Erweiterung der Equity-Theorie
Social Media-User skeptisch gegenüber "gekauften" Micro-Influencern

Eine Studie zeigt auf, wie Konsument:innen auf das "kollaborative" Verhalten von Content Creators im Gastgewerbe reagieren. 

Wohl die wenigsten wissen, dass der Beruf des "Influencers" kein Produkt der Moderne ist, sondern auf eine hunderte Jahre alte Geschichte zurückblickt. Früher noch fernab der digitalen Kanäle haben sich Menschen wie Margaret Thaw auf ihren Reisen inszeniert und dafür Geld sowie Ruhm erhalten. Ihr längst vergessenes Geschäftsmodell ähnelte dem der heutigen Social-Media-Stars.

Seit 2007 spricht man auch in Werbung und Marketing von Influencern - zurückzuführen auf den 2001 erschienenen populärwissenschaftlichen Bestseller "Influence: Science and Practice" (dt.: "Einfluss: Wissenschaft und Praxis") von Robert Cialdni. In seinem Werk beschreibt er die wichtigsten Eigenschaften zur Einflussnahme, darunter etwa soziale Autorität, Vertrauenswürdigkeit, Hingabe und widerspruchsfreies Verhalten. Durch die Verbreitung von Social-Media-Plattformen wie Facebook, YouTube und Instagram gewann seine Theorie weiter an Popularität und ebnete dem Influencer-Marketing den Weg.

Das Streben nach Fairness

Genau diese Form des Marketings hat jetzt eine neue Studie mit Blick auf die Hotellerie untersucht. Dabei zeigte sich, dass Verbraucher:innen, die soziale Medien nutzen, auf Interaktionen zwischen Micro-Influencern und dem Gastgewerbe reagieren, wenn Letztere in einem "kollaborativen" Umfeld agieren - wie etwa das zur Verfügung stellen von Essen und Unterkunft im Gegenzug für die Erwähnung des Gastgewerbes auf Social Media. 

Allerdings fällt die Reaktion nicht positiv aus. Sondern das Gegenteil tritt ein. Die universitären Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Verbraucher:innen diese Form von "kollaborativen" Verhaltens ablehnen, begründet durch das Empfinden von Unfairness und Ungleichheit. Die Erkenntnisse der Forschenden tragen daher dazu bei, die Anwendung der sogenannten Equity-Theorie zu erweitern, indem sie die Perspektive der Social-Media-User als dritte Perspektive einbezieht.

Motivationstheorie

Die Equity-Theorie, die sich mit dem Gleichheitsprinzip der Gerechtigkeit auseinandersetzt, ist eine Motivationstheorie, die aussagt, dass Menschen in sozialen Beziehungen nach Fairness streben, indem sie ihre eigenen Bemühungen und Belohnungen mit denen anderer vergleichen. Das Gefühl, ungleich behandelt zu werden, führt demnach zu Unzufriedenheit, aus der wiederum eine Verhaltensänderung erwächst, um das empfundene Ungleichgewicht auszugleichen. Auf dieser Grundlage analysiert die Studie die Wahrnehmungen und Reaktionen einer dritten Partei - die der Verbraucher:innen, die Social Media nutzen - auf den Austausch zwischen dem nehmenden Element (Micro-Influencer) und dem gebenden Element (Hotellerie) in "Kollaborationsszenen". 

Während die Praktiken von bezahlten Influencern wissenschaftlich große Aufmerksamkeit genossen, stellt das Phänomen der Zusammenarbeit mit unbezahlten Micro-Influencern bislang eine Grauzone dar. Giancarlo Fedeli vom Institut Tourismus, Wein Business und Marketing am IMC Krems und seine Kollegen Zhuowei (Joy) Huang von der Sun Yat-sen University und Mingming Cheng von der Curtin University haben sich diesem bisher wenig erforschten Thema angenommen – und einige interessante Fakten herausgefunden.

Studienerkenntnisse des ersten Teils im Überblick:

  1.  Micro-Influencer mit 10.000 bis 100.000 Followern neigen dazu, intensiv mit ihren Anhänger:innen zu interagieren, weswegen sie oft von den Nutzer:innen als authentisch, vertrauenswürdig und überzeugend wahrgenommen werden.
  2. Kleinere Unternehmen bevorzugen Micro-Influencer, die es sich nicht leisten können, für Partnerschaften zu bezahlen.
  3. Fedeli und sein Forschungsteam haben drei Hauptdimensionen herausgearbeitet: "Vertrauensverlust", "unangemessenes Verhalten", "unethische Praktiken". Dabei drückt die erste Dimension Besorgnis aus, dass "kollaboratives" Verhalten den Wert der Wahrheit untergräbt. "Unangemessenes Verhalten" bedeutet, dass die Bitte um Zusammenarbeit durch Micro-Influencer nicht als lohnende Investition für das Restaurant angesehen wird - ein Like auf Social Media rechtfertigt demnach kein kostenloses Essen. Und die dritte Dimension beinhaltet die Meinung der User, dass Micro-Influencer mit ihren Inhalten Geld verdienen und ihren Lebensstil vermarkten sollen, anstatt "unethische Praktiken" anzuwenden, um kostenlos Dinge zu erbitten.

Giancarlo Fedeli über die Forschungsarbeit: "Wir haben fünf Videos mit mehr als 6.200 Kommentaren analysiert und schließlich 326 Kommentare, die persönliche Ansichten über Micro-Influencer widerspiegeln, in unsere Analyse einbezogen. Die Mehrheit der Verbraucherreaktionen konzentrierte sich eindeutig auf die Tatsache, dass es unethisch ist, wenn Influencer um kostenlose Mahlzeiten oder Unterkunft bitten."

Zweiter Forschungsabschnitt

Auf der Grundlage der Ergebnisse des ersten Studienteils entwickelten die Forschenden einen 2x2-Versuchsplan, aus dem vier verschiedene Kollaborationsszenen hervorgehen:

  1.  Faktor: Reaktion der Geber (Restaurant) auf die Kooperationsanfrage der Micro-Influencer - "abgelehnt"/ "akzeptiert"
  2. Faktor: Online-Kommentare der Empfangenden (Micro-Influencer), d.h. positive oder negative Kommentare
  3. Faktor: Verbraucher:innen, die zwar nicht direkt beteiligt, aber Teil des Austauschs waren

"Bei unseren Experimenten", beschreibt Fedeli, "sahen sich unsere Teilnehmer:innen – die Verbraucher:innen – ein kurzes Video an, in dem ein Micro-Influencer im Austausch für ein Bild auf seiner Instagram-Seite um ein kostenloses Essen in einem Restaurant bat. Anschließend wurde jede:r der 438 Teilnehmer:innen einem der vier Kollaborationsszenarien zugewiesen und gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, um die kognitiven und verhaltensbezogenen Ergebnisse gegenüber dem Micro-Influencer zu analysieren." 

Hier stellte das Forschungsteam ebenfalls zwei Hauptergebnisse fest: Zum einen zeigte sich, dass die Teilnehmer:innen zustimmen, dass das "Kollaborationsverhalten" des Micro-Influencers unangemessen war und den Wert der Wahrhaftigkeit oder Authentizität seines Beitrags untergrub - unabhängig davon, ob der Influencer positive oder negative Kommentare in den sozialen Medien hinterließ. Und zum anderen wurden das Vertrauen der Teilnehmer:innen in den Influencer, ihre ethische Wahrnehmung der Fairness gegenüber dem Restaurant und ihr Verhalten danach, signifikant höher bewertet, wenn der Influencer positive Kommentare anstatt negativer Kommentare hinterließ. 

Die Ergebnisse beider Studienteile weisen im Generellen darauf hin, dass die Verbraucher:innen die "Zusammenarbeit" von Mirco-Influencern mit Gastgewerbebetrieben eher als ungleich oder unfair wahrnehmen. Auch sagten die Teilnehmer:innen aus, dass die Micro-Influencer als besonders unethisch wahrgenommen werden, wenn das Gastgewerbeunternehmen die Zusammenarbeit verweigert und danach negative Kommentare online gestellt werden. 

Zukünftige Forschung sollte das Experiment für verschiedene Gastgewerbeprodukte und Social-Media-Plattformen wiederholen, um Unterschiede im gesamten Tourismussektor und zwischen verschiedenen Online-Zielgruppen zu untersuchen.

www.fh-krems.ac.at

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV