Verschwörungstheorien haben Konjunktur, auch dank des Internets. "Früher hat es das nicht gegeben", könnte man meinen. Doch sie sind kein Phänomen der Moderne. Menschen lassen sich seit Jahrhunderten von ihnen verführen. Dahinter liegt laut Expert:innen ein menschlicher Schutzmechanismus. Die Fachhochschule Wiener Neustadt (FHWN) hat sich mit dem Thema nun näher beschäftigt.
Von Weltuntergangspropheten und Scharlatanen
"Umbruchszeiten, wie wir sie jetzt erleben, sind immer durch das vermehrte Auftreten von Wahrsagern, Weltuntergangspropheten und Scharlatanen geprägt. Außerdem führen schwer erklärbare Ereignisse bei kritischen Zeitgenossen dazu, nach Erklärungen zu suchen, die über die in Medien gebotenen Interpretationen hinausgehen", erklärt Michael W. Busch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Management & Leadership Development an der FHWN.
Der Welt Bedeutung verleihen
Verschwörungstheorien seien auch deshalb so reizvoll, weil sie scheinbare Klarheit in eine zunehmend komplexer werdenden Welt bieten. "In dem sie Chaos und Zufälle ausschließen, verleihen sie der Welt Bedeutung", heißt es dazu von COMPACT (Comperative Analysis of Conspiracy Theories), einem von der EU finanzierten Forschungsnetzwerkes. Durch die Vereinfachung komplexer Zusammenhänge könne die Einzelperson wiederum besser mit Unsicherheiten umgehen und Unklarheiten beseitigen.
Das kann etwa so aussehen: Beim Anschlag am 11. September 2001 wurde die größte Supermacht der Welt empfindlich getroffen. In Folge löste das Unsicherheit in der Bevölkerung aus. Wie kann es sein, dass das militärisch stärkste Land dermaßen hart getroffen wird? Eine Verschwörungstheorie, in der die US-Regierung selbst in die Anschläge verwickelt sei, kann hier eine einfache Erklärung bieten.
Dazu kommt, dass es quasi zu einer "Selbsterhöhung" der eigenen Person kommt. Ein "ausgewählter Kreis" kenne die Wahrheit, während die Masse blind im Nebel herumtappen würde.
Die Suche nach der Wahrheit
Aber wer sind mögliche Profiteur:innen solcher "Welterklärungen"? Gibt es vielleicht auch ein Körnchen Wahrheit, dem nachzugehen es sich lohnt, oder sollte man sich von scheinbar abstrusen Gedankengebäuden gänzlich fernhalten? Auch diesen Fragen will Busch auf den Grund gehen und zeigen, dass Konspirationstheorien weit mehr seien als Verschwörungen und Absprachen in "geheim tagenden Zirkeln".
Dabei sei es ihm weniger um die inhaltliche Darstellung der diversen Verschwörungstheorien gegangen, sondern um die Klärung der Frage, warum es solche Theorien gibt und wie diese kritisch zu bewerten sind. "Unterschieden werden sollte hierbei zwischen Verschwörungshypothesen, die sich empirisch überprüfen und widerlegen lassen, und Verschwörungsmythen, die sich gegen Kritik immunisieren und eher Glaubenssystemen oder Ideologien gleichen", so der Forscher.
Facts und Fiktion unterscheiden lernen
Um Fakten von Fiktion und wahre von falschen Quellen zu unterscheiden, brauche es einerseits die Fähigkeit zum kritischen Denken (Allgemeinbildung und Geschichtskenntnis), andererseits Mediennutzungskompetenz (digital literacy). Das bedeutet, dass Menschen Zugang zu unterschiedlichen Quellen benötigen und auch die Fähigkeit, diese nach ihrer Güte zu bewerten. Diese Kompetenzen will die FHWN ihren Studierenden im Bereich der Methodik mitgeben.
Um Verschwörungstheorien im Alltag zu entlarven, empfiehlt der Forscher, folgende Daumenregeln anzuwenden: "Möglichst vielfältige Informationsquellen nutzen, nicht alles sofort glauben, was einem präsentiert wird (auch nicht das, was uns das eigene Denken nahelegt), genügend Zeit investieren, um Informationen zu sammeln, zu hinterfragen und kritisch zu prüfen. Selber denken, das heißt einen eigenen Standpunkt, eine eigene Meinung und Werte entwickeln, denn ohne diese sind wir nur ein Blatt im Wind, ein von verführerisch einfach oder plausibel klingenden Ideen leicht beeinflussbares Subjekt", so Busch. Denn schon Marie von Ebner-Eschenbach wusste: "Wer nichts weiß, muss alles glauben."
www.fhwn.ac.at
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