LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das Nachhaltigkeits-Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in allen ihren Facetten von Environment über Social bis Governance.
Nachdem es beim letzten Mal um die Investoren Alexander Schwarzenberg und Georg Brammertz gegangen war, dreht sich nun alles um das sich immer schneller drehende Modekarussell und die Designerin Nina Hollein, eine Österreicherin in New York, die den Absprung geschafft und eine nachhaltige Nische gefunden hat.
New York City ist kein Ort, der stillsteht. Doch für Nina Hollein führte die Stadt, die niemals schläft, ausgerechnet zu einem entschleunigten Business. Die Österreicherin fertigt hier für ihr gleichnamiges Label aus Secondhand-Sakkos, Overstock-Stoffen und Materialresten kunstvolle Kreationen – allesamt Unikate. Sie setzt auf Upcycling, auch in der Modeindustrie ein Trend, auf den immer mehr Designer:innen und Häuser wie Marine Serre, Hermès oder Miu Miu aufspringen, denn die Nachfrage danach steigt stetig – auch im Luxussegment. Es ist ein Trend, der der Umwelt zuliebe zum Branchenstandard werden müsste.
Für ihre Serie "Suit Up" zerlegt Nina Hollein seit 2020 Herrenanzüge und verwandelt sie in fantasievoll konstruierte, teils wandelbare Kleider, Röcke und Kostüme. Der ausladende Minirock eines zweiteiligen Ensembles, gefertigt aus einem Wolle-Seide-Vintage-Sakko, lässt sich etwa auch als Cape tragen. Zu der Serie gehören ebenso ein ausladender Rock, den Hollein aus Stücken eines Nadelstreifenanzugs genäht und mit voluminösem Tüll unterlegt hat, oder mehrfarbige bodenlange Patchworkkleider aus Stoffresten, die mit einem Taillengürtel auf Figur gebunden werden. Ihre Entwürfe haben keine klassischen Größen, sodass man sie mit jeder Körperform tragen kann – auch ein nachhaltiger Gedanke.
Tragbare Kunst
Nina Holleins Unikate sind künstlerisch – ohne Verfallsdatum – und in der nächsten Saison nicht schon wieder out. Nina Hollein näht sie in ihrem Studio und beschafft auch die Stoffe selbst, sie ist eine One-Woman-Show. Teils stammen die alten Sakkos aus Charity-Shops, vergleichbar mit Caritas in Österreich. Einfacher und wahrscheinlich auch kostengünstiger wäre es, die Webstoffe neu einzukaufen, denn die Materialien müssen vor der Verarbeitung auch noch professionell gereinigt werden. Doch dies würde nicht Holleins Ideal entsprechen. "Mein Business ist in der Form bestimmt nicht skalierbar, und das möchte ich auch so belassen", verrät die Modemacherin. Ihre Kreationen wirken wie tragbare Kunst und wurden bereits im Museum ausgestellt, einmal neben den Landschaftsgemälden ihres Zwillingsbruders Philipp Schweiger. Aktuell werden die Arbeiten von Nina Hollein in einer Ausstellung im Schlossmuseum Linz (24. Mai bis 23. Oktober 2024) gezeigt.
»Die Modebranche ist eine hyperventilierende, aufgeblasene, aufwendige Maschinerie.«
Nina Hollein
Die Österreicherin ist eng mit der Kunst- und Architekturbranche verbunden und bestens vernetzt, nicht zuletzt, weil sie auch als Kostüm- und Set-Designerin arbeitet. Für die Künstlerin Lynn Hershman Leeson stattete sie Kunstfilme mit Kostümen aus. Die Star-Violinistin Leila Josefowicz kleidet sie für deren Welttourneen ein und zudem entwirft sie Kleider für eine Chansonnière. Ihr Mann Max Hollein ist Direktor des Metropolitan Museums of Art in New York und damit auch Hausherr der Met Gala – ein großes Modespektakel, organisiert von Vogue-Chefin Anna Wintour. Ihr Schwiegervater, Hans Hollein, zählte zu den bedeutendsten Architekten Österreichs.
Gut betuchte Damen der Kunstwelt ab 40, die sonst vielleicht bei Chanel kaufen und etwas Einzigartiges wünschen, zählen zu ihren besten Kundinnen. "Ein transparentes Oberteil bei Prada kostet möglicherweise um die 3.000 Euro", sagt Hollein, "in einer ähnlichen Preisklasse liegt bei mir ein bodenlanges Patchwork-Zero-Waste-Abendkleid aus Seidenchiffon, bei dem man genau weiß, unter welchen Bedingungen es produziert wurde." Neulich, erzählt die Designerin, fragte eine brasilianische Kunstsammlerin, ob sie vorbeikommen könne, denn sie suche ein Kleid für eine Gala. In Holleins Showroom, der sich genau wie ihr Atelier im Familien-Townhouse in der Upper East Side befindet, kaufte sie schließlich sieben Kleider.
Gegen den Strom
Nina Hollein plädiert für ein Umdenken bei Konsument:innen. Im Streetwear-Bereich heiße das, dass man nicht jedes Teil, welches Influencer:innen bewerben, kaufen müsse. Und für das Luxussegment bedeutet dies, dass man auf der Met Gala nicht nur in Chanel und Dior, sondern auch in etwas Selbstgeschneidertem eine gute Figur machen kann.
Dass Holleins Entwürfe auch auf dem großen Parkett für Aufsehen sorgen, bewies sie selbst, als sie zu einer Met Gala in einem goldenen, aufwendig gerafften Rüschenkleid aus eigener Feder erschien. Nina Hollein, eine zierliche Erscheinung, blondes Haar, mit feengleichen mädchenhaften Gesichtszügen, wirkte in ihrer Robe selbst wie ein Filmstar. In New York, sagt Hollein, habe sie ihre Nische gefunden.
Neue Heimat New York. Nina Holleins Entwürfe sorgen auch auf dem großen Parkett für Aufsehen. Das bewies sie selbst, als sie zu einer Met Gala in einem goldenen, aufwendig gerafften Rüschenkleid aus eigener Feder erschien © Holger Menzel/ Nina Hollein
Angestellte oder eine Produktionsstätte hat die in Wien geborene Modemacherin nicht. Das war nicht immer so. Bevor sie mit ihrer Familie 2016 zunächst nach San Francisco, dann in den Big Apple übersiedelte, lebte sie viele Jahre in Frankfurt am Main. Im Stadtteil Sachsenhausen eröffnete Nina Hollein 2009 eine Boutique, zog dann später auf die Schweizer Straße. Bis 2016 besaß sie auch einen Onlineshop und arbeitete mit einer bayerischen Produktionsstätte zusammen. Sie hielt sich an den klassischen Branchenrhythmus, brachte mehrere Kollektionen pro Jahr heraus, organisierte Shootings, Pop-up-Stores und nahm an Messen teil – ein Hamsterrad, sagt sie. Es machte Spaß, war aber auch intensiv. "Ein Fotoshooting ist ein wichtiger Teil der kreativen Arbeit und der Dokumentation – aber natürlich auch ein erheblicher Aufwand für ein kleineres Label wie meines."
Nina Hollein blickt mit Abstand auf ihre Branche. Sie beobachtete Labels, die es auf die Covers von Hochglanzmagazinen schafften und trotzdem kurze Zeit später Pleite gingen. "Die Modewelt ist eine bisweilen hyperventilierende, aufgeblasene, aufwendige Maschinerie." All das, sagt sie, habe sie nun hinter sich gelassen. Es gebe ihr mehr Freiheit und sei auch lukrativer. Dem Gedanken, dass Mode nur eine Stimme hat, wenn sie in Form von protzigen Modenschauen präsentiert wird, widerspricht sie.
»Es wird hoffnungslos überproduziert und dann vernichtet.«
Nina Hollein
Wer die Modeschule besucht – Hollein tat das nie – lernt, in Kollektionen zu denken. Eine Frühling-Sommer-, eine Herbst-Winter-Kollektion, eine Capsule-Kollektion und, und, und … mittlerweile bringen große Modehäuser und High-Street-Ketten unzählige Kollektionen heraus. Ein schnelllebiges System, das sowohl schlecht für die Umwelt ist als auch bei vielen Modemacher:innen zum Burn-out führt. Ein Ergebnis, zu dem jüngst auch eine Umfrage von Vogue Business mit dem Titel "Debunking the Dream“ kam. Ein großer Teil der Kleidung landet irgendwann auf der Müllkippe, denn es wird stets zu viel produziert. Laut der Studie "Fashion On Climate" der Unternehmensberatung McKinsey war die Modeindustrie im Jahr 2018 für 2,1 Milliarden Tonnen Treibhausgasemissionen verantwortlich, was vier Prozent des globalen Gesamtwerts entspricht. Auch Hollein sieht den Status quo der Branche kritisch: "Es wird hoffnungslos überproduziert und dann vernichtet", sagt Hollein. Etwas zu tragen, von dem sie vermutet, dass unterbezahlte Frauen und sogar Kinder es genäht haben, ist zwar oft kaum vermeidbar – aber ihr Albtraum. Mit ihrem Slow-Fashion-Konzept hofft Nina Hollein, Denkanstöße für die Modebranche zu geben.
Hollein lässt sich auf das klassische System der Branche nicht ein. Sie denkt nicht in Kollektionen, sondern kreiert Kleidergruppen, die sie stetig erweitern kann. Auslaufmodelle haben hier keinen Platz. Es gibt etwa die "Transformers", wandelbare Kleidungsstücke wie zum Beispiel eine Art Haremshose aus einem weich fallenden Stoff, die auch als Oberteil getragen werden kann. Oder die "Plaids Kollektion", die Hollein aus karierten österreichischen Leinen-Haushaltsstoffen fertigt.
Farbenfroh. Seidene Patchwork-Zero-Waste-Kleider aus Nina Holleins "Suit Up"-Serie © Holger Menzel/ Nina Hollein
Diese traditionellen Karostoffe legten auch den Grundstein für ihr Label. Es war 2008 und Nina Hollein, die zuvor als Architektin bei Größen wie Peter Eisenman in New York und Albert Speer in Frankfurt gearbeitet hatte, war zu Hause, da sie in relativ kurzen Abständen ihre drei Kinder zur Welt gebracht hatte, wollte sich aber trotzdem beruflich betätigen. Sie schrieb zwei Kinderbücher, verfasste Artikel für Zeitungen und nähte Kleidung für sich und ihre Kinder aus bäuerlichen Geschirrtüchern aus dem oberösterreichischen Haslach, ehemals ein Zentrum für die Leinenindustrie an der Grenze zu Bayern und Böhmen. Diese Stoffe waren ihr noch aus ihrer Kindheit bekannt. Sie fand es schade, diese schönen Materialien, die zudem noch praktisch und natürlich waren, nur für den Haushalt zu nutzen. Als Jugendliche hatte die Designerin viel Zeit auf dem Bauernhof der Großeltern in der Gegend verbracht, wo sie auch junge Menschen kennenlernte, die in den ansässigen Webereien beschäftigt waren.
Heute verarbeitet sie hin und wieder auch noch diese Leinenstoffe, mit denen alles begann. Anfang des Jahres schneiderte sie daraus Kreationen für ihre aktuelle Ausstellung in Linz, die an Ballerina-Kostüme erinnern. „Home Coming“ heißt diese Schau, „Heimkehren“. Doch es scheint, dass Nina Hollein auch in ihrer Wahlheimat New York ziemlich gut angekommen ist. –
Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im neuen Nachhaltigkeits-Businessmagazin aehre auf www.aehre.media und in der aktuellen Ausgabe am Kiosk.
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