Interview mit Walter Veit (ÖHV)
"Tourismus ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem alles zusammenspielen muss"

Im LEADERSNET-Interview spricht Walter Veit, Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV), u.a. über seine Vision für die heimische Hotellerie, die Rolle des Tourismus als Wirtschaftsmotor, Auswirkungen des Reisebooms auf die lokale Bevölkerung, den "Asset Light"-Trend und über Herausforderungen wie Fachkräftemangel, Kostensteigerungen und Digitalisierungsdefizit. Zudem verrät er, was ein Hotel in Zeiten wie diesen erfolgreich macht.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Veit, der österreichische Tourismus verzeichnete 2024 einen neuen Rekord mit 154,29 Millionen Nächtigungen. Wie bewerten Sie diesen Erfolg und welche Faktoren haben Ihrer Meinung nach dazu beigetragen?

Walter Veit: Sehr viele und sehr unterschiedliche. Zuallererst sind hier neben den Reisemotiven, wie den Sportangeboten vor unserer großartigen Naturkulisse und den kulturellen Highlights, natürlich die hohe Qualität der Betriebe, unsere großartigen Teams mit einer wirklich tollen Performance am Gast und ein fast unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis zu nennen. Dazu kommt noch vieles, was unbemerkt hinter den Kulissen geschieht, etwa im Online-Vertrieb oder im HR-Management: Tourismus ist ein Gesamtkunstwerk. Da muss alles zusammenspielen, damit am Ende etwas Großartiges herausschaut – wie bei einem Konzert.

LEADERSNET: Die Tourismusintensität in Österreich lag 2024 bei 16,8 Nächtigungen pro Einwohner:in. Welche Auswirkungen hat diese hohe Intensität auf die lokale Bevölkerung und Infrastruktur?

Veit: In erster Linie, dass Geld im großen Stil ins Land kommt, in zweiter, dass wir in Österreich ein fast unvergleichliches Angebot an Sport-, Kultur- und Freizeitaktivitäten haben und eine breit aufgestellte Kulinarik, die sich vor niemandem verstecken muss und wo für jede Geldbörse etwas dabei ist. Natürlich kommt es da und dort zu einem stärkeren Verkehrsaufkommen. Dass die Politik das wirklich sorgt, bezweifeln mittlerweile aber viele: Sonst hätte man etwa die Baustellen auf der Tauernautobahn besser organisiert. Aber ja, so wie wir selbst auf Urlaub fahren, tun das alle anderen auch. Dazu kommen Frächter:innen, Pendler:innen und anderes mehr. Wirtschaft geschieht nicht isoliert: Baustellen, Gülle, Lärm von Fußballspielen, Konzerten, Dorffesten oder Hochzeiten: Alles hat zwei Seiten.

LEADERSNET: Die Digitalisierung schreitet rasant voran. Laut aktuellen Studien (Roland Berger & McKinsey) könnten durch digitale Innovationen bis zu 20 Prozent der Betriebskosten eingespart und bis 2030 etwa 25 Prozent aller Hoteljobs durch Automatisierung ersetzt werden. Gleichzeitig fühlen sich viele kleinere Hotels von der Technologie überfordert. Wie kann die Branche hier aufholen, ohne den persönlichen Service zu verlieren, und wie bereitet die ÖHV ihre Mitglieder auf diesen Wandel vor?

Veit: Ob diese Szenarien so eintreten, wird man in ein paar Jahren sehen – wir sind jedenfalls lieber mittendrin als nur dabei. Die ÖHV beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit Digitalisierung und KI und entwickelt laufend neue, für Hotels maßgeschneiderte Schulungsangebote. Gleichzeitig nehmen wir die Politik in die Pflicht: Wenn die Regierung auch weiterhin das Geld ausgeben will, das unsere Gäste hier ausgeben, brauchen wir eine flächendeckende Innovationsstrategie. Das muss als Nächstes angegangen werden.

LEADERSNET: Was macht ein Hotel in Zeiten zunehmender Herausforderungen erfolgreich und welche Eigenschaften braucht ein Hotelier bzw. eine Hôtelière, um in dieser Branche zu bestehen?

Veit: Wer ein Hotel wirtschaftlich erfolgreich führen will, baut es am besten mit Mauern, die ökologische und ökonomisch nachhaltiges Energiemanagement ermöglichen und dazu eine Windmühle oder besser gesagt Windräder und dazu Solarpanele und nutzt jede alternative Energiequelle, die sich rechnet, und senkt so seine Energiekosten. Am wichtigsten ist, seinen Betrieb zu kennen, die Kosten im Griff zu haben und ein Gäste-Erlebnis, dass sie immer wieder kommen und es weiterempfehlen. Aber darüber hinaus braucht es noch viel mehr: Eine ansprechende Mitarbeiterphilosophie etwa ist heute entscheidender denn je.

LEADERSNET: Hilton, Marriott International, Hyatt und viele andere Hotelketten setzen zunehmend auf ein Asset-Light-Modell, bei dem sie weniger eigene Immobilien besitzen und stattdessen Hotels über Management- und Franchiseverträge betreiben. Das hilft ihnen, schneller zu expandieren, da sie weniger Kapital für Immobilien aufbringen müssen. Investor:innen und Franchise-Nehmer:innen übernehmen die Kosten für die Immobilien, während die Hotelmarken sich auf Markenführung, Kundenbindung und Betriebsführung konzentrieren. Was bedeutet dieser Trend für die Hotelbranche?

Veit: Auf die gesamte Branche lassen sich die Effekte noch nicht umlegen, auch weil es so viele andere Tendenzen gibt, die den Wettbewerb beeinflussen, etwa den Trend hin zu günstigen Apartments, die in der Regel privat organisiert sind, die sharing economy, die sicher gekommen ist, um zu bleiben, wo aber der Hype merklich abgeflacht ist. Nach wie vor ist gerade in Österreich aber die familiengeführte Qualitätshotellerie das Rückgrat der Branche. Die großen Ketten sind ein wichtiger Teil der Branche, aber wie sich die Umstellung von Eigentum auf das Gesamtkonzept auswirkt, muss sich noch weisen.

LEADERSNET: Der Arbeitsmarkt bleibt angespannt. Laut Statistik Austria fehlten Ende 2024 über 45.000 Fachkräfte im Tourismus. Wie wollen Sie Abhilfe schaffen?

Veit: Wichtig wäre, dass in der breiten Öffentlichkeit nicht nur über die schwarzen Schafe gesprochen wird, sondern einmal auch die vielen Positivbeispiele ins Rampenlicht kommen: Das würde schon helfen. Gleichzeitig braucht es unbestritten eine echte Arbeitsmarktöffnung: Offene Stellen müssen besetzt werden können. Alles andere macht keinen Sinn: Österreich steckt in der größten Konjunkturkrise seiner Geschichte, das Budget passt hinten und vorn nicht zusammen und wir sperren Leute aus, die hier arbeiten, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen wollen. Dass das nicht der klügste wirtschaftspolitische Schachzug ist, wissen alle Beteiligten. Und tun es trotzdem.

LEADERSNET: In Österreich befinden sich derzeit 90 Hotelprojekte in der Entwicklungspipeline. Wie beurteilen Sie diese Investitionen angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Unsicherheiten?

Veit: Das kann man nicht über einen Kamm scheren, es kommt auf die einzelnen Projekte an: In Regionen, wo nicht nur die Nächtigungen steigen, sondern auch die Zimmerpreise anziehen, können Ergänzungen im Angebot ein Segen sein. Oder wo überhaupt touristisch Luft nach oben ist. Teilweise werden Projekte aber sehr kritisch gesehen, die einen stärker von der Bevölkerung, die anderen stärker von Branchenkenner:innen. Was wir sehen, ist vor allem, dass Investitionen in andere Branchen aktuell weniger rentabel sind: Der Tourismus ist auf lange Sicht jedenfalls eine Wachstumsbranche.

LEADERSNET: Der deutsche Markt macht einen großen Teil der Gäste aus, liegt aber bei den Tagesausgaben an vorletzter Stelle. Welche Strategien verfolgt die ÖHV, um die Wertschöpfung pro Gast zu erhöhen?

Veit: Das hat mehrere Gründe und ist per se nicht so kritisch, wie es scheint: Deutschland ist riesengroß und vor allem sehr nah. Da zahlt sich die Fahrt über die Grenze auch für einen günstigen Kurz- oder Zweit- bzw. Dritturlaub aus. Und wenn ich die Destination kenne, weiß ich, wo ich günstig schlafe – in vielen Fällen als Stammgast in einer Pension. Das ist bei einer Fernreise ganz anders, wenn ich einen Flug auf mich nehmen und bezahlen muss. In der Qualitätshotellerie sieht das anders aus, da entwickeln wir Angebot und Nachfrage aktiv mit. Da steht die Wertschöpfung stärker im Vordergrund, da wird strategisch investiert und kooperiert. Das haben Sie bei der günstigen Privatpension nicht, da ist man oft froh, wenn man sich etwas dazuverdient.

LEADERSNET: Sie fordern von der neuen Regierung konkrete Maßnahmen zur Entlastung der Betriebe. Können Sie spezifische Vorschläge nennen, die das wirtschaftliche Potenzial des Tourismus besser ausschöpfen würden?

Veit: Da gibt es eine ganze Reihe: Dass wir unsere offenen Stellen besetzen können, dass die künstliche Abschottung des Arbeitsmarkts überdacht wird. Mindestens genauso wichtig wäre eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote, zuallererst auf Arbeit: ein Dauerbrenner. Eine Digitalisierungskompetenz-Offensive, weil sich die für alle auszahlt. Wenn wir im Direktvertrieb besser aufgestellt sind, die richtigen Zielgruppen besser ansprechen, gewinnen alle – auch die Gäste. Dazu gebe es noch eine ganze Reihe wichtiger Maßnahmen, die den Staat nichts kosten, sondern sogar Kosten senken und Einnahmen steigern würden wie Bürokratieabbau, Maßnahmen gegen Fake-Bewertungen oder eine Tourismusstrategie mit messbaren Zielen. Es ist gar nicht so kompliziert oder so viel, dass die Politik das nicht umsetzen könnte. Aber wie so oft kommt es auf das Wollen an: Der erste Schritt ist immer der wichtigste und dabei unterstützen wir gerne nach Kräften.

www.oehv.at

Zur Person

Walter Veit ist seit 17. Jänner 2022 Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung und bleibt für weitere drei Jahre an deren Spitze. Mit einem klaren Votum beim ÖHV-Kongress 2025 bestätigten die Mitglieder ihr Vertrauen in den erfahrenen Hotelier, der die Interessenvertretung durch turbulente Zeiten geführt hat. Die Pandemie-Jahre haben die Tourismusbranche hart getroffen, doch unter Veits Führung hat der Verband wichtige Weichen gestellt.

Nun, da die akuten Krisen überwunden scheinen, richtet er seinen Blick auf die strukturellen Herausforderungen: Digitalisierung, Finanzierung, Nachhaltigkeit und vor allem der angespannte Arbeitsmarkt stehen ganz oben auf seiner Agenda.

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Walter Veit ist seit 17. Jänner 2022 Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung und bleibt für weitere drei Jahre an deren Spitze. Mit einem klaren Votum beim ÖHV-Kongress 2025 bestätigten die Mitglieder ihr Vertrauen in den erfahrenen Hotelier, der die Interessenvertretung durch turbulente Zeiten geführt hat. Die Pandemie-Jahre haben die Tourismusbranche hart getroffen, doch unter Veits Führung hat der Verband wichtige Weichen gestellt.

Nun, da die akuten Krisen überwunden scheinen, richtet er seinen Blick auf die strukturellen Herausforderungen: Digitalisierung, Finanzierung, Nachhaltigkeit und vor allem der angespannte Arbeitsmarkt stehen ganz oben auf seiner Agenda.

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