Mehr Fälle als je zuvor – nämlich 418 – beschäftigten den Presserat im Jahr 2020. Dies lag unter anderem an den Berichten über COVID-19, die zu einer besonders hohen Anzahl an Eingaben führten. Darüber hinaus erreichten den Presserat mehr als 1.500 Beschwerden allein aufgrund der Berichterstattung zum Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020.
Es handelt sich dabei um einen absoluten Negativrekord hinsichtlich der Anzahl von Beschwerden zu einem bestimmten Thema. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2020 wandten sich 4.085 LeserInnen an die KollegInnen des Deutschen Presserats. "Gerade in Zeiten der Krise erleben wir offenbar ein hohes Bedürfnis nach medienethischer Selbstkontrolle", kommentiert Salzburger-Nachrichten-Vize-Chefredakteur und Sprecher des Senats 2 des Presserates Andreas Koller die Zahlen.
"Österreich" an der Spitze
Bei den 418 behandelten Fällen stellten die Senate des Presserats in 36 Fällen Verstöße gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse fest. Sechs Ethikverstöße wurden als geringfügig eingestuft und daher bloß Hinweise ausgesprochen. Zum Vergleich: 2019 gab es bei 297 Fällen 38 Ethikverstöße – davon fünf Hinweise. In zehn Fällen wurden die Senate eigenständig aktiv, dabei wurden fünf Ethikverstöße festgestellt.
Nachfolgend die Fallzahlen 2020 für einzelne Medien und in Klammer dazu jeweils die medienethischen Verstöße:
- Österreich & oe24: 57 Fälle (17)
- Kronen Zeitung: 62 (11)
- Heute: 28 (3)
- Wochenblick: 3 (2)
- Bezirksblätter: 15 (2)
- Die ganze Woche: 1 (1)
- Kitzbüheler Anzeiger: 2 (1)
- Kurier: 27 (1)
- Der Standard: 52 (0)
- Kleine Zeitung: 17 (0)
- Die Presse: 12 (0)
- Vorarlberger Nachrichten: 10 (0)
- Salzburger Nachrichten: 6 (0)
Die meisten Ethikverstöße betrafen Persönlichkeitsverletzungen (Punkt 5 des Ehrenkodex), einige auch Diskriminierungen von Personengruppen (Punkt 7 des Ehrenkodex) sowie die Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten.
2,50-Euro-Schnitzel und "Schlitzaugen-Virus"
Zu den Persönlichkeitsverletzungen zählten unter anderem die Veröffentlichung des Bildes eines siebenjährigen Mordopfers bei einem Bericht über einen Strafprozess (oe24), die Veröffentlichung eines verfälschten Bildes von einem Grünen-Politiker, das ihn mit COVID-Erkrankung darstellt (wochenblick.at), die Nennung von Details über einen Kindesmissbrauch (Bezirksblätter NÖ) sowie die die Veröffentlichung eines Videos, in dem die Erschießung einer Passantin durch den Terroristen von Wien zu sehen ist (oe24.at und krone.at).
Als diskriminierend werteten die Senate zum Beispiel einen zweifelhaften Artikel, demzufolge Lehrer an einer Kärntner Mittelschule "Asylanten-Kindern" gute Noten geben müssen (Die ganze Woche) oder einen Beitrag, in dem sich das Medium nicht ausreichend vom Zitat "Schlitzaugen-Virus" und anderen Beleidigungen gegenüber Chinesen distanzierte (oe24.at). Darüber hinaus gab es mehrere Verstöße gegen das Gebot, zwischen Werbung und redaktionellen Inhalten zu unterscheiden. Etwa bei mehreren Artikeln in einer Tiroler Regionalzeitung (Kitzbüheler Anzeiger) oder einem Beitrag über ein 2,50-Euro-Schnitzel bei XXXLutz (oe24.at). Schließlich kritisierte der Presserat im Rahmen einer Stellungnahme die Veröffentlichung von Fahndungsfotos der vermeintlichen Oligarchen-Nichte des Ibiza-Videos in mehreren Medien.
Gudenus und das Koks, Rendi-Wagner und der Kuchen
Kein Ethikverstoß war nach Meinung des Presserats die Veröffentlichung einer Karikatur auf nachrichten.at, in der SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner als Mädchen aus der Torte dargestellt wurde mit dem Begleittext "Die neue Verpackung". Ausschlaggebend sei hier gewesen, dass auf politische Forderungen der SPÖ-Chefin angespielt wurde, die bereits früher von ihrer Partei vertreten wurden. "Daher lag ein gewisser Sachbezug zur Politik vor", so der Pressrat.
Auch die Veröffentlichung eines Fotos, das Johann Gudenus beim mutmaßlichen Drogenkonsum zeigt, wurde vom Presserat nicht geahndet (kurier.at). Der Senat 3 argumentierte hier, dass sich Gudenus während seiner politischen Tätigkeit regelmäßig für eine strengere Drogenpolitik stark gemacht hat. Über diesen Widerspruch in Wort und Bild aufgeklärt zu werden, war von öffentlichem Interesse. Zuletzt wurde eine satirisch-polemische Kunstkritik über den Sänger Andreas Gabalier als medienethisch unbedenklich eingestuft (kurier.at). (as)
www.presserat.at
Wir könnten auch ÖAMTC und ARBÖ bitten, die Geschwindigkeit auf Österreichs Autobahnen zu regeln - aber ohne Strafmandate. Das Resultat wäre das gleiche.
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