialisierungen?

Koch: Zu uns soll man natürlich immer kommen (lacht). Was uns, glaube ich, auch ausmacht, ist, dass wir Experten für einzelne Regionen und für einzelne Branchen haben. Deshalb kann man nicht sagen, dass es eine spezielle Branche gibt, die besonders gut für Kreditversicherungen geeignet ist. Ich würde sagen, dass jedes Unternehmen, das auf Rechnung liefert und exportiert geeignet ist. Besonderen Mehrwert bieten wir natürlich Kunden, die global agieren. Denn je näher meine Abnehmer sind, desto besser kenne ich sie in der Regel und je weiter sie weg sind, desto mehr Unsicherheit gibt es und desto größer ist natürlich der Mehrwert den Coface mit seinen 66 Präsenzen auf der ganzen Welt bietet. Und das heißt nicht, dass wir da irgendjemanden haben, mit dem wir kooperieren, sondern diese 66 Entities sind wirkliche Cofaces-Entities, die lokal über die gesamte Welt verstreut sind.

LEADERSNET: Sie haben vorhin gesagt, dass sie keine Insolvenzwelle erwarten. Manch anderer glaubt was anderes. Glauben Sie, dass es in der Gastronomie oder auch in anderen Bereichen, die wirklich schwer von der Pandemie getroffen wurden, wieder zu einer relativ raschen Normalisierung kommen wird?

Koch: Ich glaube, das hängt sehr stark vom Impffortschritt ab und ob wir eine weitere Welle oder irgendwelche Mutationen sehen werden. Ich bin eine Optimistin und hoffe, dass wir das mit fortschreitenden Impfungen  hinter uns lassen werden. Ich denke, dass die fast elf Prozent des BIP, die der österreichische Staat mittlerweile schon ausgezahlt hat – und sich dafür den Vorwurf anhören musste, Insolvenzen zu verschleppen und damit Zombie-Unternehmen zu schaffen – richtig eingesetzt worden sind. Die Kritiker haben, finde ich, ein bisschen übersehen, dass auf diesem Weg auch viele Insolvenzen abgewandt wurden – die Schätzungen gehen von drei bis sechs Mal so vielen Insolvenzen aus, die es sonst gegeben hätte.

Sowohl die Gastronomie, als auch die Hotellerie waren monatelang zu und da waren, glaube ich, die Kurzarbeit und die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen richtig, wichtig und gut. Da stecken viele Arbeitsplätze dahinter und Österreich ist ein Tourismusland. Wir haben im letzten Quartal ja gesehen, wie massiv die Auswirkungen auf das BIP waren, als praktisch der gesamte Wintertourismus ausgefallen ist. Ich glaube, dass sich mit fortschreitender Impfung auch der Tourismus wieder erholen wird, aber er wird sich natürlich auch verändern. Was ich schon sehe, ist, dass der Geschäftstourismus mit diesen "Zombieflügen", wo man um 5 Uhr in der Früh in den Flieger steigt, dann an der Destination eine Nacht verbringt und am nächsten Tag dann um 22 Uhr wieder zurückjettet, deutlich weniger werden wird. Das hat aber nicht nur Nachteile. Hier muss ein Umdenken einsetzen. Aber Wien und Österreich sind so schön, dass ich es ausschließen würde, dass der Tourismus nicht wieder in Fahrt kommt.

LEADERSNET: Im Lichte der Pandemie und auch der Digitalisierung stellt sich die Frage: Darf man sich auf die Zukunft freuen oder sollte man diese mit Respekt erwarten?

Koch: Ich glaube, man muss sich respektvoll freuen. Ich bin eine Optimistin. Ich glaube, dass die Pandemie auch viel Positives gebracht hat. Wir sind alle viel digitaler geworden, viel schneller, viel flexibler. Das Home-Office ist gekommen, um zu bleiben und ich denke, dass so manch positiver Impuls durch diese Krise geschaffen wurde. Aber es werden natürlich auch noch Nachwehen zu erwarten sein. Die Marktbereinigungen werden kommen, und dass wir auf Dauer quasi null Insolvenzen haben, ist weder realistisch, noch gesund für die Wirtschaft. Wir sind aber alle gut aufgestellt. Sowohl die österreichischen Unternehmen als auch die Kreditversicherer – und im Speziellen die Coface – sind gut gewappnet und werden die Krise gut meistern. Wir als Coface haben uns auf diese erhöhte Unsicherheit dahingehend aufgestellt, dass wir nicht nur die Absicherung anbieten, sondern auch unseren Datenpool zur Verfügung stellen und hier mit Businessinformationen die Unternehmen entlang der gesamten Supply Chain unterstützen.

www.coface.at

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