Wenn Geld keine Rolle spielt, hochrangige Manager sich mehr durch ihren ausschweifenden Jetset-Lebensstil als mit ihren beruflichen Leistungen einen Namen machen und Millionen sich nur kurz vor besagten Protagonisten quasi über Nacht in Luft auflösen, dann denkt man es - meist zu Recht - mit einem überbudgetierten Hollywoodstreifen zu tun zu haben, als mit unserer Alprenrepublik.
Doch es kommt vor, dass das Leben die spannendsten und unglaublichsten Geschichten schreibt. Eine davon, die ganz aktuell geschrieben wird, dreht sich um Wirecard. Um das deutsche Fintech brodelt derzeit ein heftiger Skandal (LEADERSNET berichtete). Beinah täglich kommen neue Details zur Causa ans Licht, einige Spuren führen auch nach Österreich. Nicht nur der Lead gegen den Austro-Milliardär und Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun (auch hier berichtete LEADERSNET), sondern auch die jüngsten Puzzlesteine tragen rot-weiß-rote Couleur.
Flüchtiger Vorstand
Zum einen ist da Brauns rechte Hand, Jan Marsalek: Der ehemalige Vorstand von Wirecard ist auf der Flucht. Marsaleks Spuren verstreuen sich, er wird international gesucht. Was allerdings fest steht, sind die österreichischen Wurzeln des Managers. Ebenso in Stein gemeißelt scheinen die abenteuerlichen Details um Marsaleks privaten Lebensstil, und dass er eine Schlüsselfigur im Wirecard-Krimi ist.
Der Österreicher, der heute 40 Jahre alt ist, hat eine steile Karriere bei Wirecard hingelegt. Ohne Matura und ohne Studium wurde er mit nur 30 Jahren in den Vorstand des Fintech berufen. Die Süddeutsche Zeitung will wissen, dass Marsalek ein mehr als extravagantes Privatleben geführt habe: genannt werden in bar bezahlte Champagner-Rechnungen im Wert von mehreren hundert Euro für Freunde, teure Partys in Luxushotels und die Geschichte, dass der Manager sich Sushi auf dem nackten Körper einer Frau servieren habe lassen. Auch eine Faszination mit Geheimdiensten wird ihm nachgesagt, ebenso wie Argwohn gegenüber seinen Mitmenschen. Der FAZ wurde zugetragen, dass er "der Typ" war, "der immer sein Notebook zugeklappt hat, wenn man ihm zu nahe kam". Über Jahre soll Jan Marsalek ein dreistelliges Millionenvermögen angehäuft haben.
1,9 Milliarden vom Erdboden verschluckt
Noch mehr als das Verschwinden des mutmaßlichen Drahtziehers Marsalek beschäftigt die Ermittler allerdings nach wie vor das Rätsel um die verschwundenen 1,9 Milliarden Euro. Einem neuen Bericht des Aufdecker-Mediums Financial Times zeigt auf, dass das Kerngeschäft des deutschen Fintechs seit Jahren Verluste eingefahren hat. Im Jahr 2019 hatte sich Wirecard über Anleiheplatzierung eine halbe Milliarde Euro bei institutionellen Investoren besorgt, um dies auszugleichen. Softbank wollte sogar 900 Millionen Euro in das Unternehmen investieren. Weiters soll sich Mindgeek, ein Internet-Unternehmen, das hinter den Erwachsenen-Portalen Pornhub und Youporn steht, mit Wirecard im Finanzbereich verpartnert haben, nachdem andere Banken wegen "Reputationsrisiken" die Zusammenarbeit aufkündigten.
Rätsel um Grazer Wirecard-Tochter
Die Österreich-Verbindungen hören mit Marsalek jedoch nicht auf. Wirecard hat auch eine Austro-Tochter in Graz, die soeben Insolvenz angemeldet hat. In Zeiten der Coronakrise auf den ersten Blick nicht zu überraschend, doch ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass das Unternehmen zum Jahresende 2019 noch über Eigenkapital in Höhe von 8,4 Millionen Euro verfügt haben soll. Nun, sechs Monate später, soll mit 0,6 Millionen Euro negativem Eigenkapital Insolvenz angemeldet worden sein.
Dieser Sachverhalt hat nun die Sammelklagsplattform Cobin Claims auf den Plan gerufen, wie die Kleine Zeitung berichtet. Die Anwälte von Cobin Claims verorten "aufklärungsbedürftige Sachverhalte" im Jahresabschluss des Grazer Wirecard-Tochterunternehmens. Aktuell wird eine Sachverhaltsdarstellung im Namen Geschädigter evaluiert, eine Sammelaktion läuft bereits und die Richtigkeit des Jahresabschlusses wird hinterfragt. (rb)
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