Inflation, Energie und Geldpolitik bewegen die Menschen in Europa so stark wie lange nicht mehr. Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann, Professor für Geschichte der Neuzeit und Wirtschaftsgeschichte sowie Dozent am Institut für Volkswirtschaft der Universität Zürich, führte aus, wie sich diese Gemengelage anhand früherer Krisen erklären lässt und wie sich diese mittelfristig auswirken könnte.
Vergleich mit 70ern
Tobias Straumann verglich die aktuellen Entwicklungen mit den von der Öl- und Wirtschaftskrise gekennzeichneten 1970er-Jahren. Damals habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass Inflation zu teuer ist, um sie sich leisten zu können. Daher sei mit Zinsen in der Höhe von über 20 Prozent gegengesteuert worden. Auch in den vorangegangenen Monaten sind die Leitzinsen stark gestiegen. Straumann verglich das auch mit der Finanzkrise 2007/2008, als die Zinsen zunächst stark fielen, um danach stark zu steigen. Der Zinsanstieg als Mittel der Inflationsbekämpfung sei jedoch diesmal noch rasanter vonstattengegangen und hätte bekanntlich Auswirkungen auf einige US-Banken gehabt.
"Insgesamt haben die hohen Zinsen dennoch vergleichsweise wenig Probleme verursacht, obwohl viele Kreditnehmer:innen unter den flexiblen Zinsen leiden müssten. Ich rechne jedoch, dass noch etwas passiert könnte, weil ein Zinsanstieg von knapp über null auf über fünf Prozent binnen eines Jahres wie in den USA schon enorm ist", so Straumann.
Haben die Staaten zu stark gegengesteuert?
Straumann verwies darauf, dass die Inflation keine Folge des Ukraine-Krieges gewesen sei, sondern schon vor dem Krieg begonnen habe. "Die überschäumende Konjunktur nach Covid war einer der Gründe. Es herrschte ein gewaltiger Druck, die Nachfrage ist explodiert und viele Länder haben übertrieben und zu starke Unterstützungsmaßnahmen ergriffen, mit denen sich Unternehmen teilweise saniert haben", so Straumann. Das zeige sich am Beispiel USA in puncto Budgetdefizit. Es kam zum größten Defizitzuwachs seit über zehn Jahren. Der starke wirtschaftliche Stimulus müsse erst verarbeitet werden.
Folgenreiche Energie-Entscheidungen
Auch wenn der Krieg in der Ukraine doch überraschend kam, sind die Probleme auf der Energieseite laut Straumann zumindest teilweise hausgemacht. Die Fehlentwicklung bei der Energiestrategie in den Jahren zuvor sei klar ersichtlich. "Deutschland beispielsweise wollte rund um die Atomkrise in Fukushima die Energiewende forcieren und aus der Atomenergie aussteigen. Die Gasimporte stiegen an und man machte sich abhängig von einem Energieträger, der in Wahrheit gar nicht so grün ist. Das war eine schwere Fehlentscheidung. Es war klar, dass diese früher oder später für Probleme sorgen würde", unterstrich Straumann. Obwohl Russland 2014 die Krim annektiert hatte, wurde Nord Stream 2 fertiggebaut. 2020 sei über die Hälfte des deutschen Gases aus Russland gekommen. "Wenn man sich die verbrauchte Primärenergie Deutschlands ansieht, ist der Anteil der erneuerbaren grünen Energie in den letzten zehn Jahren kaum gewachsen. Es wurden viele Milliarden Euro ausgegeben, aber der Erfolg der Strategie ist bescheiden." Am Beispiel der Energie zeige sich auch gut, dass Inflation komplex ist. Sie habe eine Nachfrageseite, doch die Angebotsseite müsse politisch geregelt werden.
Hartnäckige Inflation, Geldpolitik bleibt restriktiv
Die Geldpolitik wird laut Straumann erwartungsgemäß weiter restriktiv bleiben. Das sei für Länder wie etwa Deutschland, die Infrastrukturprobleme haben – ob Bahn, Internet oder Autobahn – schwierig. Niedrige Zinsen seien einst nicht genutzt worden, um Kredite aufzunehmen. Südliche Länder hätten es besser gemacht und sich langfristig zu guten Konditionen verschuldet.
"Die Inflation in der Gegenwart ist nicht so übel wie in den 1970er-Jahren und derzeit sieht es nicht so aus, als ob man in einen ähnlichen langfristigen Strudel geraten würde. Der Höhepunkt der Inflation ist überschritten, sie ist aber noch nicht ganz ausgestanden", lautete das Fazit von Tobias Straumann.
www.zkb-oe.at
Kommentar schreiben