Es ist nicht das erste Mal, geneigte Leser:innen, dass ich mich mit dem Thema Bürokratie befasse, und das bedeutet leider, dass hier nach wie vor Einiges im Argen liegt. Befragt man Unternehmer:innen in Deutschland oder Österreich, welche Maßnahmen sie als notwendig für Wirtschaftsaufschwung bzw. weltweite Wettbewerbsfähigkeit erachten, heißt die erste Antwort zumeist: "Bürokratieabbau". Selbst bei den in den vergangenen Wochen stattgefundenen Bauernprotesten ging es – Sie ahnen es schon – letztendlich vor allem um den Bürokratieabbau.
Zurück zur Eigenverantwortung
Seit Jahrzehnten wird uns Bürger:innen und Unternehmer:innen von so gut wie allen politischen Parteien zu verstehen gegeben, sie hätten das Problem verstanden und versprochen, sich "Jetzt" darum kümmern zu wollen. Darüber hinaus werde darauf geachtet, kein "Gold Plating" – also weitere Verschärfungen von Vorschriften – zu produzieren. Doch die Realität zeigt: nichts ist passiert, nichts wird in Angriff genommen, ganz im Gegenteil. Das nun vor ein paar Tagen von der EU verabschiedete Lieferkettengesetz ist ein plakatives Beispiel dafür.
Also, was bräuchte es? Es müsste tatsächlich vor Einführung oder Änderung einer jeden einzelnen Regelung eine umfassende Evaluierung erfolgen. Braucht es diese Regelung wirklich, oder könnte an dieser Stelle nicht doch auf die Eigenverantwortung der Menschen und Unternehmen vertraut werden? Dazu bedürfte es aber einer ganz grundsätzlichen Neuausrichtung des politischen Denkens, nämlich: zurück zur Eigenverantwortung und weniger Staat. Vor allem betrifft dies mögliche Rufe nach Subventionen, Sozialleistungen etc., aber selbst das wird nicht mehr ausreichen. Wir müssten des Weiteren schleunigst alle bestehenden Regelungen einer Evaluierung unterziehen, ob diese wirklich gebraucht werden. Es müsste sich die Zeit genommen werden, jedes und alles auf den Prüfstand zu stellen. Vorschläge und Empfehlungen, also die Vorarbeit dazu, gibt es vor allem aus der Wirtschaft genug. Vor allem stellt sich die Frage, ob wir wirklich weiterhin alles bis ins kleinste Detail diktieren, protokollieren und dokumentieren müssen? Erinnern Sie sich? Es ist noch nicht so lange her, dass man uns gesagt hat, wie oft pro Tag und wie genau wir uns die Hände waschen und desinfizieren sollen, wie wir einander grüßen und in welche Armbeuge wir niesen sollen.
Mut und Disziplin
Warum aber ist das so problematisch, weshalb fällt es der Politik, den Regierungen und auch uns persönlich so schwer, uns diese Eigenverantwortung zuzutrauen? Ich meine, es fehlt erstens an Mut und zweitens an Disziplin. Was meine ich damit? Die meisten Menschen fühlen sich wohler, wenn alles klein-klein geregelt ist. Wenn alles detailliert festgeschrieben ist, hat man auch viel weniger Verantwortung zu tragen. Wir müssen deshalb wieder den Mut finden, eventuelle Lücken zuzulassen. Wir müssen den Mut haben, den Menschen zuzutrauen, dieses oder jenes selbst zu schaffen. Wir müssen aber auch den Mut aufbringen, jenen, die nach überbordenden Regelungen oder überflüssigen Unterstützungen schreien, eine Absage zu erteilen. Und Disziplin braucht es, um diesen Weg zu weniger Regulierung – so er einmal eingeschlagen wurde – dann auch durchzuziehen und nicht wieder in alte Muster zu verfallen, sozusagen in das gemütliche Bett des "dann regeln wir das halt" zurückzufallen.
Weniger Bürokratie hieße auch Mut zu klareren Ansagen, weshalb etwas geschehen oder unterbleiben muss. "Schlechte" Kompromisse oder die Absicht, es allen recht machen zu wollen, führen automatisch zu einer Fülle von Regelungen, Ausnahmebeschreibungen etc. Nehmen wir etwa das Steuerrecht, das die meisten Regeln und Vorschriften enthält und somit als Musterbeispiel gelten kann. Warum? Weil man darin versucht (hat), es jedem:er irgendwie "recht" zu machen, mit dem Ergebnis, dass eine Ausnahme-Abschreiberegelung nach der anderen daraus entstanden ist. In Deutschland machte einmal die Idee die Runde, die Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen zu können. Man denkt dabei daran, dass es nur noch drei Einkommenssteuerstufen z. B. mit 10, 15 und 25 Prozent gäbe. Das wäre niedrig, dafür gäbe es aber keinerlei steuerliche Abschreibungsregeln mehr, also keine Pendlerpauschale, keine Familienbeihilfe, keine Abschreibungen, egal welcher Art etc.
Weniger Bürokratie und mehr Transparenz
Natürlich würde dies unter denjenigen, die bisher die Früchte dieser Abschreibungen genossen haben, für ein großes Rumoren sorgen. Aber: dafür wäre die Steuer eben niedriger und der Aufwand für die Steuer bei Null. Nicht, dass dies zu einer hundertprozentigen Gerechtigkeit führen könnte – aber das leistet das jetzige System ja auch nicht. Es würde aber auf jeden Fall zu viel weniger Bürokratie und gleichzeitig mehr Transparenz führen. Was fehlt, ist der Mut, solch eine Reform anzugehen und durchzuziehen.
Für das Gelingen eines solchen Bürokratieabbaus müssten aber auch wir selbst uns ändern. Das würde bedeuten, nicht ständig nach Unterstützungen durch den Staat zu rufen und keine kleinteiligen Regulierungen einzufordern. Das ist wahrscheinlich vor einem Hintergrund gar nicht so einfach, nämlich dass wir unseren Mitmenschen Erfolg meist neiden, anstatt uns für sie oder ihn zu freuen. Also wird lieber geregelt, damit nur ja niemand mit allzu großem Erfolg Unzufriedenheit bei anderen auslöst.
Wie wir es trotz mancher Bürokratiemonster dennoch geschafft werden, als Unternehmen 240 Jahre alt zu werden, darüber muss man sich so besehen fast wundern. Deshalb ist es umso wichtiger, den Austausch zu suchen und sich für mehr Eigenverantwortung stark zu machen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die dazu motivieren, etwas schaffen zu wollen, anstatt sich in die Hängematte zu legen. Inspirierende Beispiele gibt es mehr als man glauben möchte, man muss halt aufstehen, um sie zu sehen – daheim im Bett oder im Gesetzbuch wird man sie jedenfalls nicht finden.
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