Arbeitnehmer sind in erster Linie Menschen mit Persönlichkeiten und Neigungen so divers wie das Spektrum des Regenbogens – immer mehr Firmen erkennen dies an, fördern Diversität und unterstützen ihre Mitarbeiter dementsprechend. Doch dies ist noch lange nicht der Standard – darum sollen Unternehmen nicht nur auf der Regenbogenparade Farbe bekennen, wie Stuart Cameron fordert. Der mehrfache Unternehmensgründer hat deshalb die Job-App Proudr ins Leben gerufen, die LGBT+-Menschen und potenzielle Arbeitgeber vernetzen soll.
Cameron agiert aus schmerzlicher Erfahrung: der bekennend homosexuelle Unternehmer musste in früheren Positionen Mobbing erdulden. Kollegen zerkratzten sein Auto und beschimpften ihn als Schwuchtel. Er hätte sich damals gewünscht, einen Arbeitsplatz zu haben, wo es egal ist, welche sexuelle Orientierung er hat, erzählt der heute sehr erfolgreiche Founder, dessen Engagement in dem Bereich bereits eine Dekade anhält. Vor zehn Jahren gründete der heute 39-jährige in Berlin die Karrieremesse Sticks and Stones, die sich an die LGBT+-Community* richtet.
Es folgten verschiedene Projekte und Events in dem Bereich, wie beispielsweise "Unicorns in Tech", ein im Jahr 2014 für LGBTI-Beschäftigte in der Technologiebranche gegründetes Netzwerk. Vor circa einem Monat ging Camerons neueste Idee an den Start: Proudr. Die App ist eine Job- und Netzwerkplattform, vergleichbar mit Xing und Linkedin, "nur eben mit dem Unique Selling Point: LGBT+-Menschen und deren heterosexuelle Unterstützer, die Straight Allies".
Vernetzen und Jobs suchen
User können sich vernetzen und Jobs suchen, Arbeitgeber können Stellen inserieren und passenden Kandidaten finden. Bereits über 1.000 Personen und 63 Firmen sind registriert, darunter etwa die Allianz-Versicherung, BMW, das deutsche Bundeskriminalamt, Coca-Cola, IBM, Lidl, Netflix und SAP. Doch warum benötigt es eigentlich so ein zugeschnittenes Portal? "Zum Beispiel wird ein Drittel aller Jobs über Netzwerke vergeben, daher ist es wichtig, viele unterschiedliche zu haben. Wir sehen uns als Ergänzung", sagt Cameron. Aber nicht nur das: "Die meisten LGBT+ haben einfach keine Lust mehr, in einer Firma zu arbeiten, die ihnen gegenüber nicht offen ist und wo sie möglicherweise diskriminiert werden."
Die Zahlen geben Cameron recht: Laut einer OECD-Studie aus dem Jahr 2019 werden Heterosexuelle doppelt so häufig zu Bewerbungsgesprächen eingeladen wie LGBT+. Zudem verdienen LGBT+ weniger und haben es deutlich schwerer, im Chefsessel zu landen. Auch eine aktuelle Studie von BCG zeigt: Nur ein Drittel der LGBT+ spricht mit Kollegen über ihre sexuelle Orientierung. 22 Prozent sehen ein Outing in der Arbeit sogar als Karriererisiko.
Outing nach wie vor große Hürde
Aus diesem Grund findet Astrid Weinwurm-Wilhelm die App "eine tolle Initiative, die die Anliegen der Community unterstützt". Sie ist Präsidentin des Vereins Queer Business Women und berät als Selbstständige Firmen in Sachen Diversity-Management. Sie sagt: "Es ist anstrengend, die eigene sexuelle Orientierung geheim zu halten." Bei Proudr sei das anders, da ist die Hürde des Outings bereits vor der Anstellung gemeistert. "Will ich das nicht, dann ist die App nichts für mich."
Wer am Montagmorgen nicht übers Wochenende mitreden könne, weil die Beziehung (vermeintlich) nicht erwähnt werden kann, begebe sich aber auch ins soziale Out. Das führe sogar so weit, dass man nicht mehr sichtbar für die interne Karriereleiter ist, sagt sie.
Zudem zeigen Untersuchungen: Wer sich am Arbeitsplatz wohlfühlt und geoutet ist, kann seine volle Leistung erbringen. "Es ist also auch ein wirtschaftliches Argument, sexuelle Orientierung im Diversity-Management zu berücksichtigen", sagt Weinwurm-Wilhelm. Und Firmen würden mit einem Inserat auf Proudr zugleich ein Zeichen setzen, welche Werte sie vertreten.
Bunte Flagge zeigen
Doch wie kann Proudr gewährleisten, dass registrierte Firmen nicht nur sogenanntes "Pinkwashing" betreiben und einmal auf der Regenbogenparade sind, aber sonst keine Flagge zeigen? Um gelistet zu werden, müssen Firmen Proudr proaktiv selbst kontaktieren. Zudem hat Cameron dafür vor einiger Zeit bereits das Gütesiegel "Pride 500" entwickelt, das Firmen nach verschiedenen Kriterien bewertet. Etwa ob es ein öffentliches Bekenntnis auf der Website gibt, wie die Policies zur Homo-Ehe sind, ob es einen begleitenden Prozess für Transgender-Personen gibt und interne LGBT+-Netzwerke. Das Gütesiegel wird künftig auch in der App sichtbar sein.
Eine weitere Neuerung, die es etwa ab August bei Proudr geben wird: nach Städten und Branchen aufgeteilte Gruppen, um die Mitglieder auch offline besser zu vernetzen. Auch in Wien und Innsbruck sind diese geplant. (rb)
(* LGBT+ steht für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle Menschen sowie Personen mit sexuellen Orientierungen oder Geschlechteridentitäten, die sich in gängigen Bezeichnungen unzureichend wiederfinden können, Anm.)
www.proudr.com