Die vergangenen Wochen waren geprägt von Negativ-Schlagzeilen, die uns aus Deutschland erreichten: "Alle schaffen Wachstum, wir nicht", "Deutschland, der kranke Mann Europas", "Die deutsche Wirtschaft im Abwärtssog" oder gar "Die Deutschen sind also die neuen Griechen". Und zu allem Überfluss ist Deutschland nun auch keine Fußballnation mehr, weder bei den Frauen noch bei den Männern! Und eben erst recht keine Wirtschaftsnation mehr, die Frage ist: schafft Deutschland den Stopp des prognostizierten Abwärtssoges und wenn ja, wie?
Wenig Raum für Optimismus
Die Faktenlage lässt wenig Raum für Optimismus: Die meisten Forschungsinstitute sehen für dieses Jahr in Deutschland ein Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 0,3 bis hin zu 0,6 Prozent voraus. Für 2024 sind die Prognosen derzeit nicht viel besser. Woran liegt es? Ein wesentlicher Parameter ist sicherlich die hohe Inflation. Deutschland lebte und produzierte sehr lange und sehr gut von der Nullzinspolitik. Damit war sowohl Binnennachfrage als auch günstiger Export gesichert. Jedoch haben die Wende in der Zinspolitik, das Schuldenmachen in exorbitanter Höhe, die Verteilung von Mitteln im Gießkannensystem sowie Personalkostensteigerungen, gepaart mit einem kometenhaften Anstieg des Industriestrompreises (plus 155 Prozent von 2020 auf 2022) zu enormen Kostenexplosionen geführt. Dies trifft vor allem die in Deutschland sehr stark vertretene Metall- und Elektroindustrie sowie energieintensive Unternehmungen. Aufgrund dieser Kosten sieht und spürt man es in Deutschland allerorten: die Deindustrialisierung hat begonnen. Dazu gesellen sich ein "Bürokratiewust", der jegliche Innovation und Flexibilität von Unternehmen verunmöglicht und ein Fachkräftemangel, der schon jetzt Produktions- und Dienstleistungsausfälle nach sich zieht. Und auch den grundsätzlichen Reformstau – sei es bei den Pensionen, den Lohnnebenkosten oder bei der Gesundheits- und Sozialversicherung – kann man in diesem Zusammenhang nicht unter den Tisch fallen lassen. Meine Kritik an Systemen, die Menschen zu weniger Arbeit und kürzerer Lebensarbeit animieren als umgekehrt, ist bekannt.
Früher vermochte der Export bzw. die Steigerung der Exportquote das Bild noch etwas schönen, diese Zeiten sind aber definitiv vorbei. Mehr als 63 Prozent der deutschen Unternehmer:innen sehen für 2023 einen Rückgang oder sogar einen sehr starken Rückgang der Exportquote. Dies alles ist ein – wie in einigen Zeitungen genannt – schwerer Giftcocktail für die Wirtschaft.
Die Ampelkoalition in Deutschland ist indes bemüht, dies alles herunterzuspielen und nennt es eine "leichte Abkühlung der Wirtschaft". Auch wenn ich zwar grundsätzlich mit Olaf Scholz konform gehe, dass wir mehr Optimismus zeigen sollten, so glaube ich, dass es für die Bekämpfung dieser Krise zuallererst eine offene, ehrliche und transparente Analyse und auch Kundmachung des tatsächlichen Status Quo braucht. Dazu gehört als erstes, den Industriestrompreis dahin zu bringen, dass sich die Industrie nicht zur Abwanderung gezwungen sieht. Es muss der Bevölkerung schonungslos mitgeteilt werden, dass es der Kraftanstrengung aller bedarf, um Deutschland wieder auf den Wachstumspfad zu bringen. Dies wird schmerzliche Reformen erfordern, die – davon bin ich überzeugt – die Bevölkerung jedoch mitgehen wird, wenn man sie nicht für dumm verkauft, sondern den Bürger:innen die Wahrheit sagt und den Weg zum Ziel klar aufzeigt. Allen Unkenrufen zum Trotz ist Deutschland dennoch das einzige Land in Europa, das schon viel größere Krisen und Aufgaben (wie etwa die Wiedervereinigung) gemeistert hat. Also, wer, wenn nicht Deutschland, sollte auch diese Aufgabe lösen.
Kein Grund zum Jubeln
Abschließend will ich noch beleuchten, was dies alles für Österreich bedeutet. Die übliche Reaktion Österreichs auf solche Nachrichten über den Nachbarn ist der sogenannte "Cordoba-Jubel-Effekt" oder zumindest eine gewisse Häme. Doch auch, wenn Wirtschaft und BIP in Österreich nicht in dem Maße von der "Industrie" abhängen wie in Deutschland, so ist Österreich doch in fast allen wirtschaftlichen Bereichen mit seinen Hidden Champions von der wirtschaftlichen Lage in Deutschland abhängig. Das Handelsvolumen mit Deutschland betrug im Jahr 2022 127 Milliarden Euro. Deutschland ist mit 58 Milliarden Euro das größte Exportland Österreichs, wir sprechen hier von rund 30 Prozent des Gesamtexports, und mit circa 55 Milliarden Euro ist Deutschland der größte Investor in Österreich.
Grund zum Jubeln sehe ich also keinen, Österreich sollte stattdessen noch stringenter seinen Reformstau auflösen und seine Kosten senken, um nicht in den Sog Deutschlands zu geraten, sondern alles daransetzen, sich selbst und damit auch Deutschland zu helfen, dem Sog zu entkommen.
In der 239-jährigen Unternehmensgeschichte von JTI Austria gab es auch nicht nur rosige Zeiten, und es mussten von Zeit zu Zeit auch unpopuläre Entscheidungen getroffen werden, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, Verbesserungen und damit schlussendlich wieder Erfolg herbeizuführen. Staaten und Unternehmen haben dabei eines gemeinsam, nämlich von äußeren Faktoren und dem internen Mittragen abhängig zu sein. Wer sich diese Interdependenzen bewusst macht, hat zumindest einen Teil des Weges schon geschafft.
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