LEADERSNET: Sehr geehrte Frau Dockal, Sie sind den mutigen Schritt gegangen, sich selbstständig zu machen. Was war der ausschlaggebende Grund für diese Entscheidung?
Natascha Dockal: Ich würde mich selbst als Freigeist und Mutmacherin bezeichnen, ich lasse mich ungern in ein Korsett aus Regeln und Vorschriften zwängen, auch Grenzen hinterfrage ich kritisch. Meinen Lebenssinn sehe ich darin, Menschen zu inspirieren, ihnen vielfältige Möglichkeiten aufzuzeigen und gemeinsam Positives zu erschaffen. Das mag träumerisch klingen, aber ich bin überzeugt, dass ich mit meinem Unternehmen creartive, in das ich vollstes Herzblut und Leidenschaft stecke, sowohl zum Aufschwung der Tourismusbranche als auch zur beruflichen Attraktivität der in dieser Branche Arbeitenden beitragen kann. Ich sehe in der Hotellerie und Gastronomie riesige Chancen, vor allem unter dem Aspekt des Wertewandels, der Generationsthematiken und dem Sehnen nach einer sinnerfüllten Aufgabe.
LEADERSNET: Der Fach- bzw. Arbeitskräftemangel betrifft mittlerweile so gut wie alle Branchen. Im Tourismus ist die Situation besonders prekär, was auch mit dem nicht gerade guten Image dieses für die heimische Wirtschaft so wichtigen Sektors zusammenhängt. Müssen Arbeitgeber:innen in dieser Branche deshalb besonders in einen attraktiven Auftritt investieren?
Dockal: Unbedingt! Alle Arbeitgeber:innen sollten sich meines Erachtens mit einem attraktiven Unternehmensauftritt und dem Bewusstsein für die Bedürfnisse der (potenziellen) Arbeitnehmer:innen auseinandersetzen. Gerade im Tourismus sehe ich aber besonders große Chancen, weil hier wie in kaum einer anderen Branche unzählige Möglichkeiten und Freiheiten zu finden sind und genau hier setzen die Wünsche und Sehnsüchte der Generationen an. Viele der Probleme in der Tourismusbranche sind "hausgemacht", natürlich verstärkt und beeinflusst von strukturellen und gesellschaftlichen Zwängen, aber keineswegs ist dieses Image endgültig.
LEADERSNET: Bietet sich Ihrer Meinung nach aufgrund des aktuellen Generationen- und Wertewandels eine Chance und kann man aktuellen Veränderungen auch positiv gestimmt gegenübertreten?
Dockal: Auf jeden Fall – jede Veränderung ist eine Chance für Weiterentwicklung, auch wenn das Thema Change normalerweise negativ behaftet ist – und ja, es braucht ein bisschen Mut, dass wir uns diesen Veränderungen stellen und uns neugierig auf die Zukunft einlassen. Aber schauen wir uns kurz an, was denn z.B. die Generation Z für Wünsche an die Arbeitgeber:innen heranträgt – offene Kommunikation, nachhaltiges Handeln und soziales Engagement, Diversität und Vielfalt, Weiterentwicklung, flache Hierarchien und allem voran das sinnhafte und vor allem freudvolle Arbeiten – und das alles können wir im Tourismus erreichen. Ich selbst habe in der Luxushotellerie gearbeitet und liebe die Freiheit, die Kommunikation auf Augenhöhe und den Sinn in meiner Tätigkeit, nämlich den Gästen eine unvergesslich schöne Zeit zu gestalten. Wir können in dieser Branche reisen, wir kommen mit den unterschiedlichsten Kulturen und Menschen in Berührung, wir entwickeln uns täglich weiter und können tatsächlich etwas bewirken. Also wenn das nicht attraktiv ist?
LEADERSNET: Employer Branding spielt bei der Attraktivitätssteigerung von Arbeitgeber:innen ebenfalls eine wichtige Rolle. Welche Möglichkeiten gibt es hier konkret?
Dockal: Employer Branding meint die Arbeitgeber:innen-Marke und das steht für ein Umdenken, nämlich dass wir uns als Unternehmen nicht mehr nur am Gast orientieren und uns dafür ansprechend positionieren, sondern dass wir unseren Fokus auch auf das Interesse, die Zufriedenheit und das Wohlbefinden der (auch potenziellen) Mitarbeiter:innen legen und uns hier entsprechend positionieren. Für diesen Prozess bezieht man das Team mit ein, gestaltet gemeinsam Werte, definiert eine Vision und eine Mission und legt Umgangsformen fest. Nach innen wirkt diese Marke als eine Art Kompass und bietet hier Orientierung, nach außen wirkt das Branding als Leuchtturm, sodass jene Menschen mit ähnlichen Werten und Zielen angezogen werden können.
LEADERSNET: Welche Rolle spielt für potenzielle Mitarbeiter:innen sinnhaftes bzw. sinnerfülltes Arbeiten? Rückt das in den Vordergrund, oder sind Faktoren wie ein gutes Gehalt oder eine Work-Life-Balance entscheidender?
Dockal: Sinnhaftes und sinnerfülltes Arbeiten wird immer wichtiger – nicht nur der jungen Generation, sondern generationenübergreifend. Der Unterschied besteht darin, dass jeder Mensch seinen Sinn individuell festlegt. Wenn mein Sinn also Reichtum ist, dann ist mir ein hohes Gehalt wichtiger als mögliche Benefits. Wenn mir Spaß und Abwechslung wichtig sind, dann werde ich in einem klassischen Büro-Job nicht glücklich. Manche sind spontan und auch in der Freizeit schnell mal erreichbar, während anderen ihre Balance heilig ist. Wie man hier heraushört, es geht um einen individuelleren Zugang und um das Gestalten von Freiheiten. Die Menschen, die im Tourismus arbeiten (möchten), sollen die Chance bekommen, ihre Rahmenbedingungen selbst zu wählen, den Fokus selbst festlegen zu können – das geht fast nur in dieser Branche und genau das ist das große USP!
LEADERSNET: Sie sind davon überzeugt, dass in gewissen Situationen auch das beste Konzept nichts bringt? Was meinen Sie damit konkret?
Dockal: In der Tourismusbranche kämpft man ja tatsächlich um Mitarbeiter:innen – man will mit luxuriösen Unterkünften, Verpflegung auf Hauben-Niveau und den besten, teuersten Incentives locken – aber wir vergessen dabei oft das Gefühl, die Atmosphäre und das Zwischenmenschliche. Herrscht im Betrieb ein rauer Umgangston, keine Wertschätzung und Weiterentwicklung, bzw. Potenzial wird nicht gefördert, dann nützen die reizvollsten Benefits und das moderne Mitarbeiter:innen-Haus auch nichts. Ich bin sogar davon überzeugt, dass wir mit einer authentischen Unternehmenskultur, die Leidenschaft schürt und andere inspiriert, weiter kommen, als mit Materialismus. Missverstehen Sie mich nicht – natürlich sind Gehalt und Rahmenbedingungen essenziell – besonders in unsicheren Zeiten, wie wir sie gerade erleben. Oft haben besonders kleinere Betriebe oder Familienunternehmen nur begrenzte Möglichkeiten im Hinblick auf Überzahlungen und finanzielle Anreize, der Kollektivvertrag ist leider sehr unattraktiv und hier sehe ich die Verantwortung auf politischer Ebene.
LEADERSNET: Sollten Tourismusunternehmen im Kampf um die besten Talente verstärkt auf Maßnahmen wie Fortbildungsmöglichkeiten, Sparring-Einheiten, spezielle Coachings und direkte Unterstützung der Mitarbeiter:innen setzen?
Dockal: Unterstützend auf jeden Fall – im ersten Schritt geht es um eine Gestaltung, Definition und das stimmige Branding der Unternehmenskultur, im zweiten Schritt geht es darum, das Erarbeitete auch spür- und erlebbar zu machen. Hier scheitert es oft, weil Führungskräfte, bzw. generell Mitarbeiter:innen unter dem klassischen, alltäglichen Stress stehen – durch regelmäßige Coachings, Weiterbildungen sowohl im fachlichen Bereich als auch in der Persönlichkeitsentwicklung und Unterstützungsangebote bietet man den Menschen individuellen Support. Ich gehe im systemischen Coaching auf die persönlichen Herausforderungen meines Gegenübers ein, wir beschäftigen uns mit einer Lösung, die genau zur Person passt und finden einen individuellen Weg.
LEADERSNET: Um sich selbstständig zu machen, braucht es Mut. Würden Sie sagen, dass das auch auf die Zukunft des Arbeitsplatzes im Tourismus zutrifft?
Dockal: Ganz bestimmt – "geht nicht, gibt's nicht". Ich wünsche mir, dass wir uns gegenseitig wieder zum "größer Denken" motivieren, unserer Kreativität freien Lauf lassen und der Zukunft mutig und neugierig entgegenblicken. Statt gegeneinander möchte ich, dass wir wieder miteinander arbeiten, die Macht der Kooperation zulassen und einander menschlich begegnen. Es muss nicht immer alles größer, besser, teurer sein - mit Wertschätzung, Anerkennung und einer Portion Demut & Dankbarkeit schaffen wir es, den Arbeitsplatz Tourismus wieder aufzuwerten und können Menschen von den unzähligen Möglichkeiten und Freiheiten dieser Branche überzeugen.
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