Erhebung Konsumentenverhalten
So "scheinheilig" sind Österreicher beim Einkaufen

Bio, ja gerne. Fair und regional bitte auch. Doch wonach Konsument:innen schlussendlich bei ihren Besorgungen wirklich schauen, hat eine neue Studie herausgefunden.

Soziale Erwünschtheit ist ein großer Faktor in unserer Gesellschaft. Für all jene, die nicht sofort wissen, worum es sich dabei handelt: Die soziale Erwünschtheit ist die Tendenz, Selbstauskunftsfragen in der Weise zu beantworten, dass die eigenen Aussagen weniger dem realen Erleben und Verhalten und dafür stärker sozialen Normen und Erwartungen entsprechen. 

Sie tritt also vor allem dann in den Vordergrund, wenn Menschen Auskünfte über sich selbst im Rahmen eines Interviews, einer Befragung oder ähnlichem geben sollen. Ein Faktor, der Forschenden die Auswertung erschwert und der die Frage nach dem Wahrheitsgehalt in den Raum stellt. 

Eben solcher Diskrepanz ist das Institut für Handel, Absatz und Marketing (IHaM) nachgegangen. Sie haben sich die Frage gestellt, inwieweit sich die Einstellungen zum evidenten Einkaufsverhalten unterscheiden. Dafür haben sie eine Online-Befragung mit 1.001 Konsument:innen im Alter von 16 bis 74 Jahren durchgeführt. Anlass dieser Untersuchung seien Umfragen gewesen, in denen Österreicher:innen immer wieder betont haben, dass regional, bio, fair und umweltfreundlich produzierte Ware beim Einkaufen eine wichtige Rolle spielen. 

Fremd- und Eigenwahrnehmung 

Um nun die Diskrepanz zwischen den kommunizierten Einstellungen der Konsument:innen und ihrem tatsächlichen Kaufverhalten zu untersuchen, hat das IHaM zwei Fragen gestellt. Bei der Ersten sollten die Befragten die Abweichung zwischen Einstellung und Verhalten bei anderen Konsument:innen einschätzen – hierbei sprechen sie von der "fremdbezogenen Diskrepanz". Anschließend bewerteten sie die Abweichung zwischen der eigenen Meinung und ihres tatsächlichen Konsumverhaltens – die sogenannte "selbstbezogene Diskrepanz". Letztere weist geringere Werte auf, da sie möglicherweise stärker von sozialer Erwünschtheit beeinflusst wird.

Dennoch sind web-basierte Befragungsmethoden, wie sie hier zur Anwendung kamen, ein zulässiges Tool, solche sensiblen Fragen zu erheben und differenziert abzubilden. 

Konsumentenpsychologie

Die Ergebnisse der Erhebung bestätigen laut den Forschenden die bereits existenten Erkenntnisse aus der Konsumentenpsychologie. Demnach erkennen Kund:innen, dass sie nicht immer das tun, was sie meinen bzw. sagen. Tatsächlich gehen generell 72 Prozent der Befragten davon aus, dass sich bei anderen Konsument:innen Einstellungen und evidentes Einkaufsverhalten nicht decken. 47 Prozent der an der Erhebung teilnehmenden Österreicher:innen geben dies in einer anonymen Online-Befragung auch für sich selbst zu.

Nachbeben einer Krise

Doch warum rücken gerade Nachhaltigkeit, Fairtrade und biozertifizierte Produkte in den Fokus der Konsument:innen? Die Forschenden gehen davon aus, dass die vergangenen Jahre, welche geprägt waren von zahlreichen Krisen, die Bedeutung von Ethik beim Einkaufen verstärkt haben. Dennoch meinen zwar 73 Prozent der befragten Konsument:innen, dass sie zwar Produkte bevorzugen, die unter fairen/ ethischen Bedingungen hergestellt werden, tatsächlich aber Produkte kaufen, bei denen fraglich ist, ob ethische Standards bei Produktion eingehalten werden. 51 Prozent stellen dieses Verhalten auch bei sich selbst fest.

Beim Thema Umwelt ist sogar eine noch größere Diskrepanz zwischen Einstellungen und dem Verhalten festzustellen. 78 Prozent der Österreicher:innen gehen demnach davon aus, dass andere Konsument:innen zwar umweltfreundliche Produkte bevorzugen, in Wirklichkeit aber ohne Rücksicht auf Umweltauswirkungen einkaufen. 49 Prozent der Befragten geben es auch für sich zu.

Auch mit Blick auf den Einkauf von Bio-Produkten ist eine deutliche Abweichung zu erkennen. 66 Prozent glauben zwar den Konsument:innen, dass sie biologisch hergestellte Produkte bevorzugen, gehen aber dennoch davon aus, dass diese zu konventionell hergestellte Produkte greifen. 47 Prozent der Österreicher:innen beobachten dieses Verhalten bei sich selbst.

Und auch der Wunsch nach Regionalität wird zwar den Konsument:innen geglaubt, dennoch sind 66 Prozent der Befragten überzeugt, dass letztlich der Preis entscheidender ist. Auch hier erkennen 47 Prozent der Österreicher:innen die Diskrepanz zwischen Einstellung und Einkaufsverhalten bei sich selbst.

© IHaM Institut für Handel, Absatz und Marketing© IHaM Institut für Handel, Absatz und Marketing

Am Boden der Tatsachen

Die Forschenden stimmen mit den Befragten überein, dass schlussendlich der Preis über dem Wunsch nach Ethik, Nachhaltigkeit und Umweltweltschutz steht. Hier spielt auch die Teuerungskrise eine unrühmliche Rolle, denn gerade Aktionen im Einzelhandel sind stark nachgefragt, wie die IHaM-Analyse "Konsumklima: Ende der Durststrecke oder Fata Morgana?" aus dem Jahr 2024 aufzeigt.

So gehen 78 Prozent der Befragten davon aus, dass andere Konsument:innen zwar sagen, dass Preisaktionen unnötig sind, tatsächlich aber gezielt nach ihnen suchen. 57 Prozent der Österreicher:innen geben das für sich selbst zu. In puncto Qualität denken 75 Prozent der Umfrageteilnehmenden, dass sie den Konsument:innen zwar wichtig ist, sie beim Einkaufen aber ausschließlich über den Preis entscheiden. 51 Prozent gestehen sich das selbst ein.

Auch ging aus einer früheren Untersuchung des IHaM hervor, dass auf Handelsmarken umzusteigen, eine weitverbreitete Reaktion der Konsument:innen auf steigende Einzelhandelspreise ist. 64 Prozent der Österreicher:innen gehen davon aus, dass andere Konsument:innen zwar prinzipiell Markenprodukte bevorzugen, tatsächlich beim Einkaufen aber zu Handelsmarken greifen. 49 Prozent der Konsument:innen sehen dieses Verhalten auch bei sich.

© IHaM Institut für Handel, Absatz und Marketing© IHaM Institut für Handel, Absatz und Marketing

Zwischen Sein und Schein

"Die Einstellungen der Konsument:innen entsprechen nicht (immer) dem tatsächlichen Kaufverhalten. Diese Diskrepanz versucht unsere aktuelle IHaM-Analyse aufzuzeigen und vielleicht auch einen Anstoß zur Diskussion zu liefern. Denn so sehr uns bio, fair, regional und Qualität auch am Herzen liegen, am Ende des Tages entscheidet vielfach der Preis zu welchem Produkt wir greifen. Zum Beispiel gibt die Hälfte der Konsument:innen in der durchgeführten Befragung für sich selber zu, dass ihnen Qualität sehr wichtig ist, letztlich aber der Preis beim Einkaufen entscheidet", erläutert Ernst Gittenberger vom Institut für Handel, Absatz und Marketing die aktuelle IHaM-Analyse.

Christoph Teller, Institutsvorstand, ergänzt: "Wir Konsument:innen scheinen wahre Meister darin zu sein, unsere eigene 'Scheinheiligkeit' zu leben – oder leben zu müssen. Die Kluft zwischen der fremdbezogenen Diskrepanz, also dem, was wir anderen Konsument:innen zutrauen, und der selbstbezogenen Diskrepanz, also dem, was wir tatsächlich selbst tun, zeigt, wie groß der Unterschied zwischen unseren Einstellungen und unserem Verhalten ist. Zwar sind Ethik, Bio, Regionalität und Qualität in unseren Köpfen längst angekommen, doch unser Handeln hinkt hinterher. Oft bleibt uns in der aktuellen Lage auch nichts anderes übrig. Wirtschaftliche Unsicherheit und Sparzwänge tragen erheblich zu dieser Diskrepanz bei. Wir erheben hier keinen Zeigefinger, wir zeigen nur das Phänomen auf – auf Basis von empirischen Daten."

www.jku.at

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