Aufmerksame Leser werden sich vielleicht noch an meine Kolumne aus dem Frühsommer 2018 erinnern: Damals machte ein neues Schreckgespenst, der Overtourism, erstmals die Runde. Nun ist dieser kein unbekanntes Wort mehr, sondern auch im Jargon des Nicht-Touristikers angekommen.
Führte ich damals "The Beach" in Thailand, Dubrovnik, Venedig und den Salzburger Christkindlmarkt als Beispiele an, so haben schon ein Jahr später auch Island (die Gletscherlagune Jökulsárlón beispielsweise zieht immer mehr Touristen an – in nur acht Jahren hat sich ihre Zahl beinahe verfünffacht), Allgäu, Zermatt (die Gornergrat-Bahn wies im ersten Halbjahr 18 Prozent Mehrumsatz auf) und Komodo mit dem Phänomen zu kämpfen. Noch nie gehört? Andere schon – sie pilgern scharenweise in die Heimat der letzten Drachen der Welt.
Darüber hinaus planen 700 Millionen Chinesen in den nächsten fünf Jahren ins Ausland zu reisen. Das Lieblingsziel? Eh klar, Salzburg.
Also zurück zur Mozartstadt
Und zu all dem ist die Mozartstadt mitten in der Overtourism-Debatte auch noch zum besten Städtereiseziel 2020 gekürt worden. 3,1 Millionen Nächtigungen und bis zu neun Millionen Tagesbesucher prallen pro Jahr auf 152.000 Einwohner – kein Ende in Sicht. Selbst Beschimpfungen von Touristen sollen bereits zur Tagesordnung zählen, aber die Wirtschaft boomt: Das sind die zwei Seiten einer Medaille.
Waren es damals bloß Gerüchte, die ich über "Duftmasken" und Virtual Reality Brillen ins Spiel gebracht habe (Details finden Sie hier), geht nun ein Start-up aus Salzburg wirklich mit der kühnen Lösung an den Start. Ab 2020 soll in den stärksten asiatischen Herkunftsländern eine App für den Österreich-Tourismus angeboten werden, mit der man verschiedene Hotspots immersiv in einer Virtual Reality-Brille erleben kann. Beworben werden soll die App über dieselben Kanäle, über welche derzeit europäische Destinationen vermarktet werden. Also online, aber auch ganz klassisch in U-Bahnstationen mittels Trailer auf den Monitoren.
Mit der Brille durch die Gasse
Gedreht werden soll natürlich an den touristischen Hotspots wie Salzburg, Hallstatt und so weiter. Technisch sei es den Verantwortlichen zufolge kein großer Aufwand: Mit einer speziellen 360-Grad-Kamera werden die besten Plätze, Gebäude, Räumlichkeiten und Ausstellungsstücke gefilmt, in der Postproduction ein Text wie in einem Audioguide eingefügt. Interaktive Buttons ermöglichen, dass sich der Tourist in seinem Tempo von Szene zu Szene bewegen kann. Der asiatische Stau in der Getreidegasse könnte also künftig wirklich passé sein.
Realistisch sei dem Team von VR Coach zufolge eine Reduktion des Massentourismus um fünf Prozent, bei entsprechendem Marketingbudget soll dies vor allem "an starken Tagen" spürbar mehr werden. Gefragt seien nun Gemeinden und Städte, die im Falle eines Investments am Erfolg der App beteiligt werden. So wird es möglich, mit Touristen Geld zu verdienen, die gar nicht vor Ort sind.
Die Kreativität im Tourismus sprengt also weiterhin alle Grenzen. Ob bei diesem Gedanken alle Einheimischen aufatmen werden?
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