„Knapp 2.000 offene Lehrstellen im Tourismus“

Markus Gratzer, Generalsekretär der Österreichischen Hoteliervereinigung, im großen LEADERSNET-Interview über Klassenkampf von gestern, Fachkräftemangel und 40-jährige Abschreibungszeiten.

LEADERSNET: Für die Sommersaison 2018 zeichnet sich ein Plus bei den Nächtigungszahlen in Österreich ab. Grund zur ungetrübten Freude?

Markus Gratzer: Dass Urlaub in Österreich jedes Jahr mehr und mehr Gäste begeistert, ist natürlich sehr erfreulich. Viele Menschen arbeiten daran, dass Österreich weiterhin den Titel Tourismusweltmeister zu Recht tragen kann. Allerdings ist das nur eine Seite der Medaille. Wesentlich ist, welche Wertschöpfung wir im Tourismus erwirtschaften. Geht man auf die betriebliche Ebene, schaut die Situation vielerorts weniger rosig aus. Am Ende des Tages bleibt in den Hotels von den jährlichen Nächtigungsrekorden nur wenig übrig. Die Gewinne bewegen sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Hintergrund sind über die Jahre stetig steigende Steuern und Abgaben, die überzogene Belastung des Faktors Arbeit, Abschreibungsdauern, die sich nicht an der Realität orientieren, und natürlich der bürokratische Mehraufwand.

Positiv ist, dass sich langsam, aber sicher das Mindset dreht, wie touristische Erfolge zu bewerten sind: Der Fokus richtet sich stärker auf wirtschaftliche Faktoren. Das soll sich auch im Plan T, der neuen Tourismusstrategie von Bundesministerin Elisabeth Köstinger, wiederfinden. Dieser ganzheitliche Blick auf die Branche kann der Grundstein werden für nachhaltige zukünftige Erfolge.

LEADERSNET:  Aktuell gibt es politische Maßnahmen, die Ihre Branche besonders treffen – zuerst die flexibleren Arbeitszeiten. Wie wird sich das auf Hotelbetriebe auswirken?

Markus Gratzer: Aus unserer Sicht wird das Vorteile für alle Seiten bringen, für die Betriebe, aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Wünsche nach flexibler Arbeit kommen ja von beiden Seiten. Starre Arbeitskorsette gehören der Vergangenheit an. Fünf Tage die Woche 9-to-5 zu arbeiten spiegelt die Lebensrealität vieler Leute nicht mehr wider. Es war wichtig, die politischen Rahmenbedingungen zu adaptieren. Wer auf Saison geht, will in kurzer Zeit viel verdienen. Das war früher teilweise problematisch.

Die Betriebe haben nun die Möglichkeit besser auf Arbeitsspitzen oder Feierlichkeiten wie Hochzeiten zu reagieren. Eine sachliche Diskussion wäre hier wünschenswert gewesen und hätte auch die moderne Arbeitswelt besser abgebildet. Klassenkampf war gestern, Arbeiten auf Augenhöhe ist die Regel.

LEADERSNET:  Und ebenfalls politisches Thema: Asylwerbende werden nicht mehr als Lehrlinge zugelassen. Ihre Branche leidet bekanntlich besonders unter Fachkräftemangel. Was wünschen Sie sich hier?

Markus Gratzer: In Bezug auf die Situation mit den asylwerbenden Lehrlingen ist es aus unserer Sicht wichtig, dass man wegkommt von dem Schwarz-Weiß-Denken und hin zu Lösungsansätzen mit mehr Weitblick. Im letzten Monat gab es knapp 2.000 offene Lehrstellen im Tourismus, viele Betriebe freuen sich, wenn sie junge motivierte Leute ausbilden können. Dass es dann nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern vor allem auch ein menschlicher Schlag für die Ausbildner, Kollegen und natürlich am meisten den Betroffenen selbst ist, wenn gut integrierte und motivierte junge Leute aus dem Team gerissen werden, ist verständlich. Diese Menschen sollten die Möglichkeit habe ihre Lehre in Österreich abzuschließen.

Hintergrund der aktuellen Situation ist, dass die Branche in den letzten Jahren sehr stark gewachsen ist und viel in die Dienstleistungsqualität investiert hat. Dafür brauchen wir auch gut ausgebildete Mitarbeiter. Da hält die demografische Entwicklung nicht mit, daher brauchen wir den Fachkräftezuzug, um unser volles Potential heben zu können. Momentan wird das in Österreich über die Rot-Weiß-Rot-Karte geregelt, die sich aber für den Tourismus als gänzlich unbrauchbar erweist. Da braucht es eine Anpassung an die Gegebenheiten in der Branche, damit der Tourismus weiterwachsen und seine volle Stärke ausspielen kann.

LEADERSNET:  Die traditionell starke Wintersaison steht bevor. Vor welchen besonderen Aufgaben stehen heuer Hoteliers? Worauf dürfen sich Gäste besonders freuen?

Markus Gratzer: Die Herausforderungen sind heuer die gleichen wie auch schon die Jahre davor, allen voran die bereits erwähnte Mitarbeitersituation. Die wird durch schrumpfende Saisonnierkontingente noch einmal angefeuert. Fordernd sind natürlich auch die klimatischen Bedingungen. Skigebiete unter 1.500 Metern stehen vor der Herausforderung, Winterurlaub neu denken und Erlebnisse abseits der Piste bieten zu müssen. Kultur- oder Genussurlaube, Snowbiking oder -golf, die Palette wird breiter, wodurch die Destinationen jetzt im Endeffekt aber wirtschaftlich nachhaltiger aufgestellt sind. Viele haben den Change-Prozess sehr gut gemeistert, andere sind gerade mitten drinnen. Winterurlaub in Österreich wird vielschichtiger und spricht somit auch neue Zielgruppen an. Und die Gäste? Die können sich auf die gewohnte Top-Qualität zu einem unschlagbaren Preis-Leistungsverhältnis freuen.

LEADERSNET:  Wo sehen Sie langfristig besondere Potenziale für Österreichs Hotelerie?

Markus Gratzer: Für Österreichs Tourismus kann es nur eine Richtung geben und die heißt Qualität und persönliche Dienstleistung. D.h. wir müssen die Entwicklung der letzten Jahre weiterführen und noch intensivieren. Dafür braucht es aber die richtigen Rahmenbedingungen, konkret ein Klima, das Investitionen begünstigt, Bürokratie reduziert und somit Freiraum für die Unternehmer schafft. Momentan ist das nicht der Fall. Abschreibungsdauern von 40 Jahren sind nicht nur praxisfremd, sondern schon fast ein Angriff auf die Wirtschaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit eines Betriebes. Wer will sich schon in 40 Jahre alten Wellnessanlagen entspannen? Hier muss man ganz klar entgegenwirken, sonst tritt man eine Abwärtsspirale los, aus der an nur schwer wieder rauskommt.

Potenzial gibt es sicher noch im Bereich der Digitalisierung. Der Tourismus war hier früher mal Trendsetter, ich erinnere an Tiscover und Co., hat aber in den letzten Jahren etwas an seiner Führungsrolle eingebüßt und den Lead an die internationalen Konzerne wie Booking.com abgegeben. Richtig eingesetzt sind die neuen Möglichkeiten von Online-Marketing aber mächtige Tools für Hoteliers, um sich aus der Umklammerung der Multis zu befreien. Hier ist das Interesse in der Branche groß, das sehen wir vor allem immer wieder bei unseren Lehrgängen zu dem Thema, die regelmäßig ausgebucht sind.

LEADERSNET:  Wo war Ihre letzte Nächtigung, wie viele Sterne würden Sie geben?

Markus Gratzer: Eine 5-Sterne-Nacht bei einem unserer 1.425 Mitglieder.

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