Round Table zur Lage der Branche
Experte sieht ein "Platzen der Immobilienblase in Zeitlupe"

| Redaktion 
| 10.09.2024

Am Dienstag beleuchteten Branchenprofis die aktuellen Entwicklungen am Immobilienmarkt und gaben Einblicke in die Geschäftsbereiche Wohnen (Miete und Eigentum), Bewertung, Investment und Gewerbe. Die Insolvenzwelle dürfte trotz Zinssenkungen weitergehen.

Am 10. September 2024 lud die Österreichische Realitäten AG (ÖRAG) zum Round Table zur aktuellen Lage der heimischen Immobilienwirtschaft. Dabei beleuchteten die Vorstände Stefan Brezovich, Michael Buchmeier und Johannes Endl, sowie die Fachbereichsleiter:innen die aktuellen Entwicklungen am Immobilienmarkt. Darüber hinaus gab es Einblicke in die Geschäftsbereiche Wohnen (Miete und Eigentum), Bewertung, Investment und Gewerbe. LEADERSNET Immobilien Herausgeber Friedrich Csörgits nahm am Runden Tisch Platz.

"Platzen der Immobilienblase in Zeitlupe" 

Die größte Herausforderung der kommenden zwölf Monate ortet Brezovich nicht beim Zinsniveau, das sich durch die zu erwartenden Zinsschritte noch entspannen werde. Die allgemeine konjunkturelle Entwicklung in Europa, insbesondere im mit Österreich eng verbundenen Deutschland sei es, die die Zukunft bestimmen wird. Aktuell stelle sich die wirtschaftliche Stimmung beispielsweise in Deutschland als deutlich angespannt dar. Mit der deutschen Industrie kooperierende Unternehmen erleben eine Zeit der Verunsicherung. Doch es seien bei weitem nicht nur die Autobauer oder ihre Zulieferer von Schwierigkeiten betroffen. Eine zunehmende Bürokratisierung der Wirtschaft und daraus resultierend potenzielle Abwanderungen von Unternehmen dämpften die Attraktivität des Standortes Europa darüber hinaus weiter, was in der Folge auch die Immobilienwirtschaft zu spüren bekommt, hieß es beim Round Table.

Das Zinsniveau hat keinen Peak gebildet, sondern ein Plateau. Die Immobilienwirtschaft musste sich den Expert:innen zufolge auf diese neuen (alten) Umstände kurzfristig und daher schmerzvoll einstellen, was zu Insolvenzen namhafter Branchenplayer geführt hat. Brezovich rechnet mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung. "Aus unserer Sicht wird sich der Prozess der Adaption an die neuen Gegebenheiten noch bis in das kommende Jahr ziehen", so der ÖRAG-Vorstand, der diese Phase als "Platzen der Immobilienblase in Zeitlupe" betitelt.

Auch wenn sich die Angebotspreise vielfach wenig verändert haben, so sei es Fakt, dass die Verbindung von maßvollen Preisrückgängen, anhand der (wenigen) Transaktionen, zusammen mit der starken Inflation der letzten 24 Monate real zu – teilweise deutlichen – Preisrückgängen geführt habe. Diese sei, abhängig von Objektart und Lage, unterschiedlich ausgeprägt. Stefan Brezovich dazu: "Die Folgen der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen spürt natürlich auch die Immobilienwirtschaft, die mit dieser engstens verwoben ist." Laut ihm werde die Lage auf dem Immobilienmarkt und im Bereich der Projektentwicklung trotz Zinssenkungen bis weit in das Jahr 2025 angespannt bleiben.

Weiters zeigte man sich überzeugt, dass auch fast alle Immobilienbereiche von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beeinflusst sind und bleiben, weil sie aufs Engste mit dieser verwoben sind – seien es Produktions- und Lagerflächen für die Industrie, Büroflächen für die Wirtschaft und den Dienstleistungs-Sektor, Wohnräume für die Beschäftigten und Retail-Flächen für die Konsument:innen, die bei guter Konjunktur und Beschäftigung mehr Geld ausgeben können. Letztlich treffe das auch auf Anlage- und Vorsorgeprodukte aus der Assetklasse Immobilien zu, die dann nachgefragt sind, wenn die Menschen ausreichend Mittel zum Sparen und Veranlagen haben.

Bewertung & Investment

Trotz der Zinssenkung sei die ersehnte Marktberuhigung nicht eingetreten – stattdessen sieht Michael Buchmeier, ÖRAG-Vorstand und Bereichsleiter Bewertung, einen von der Notwendigkeit des Verkaufs getriebenen Markt, wo die Wunschpreise nicht immer mit der Realität in Einklang zu bringen sind: Teilweise würden die gewünschten Kaufpreise über dem Marktniveau liegen, gleichzeitig werde es zunehmend schwierig, passende – und vor allem eigenkapitalstarke – Käufer:innen zu finden. Aus Sicht der Bewertung ändere sich zunehmend die Auftrageber:innen, waren es früher Bauträger und Projektentwickler, so sind es jetzt Masseverwalter:innen und Banken.

"Am Zinshausmarkt in den Außenbezirken ist ein Wertrückgang von bis zu 50 Prozent möglich, in den innenliegenden Bezirken bis zu 15 Prozent. Für Schmuckstücke werden noch immer Kaufpreise von über 7.000 Euro/m² Quadratmeter gezahlt", so Buchmeier.

Dass die heimische Wirtschaft derzeit von Stagnation und Unsicherheit geprägt ist, haben zuletzt auch die Wirtschaftsforscher:innen von Wifo und IHS bestätigt. Laut den Immoexpert:innen habe die Zinssenkung zwar einen psychologischen Effekt, jedoch in der Realität kaum Auswirkungen gehabt. Sie sehen in dieser Situation klar einen Käufermarkt. Vor allem Family Offices beziehungsweise Privatstiftungen sind demnach unter den kapitalstarken Interessent:innen vertreten, für die sich ein Markt voller Chancen ergibt. Institutionelle Investor:innen seien noch nicht so stark tätig wie vor zwei Jahren, jedoch trotzdem interessiert und mit einigen Transaktionen aktiv.

"Ein sinkendes Neuflächenangebot sorgt für steigende Mieten – das betrifft nicht nur Wohnen, sondern auch Top-Gewerbeflächen, speziell in Wien, wo in den letzten Jahren relativ wenig modernes Angebot geschaffen wurde", sagt Johannes Endl. Immobilienökonom (ebs) Herbert Petz fügt hinzu: "Eigenkapitalstarke Käufer:innen haben im Moment gute Karten: eine Verkaufswelle in der Immobiliebranche bringt Trophy Assets auf den Markt, die sonst nicht zum Verkauf stünden – beispielsweise das Büropalais Schottenring 19 und der ÖBB Tower."

Gewerbe 

Die Nachfrage nach Büroimmobilien in den neuen Büroclustern in Wien wie etwa Hauptbahnhof oder Donau-City zeige, dass der Bedarf an modernen Arbeitsumgebungen weiter wächst. Diese Standorte würden nicht nur moderne Büros, sondern auch eine attraktive Infrastruktur bieten. "Der Wiener Büroimmobilienmarkt zeigt ein besonderes Bild, im Vergleich zu anderen internationalen Märkten, wo hohe Leerstände herrschen. In Wien ist die Verfügbarkeit moderner Büroflächen sehr begrenzt und neue Projekte sind oft schon vor der Fertigstellung vermietet. Zusätzlich wurden mehrere Bauprojekte abgesagt, was die Knappheit weiter verschärfen wird. Trotz dieser Herausforderungen bleibt die Nachfrage nach modernen Büroflächen hoch, da Arbeitnehmer:innen und Management verstärkt ins Büro zurückkehren möchten" so Elisa Stadlinger, Geschäftsführerin und Bereichsleiterin Gewerbe.

Der Handel werde zwar nicht aussterben – aber wie alle Wirtschaftszweige müsse er sich auch den gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen. In Zukunft wird deshalb die Customer Experience noch weiter an Bedeutung gewinnen, zeigt man sich überzeugt. Was die Lage angeht, geht der Trend zu hochfrequenten Zonen. B- und C-Lagen benötigen neue Konzepte zur Belebung. Stadlinger dazu: "Der Handel bleibt trotz wirtschaftlicher Herausforderungen eine Schlüsselkomponente für städtische und ländliche Gebiete. Er belebt Erdgeschosszonen und bietet Unternehmen wichtige Marketingvorteile. Künftig wird der Fokus auf frequenzstarke Zonen und einer verbesserten Customer Experience liegen. Wir erwarten längere Prüfungszeiten und schärfere Verhandlungen bei Mietkonditionen."

Der Bauboom im Industrie- und Logistiksektor, ausgelöst durch die Pandemie, zeige nun eine Verschiebung hin zu spekulativen und Brownfield-Projekten. Die Vorteile für Entwickler:innen liegen demnach vor allem in vorhandenen Widmungen und Bewilligungen. Der Logistikmarkt habe sich verändert, nach einer erhöhten Nachfrage durch Onlinehandel und Covid werden nun eher zentrale Flächen vermietet, die auch häufig überdurchschnittlich rasch vollvermietet sind. Unternehmen setzen außerdem zunehmend auf Nachhaltigkeit und CO in ihren Immobilien. "Der Bauboom im Industrie- und Logistiksektor, ausgelöst durch die Pandemie, zeigt nun eine Verschiebung hin zu spekulativen und Brownfield-Projekten. Der Logistikmarkt hat sich verändert, nach einer erhöhten Nachfrage durch Onlinehandel und Covid werden nun eher zentrale Flächen vermietet", so Stadlinger.

Wohnen

Zwischen rückläufiger Bautätigkeit und nach wie vor schwieriger Finanzierungsbedingungen im Eigentum erhöhe sich der Druck am Mietmarkt: Insbesondere größere Wohnungen mit drei bis vier Zimmern sind sehr begehrt, jedoch sei das Angebot in diesem Segment begrenzt. Mietinteressent:innen sehen sich einem intensiven Wettbewerb ausgesetzt und müssen mit höheren Mietpreisen rechnen.

Aleksandra Mitrovic, Bereichsleiterin Wohnen Miete, sagt: "Ohne ausreichenden Neubau droht eine weitere Verknappung des Wohnraums, die zu noch höheren Mietpreisen führen könnte. Für eine wachsende Stadt wie Wien, die weiterhin Zuzug verzeichnet, ist das eine ernstzunehmende Herausforderung." Es werde immer schwieriger, den Bedarf an leistbarem Wohnraum zu decken, was vor allem Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen stark belaste.

Im Bereich Eigentum wird den Expert:innen zufolge vor allem der Sekundärmarkt spannend, auch das sei dem verringerten Neubauvolumen geschuldet. Werden die Immobilien an moderne Ansprüche in Sachen Nachhaltigkeit (neben Lage und Preis eines der Hauptkriterien) angepasst, ergeben sich derzeit gute Chancen. Für Käufer:innen würden sich dadurch wieder bessere Möglichkeiten bieten, erschwinglichere Immobilien mit mehr Nutzfläche zu kaufen, anstatt im Neubausegment auf kleinere Wohnflächen am Markt und schwierigen Finanzierungsmöglichkeiten zurückzugreifen.

"Das Neubausegment ist besonders anfällig für Schwankungen. Hohe Baukosten ermöglichen kaum Spielraum für eine Verhandlungsbasis, da die Umsetzung für die Projektentwickler:innen finanziell nicht tragfähig wäre", sagt Jelena Pirker, Bereichsleiterin Wohnen Eigentum und fügt abschließend hinzu: "Längere Transaktionsabwicklungen bleiben weiterhin bestehen. Fertiggestellte Wohnungen werden wieder spürbar attraktiver und entlasten noch dazu Käufer:innen in der Bauphase mit der Doppelbelastung bis zur Projektrealisierung."

www.oerag.at

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