Die Corona-Krise hat die heimische Wirtschaft fest im Griff. "In diesen unklaren Zeiten ist es wichtig, kein Kaffeesudlesen zu betreiben. Es braucht Fakten. Wir haben uns daher dazu entschieden, zum Halbjahr keine Hochrechnung zu machen, sondern finale Zahlen zu liefern", erklärt Karl-Heinz Götze, MBA, Leiter Insolvenz des Kreditschutzverband von 1870. Die Auswertung hat ergeben, dass im ersten Halbjahr insgesamt 1.928 Unternehmen insolvent geworden sind. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das ein Minus von rund 25 Prozent. Davon wurden 1.097 Insolvenzen tatsächlich eröffnet – sogar ein Minus von 28 Prozent zum Halbjahresergebnis 2019. Parallel dazu sind die Verbindlichkeiten mit 1.605 Mio. Euro um 86 Prozent gestiegen. Dieser Umstand ist der Tatsache geschuldet, dass größere Insolvenzen eher selbst angemeldet werden. Die Finanz und Gesundheitskassen, welche die Hauptantragssteller bei eher kleineren Verbindlichkeiten sind, jedoch seit Ausbruch der Corona-Krise und bis auf Weiteres keine Insolvenzanträge mehr stellen. Dadurch gibt es im ersten Halbjahr viel weniger kleinere Insolvenzfälle, als noch im Vorjahr. Durch die höhere Zahl der selbstangemeldeten und somit vorbereiteten größeren Insolvenzen, waren auch mehr Dienstnehmer (10.300) betroffen, als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (8.100) – das bedeutet ein deutliches Plus von 27 Prozent.
Vermeintlich fehlerhafte Zahlen
Die Halbjahreszahlen des KSV1870 zeigen auf den ersten Blick ein vermeintlich fehlerhaftes Ergebnis, welches allerdings nicht der Realität entspricht und vor allem durch von außen einwirkende Maßnahmen entstanden ist: "Es ist fraglich, welches politische Ziel verfolgt wird, die Wirtschaft auf dem Papier als gesund darzustellen. Das löst alles andere als die vorhandenen gravierenden Probleme. Wir müssen jetzt in einen Modus finden, wo wir uns nichts vormachen, sondern vielmehr einen Weg finden, den österreichischen Wirtschaftsstandort wieder erblühen zu lassen. Der KSV1870 ist bereit seinen Beitrag zu leisten", erklärt Mag. Ricardo-José Vybiral, MBA, CEO der KSV1870 Holding AG.
Durch das aktuelle Vorgehen der Verschleppung von Insolvenzen in Kombination mit der derzeit gültigen Fristverlängerung bei Insolvenzanträgen, sei davon auszugehen, dass die Insolvenzzahlen 2020 auch im Vergleich zum Vorjahr weit weniger hoch ausfallen werden, als ursprünglich angenommen. "Irgendwann wird die Insolvenzwelle Österreich definitiv erwischen. Wann das tatsächlich der Fall sein wird, steht aktuell in den Sternen. Eines ist aber bereits heute klar: Je länger in finanzielle Schieflage geratene Unternehmen künstlich am Leben erhalten werden, desto größer wird der gesamte volkswirtschaftliche Schaden sein. Noch haben aber die Entscheidungsträger die Wahl, ob sie weiter versuchen, gegen die Welle anzukämpfen, oder sich ihr zu stellen. Dass die Welle Schaden anrichten wird, lässt sich nicht vermeiden. Doch wie groß dieser ausfallen wird, kann jetzt beeinflusst werden", so Götze.
Die Insolvenzen im Detail
Mit acht Fällen kam es zu den meisten der 20 größten Insolvenzen im ersten Halbjahr 2020 in Wien, gefolgt von Oberösterreich, Steiermark und Niederösterreich. Gastgewerbe, Tourismus und unternehmensbezogene Dienstleistungen sind besonders betroffen.
Die Anglo Austrian AAB AG, die "Ex-Meinl-Bank", meldete Anfang März Insolvenz an. Durch den Konkurs sei erstmals seit 19 Jahren wieder die Einlagensicherung ausgelöst worden. Rund 60 Millionen Euro an besicherten Einlagen lagen Anfang März laut WKÖ noch in der Bank. Der Vorwurf, nicht genug für die Geldwäsche-Prävention getan zu haben und die Verletzung von Sorgfaltspflichten durch das Geldhaus stand im Raum. Mit 285 Millionen Euro führt das Bankhaus die Liste der Großinsolvenzen an.
Erst kürzlich rutschte die oberösterreichische Kremsmüller-Gruppe zum zweiten Mal in die Insolvenz (135 Millionen Euro). Nach der Kremsmüller Industrieanlagenbau KG ist auch die Kremsmüller Industrieservice KG, die als interner Dienstleister für das Familienunternehmen mit Sitz in Steinhaus bei Wels fungiert, insolvent. 1200 Mitarbeiter sind betroffen. Schuld an der Misere ist Medienberichten zufolge eine Klärschlamm-Trocknungsanlage für die Wien Energie: Das ursprüngliche Volumen von 22 Millionen Euro erhöhte sich auf 65 Millionen Euro. Ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung wird angestrebt.
Ende März kam es zur Insolvenzeröffnung über die Pele Privatstiftung, eine reine Besitzgesellschaft der IPBG Pellets Beteiligungs GmbH, die bereits Anfang März in die Insolvenz schlitterte. Die Wurzeln sind auf die ehemals weltgrößte Pelletsfirma German Pellets zurückzuführen, die bereits 2016 pleite ging.
Ausgepokert und von Brasilien in die Alpenrepublik
Das Handelsgericht (HG) Wien hat Anfang März über das Vermögen der Firma Casino-Equipment Vermietungs GmbH aufgrund eines Eigenantrags das Konkursverfahren eröffnet. Die zwölf Spielstätten von "Pokerkönig" Peter Zanoni wurden geschlossen. Anfang 2020 sah sich Zanoni bereits gezwungen, seine Spielstätten nach mehreren Razzien der Finanzpolizei zu schließen. Die Schulden beim Finanzamt sollen sich auf rund 600 Mio. Euro belaufen. Im Insolvenz-Ranking liegt er auf Platz vier (125 Millionen Euro).
Mit 112 Millionen Euro komplettiert die Odebrecht E&P GmbH, vormals: ADIMANT Beteiligungsverwaltungs GmbH, die fünf größten Pleiten: Der brasilianische Mischkonzern Odebrecht ist in einen der größten Korruptionsskandale Lateinamerikas verwickelt. Mit der Odebrecht E&P GmbH saß eine dieser Gesellschaften in Österreich. Über Jahre wurden hunderte Millionen Dollar Schmiergeld gezahlt, um an lukrative Staatsaufträge in Brasilien zu kommen. Ermittelt wird gegen hunderte Politiker, Unternehmer und Beamte. Der Wiener Anwalt Paul Doralt, Geschäftsführer von 20 Odebrecht-Niederlassungen in Österreich, bestätigte Ende 2019 Zusammenhänge mit dem Korruptionsskandal im Mutterkonzern, konnte damals aber keine Auswirkungen auf Österreich feststellen.
Darauf folgen Hubert Palfinger Technologies GmbH (61,2 Millionen), Vapiano (55,6 Millionen), Firmengruppe: Schilling (37,6 Mio.), Wäschehersteller Huber (26 Millionen) und Dirninger Rohrleitungsbau- und Montagegesellschaft m.b.H (25 Millionen). (jw)
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