Interview mit Harald Kräuter
"KI wird die Qualität von öffentlich-rechtlichen Medieninhalten verbessern"

| Redaktion 
| 20.08.2024

Harald Kräuter, Direktor für Technik und Digitalisierung des ORF, spricht im LEADERSNET-Interview u.a. darüber, wie Österreichs größtes Medienunternehmen mit dem Thema Künstliche Intelligenz umgeht, wie sich Produktion und Konsumation von Medieninhalten künftig verändern werden, wie die neue Streaming-Plattform ORF On läuft und welche Bedeutung ein internationaler Award für eine vom ORF entwickelte KI-Software hat.

LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Kräuter, wie werden wir aus Ihrer Sicht in Zukunft kommunizieren? 

Harald Kräuter: KI ist gekommen, um zu bleiben. Viele sind der Meinung, dass ein Großteil der Kommunikation über KI-gestützte Assistenten abgehandelt werden wird, also etwa das Vereinbaren von Interview-Terminen. Die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht erhält dann aber gleichzeitig einen höheren Stellenwert, denn wer sich Zeit nimmt, gibt dem anderen Wert – und ich nehme mir für LEADERSNET sehr gerne persönlich Zeit und das wird auch in Zukunft so sein.

LEADERSNET: Sie durften als  Direktor für Technik und Digitalisierung des ORFs mit dem Europäischen Technologie- und Innovations-Award einen internationalen Preis entgegennehmen. Mit welcher Einreichung ist dies gelungen? 

Kräuter: Der ORF hat mit seiner selbstentwickelten KI-Software "AiDitor" den Preis der European Broadcast Union (EBU), einer Vereinigung aus 68 Rundfunkanstalten, gewonnen. Die innovative Software unterstützt Journalistinnen und Journalisten in Radio-, TV- und Online-Redaktionen bei ihrer Arbeit. Laut Jurybewertung ist es dem ORF mit dem AiDitor besonders gut gelungen KI in der Praxis einzusetzen. Der AiDitor erstellt auf Basis von Links oder recherchierten Inhalten in Sekundenschnelle weitere Formate und Vorschläge: Onlinestories, TV- und Radiotexte, Teletext-Artikel, Social Media Postings oder Headlines. Außerdem kann er Texte transkribieren, Zitate selbst erkennen und extrahieren und in mehr als 40 Sprachen übersetzen, was den oft zeitaufwändigen Arbeitsprozess erheblich erleichtert. Auch die Audioqualität von Aufnahmen kann mit dem AiDitor verbessert werden. Die Software wird laufend um neue Funktionen erweitert. Sie greift dabei wahlweise auf GPT-Modelle aus dem OpenAI Universum, Azure AI Services, Anthropic Claude sowie Mistral zurück, denn es wäre viel zu kosten- und zeitintensiv, wenn man eine KI von null auf selbst trainieren würde. Wir konfigurieren sie sozusagen auf unsere Bedürfnisse hin.

LEADERSNET: Wie werden künstliche Intelligenz und Digitalisierung die Produktion von Medieninhalten verändern?  

Kräuter: KI wird Medieninhalte qualitativ hochwertiger machen, da bin ich mir sicher. Denn der AiDitor etwa nimmt den Journalistinnen und Journalisten zeitintensive Arbeit ab, etwa das Transkribieren von langen Interviews oder das Zusammenfassen von Texten.Sie können so mehr Zeit in Faktenchecks, Investigativ-Stories oder Hintergrundrecherchen stecken. Dafür werden interessante Geschichten entstehen, weil die Redakteurinnen und Redakteure auch wieder mehr Zeit für Vor-Ort-Berichterstattung haben. Der Mensch steht aber auch bei KI-Anwendungen immer im Mittelpunkt. Unsere redaktionellen KI Guidelines, die gerade fertiggestellt werden, besagen außerdem, dass nichts ungeprüft auf Sendung oder Online gehen wird. Die KI wird niemals gute Reporterinnen und Reporter ersetzen können, die darüber berichten was sie an einem Unfallort oder im Kriegsgebiet erleben, wahrnehmen oder fühlen. Sie kann nur ein assistierendes Werkzeug sein. Die KI unterstützt aber nicht nur im redaktionellen Bereich. Wir versuchen Workflows in der Verwaltung zu optimieren und sind etwa gerade dabei, den Kundendienst weiter zu digitalisieren und zu automatisieren. Es wird nicht vorkommen, dass Sie, wenn Sie beim ORF Kundendienst anrufen, mit einem Bot sprechen, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können mit KI schnellere und gezieltere Auskünfte geben und weiterhelfen, wenn die KI ihnen als Assistent im Hintergrund weiterhilft. Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt ist die Barrierefreiheit, da kann die KI bei Untertiteln unterstützen. Dieser echte Mehrwert für das Publikum ist bis jetzt aufgrund der enorm hohen Kosten wirtschaftlich schlicht nicht voll umsetzbar. 

LEADERSNET: Wie schaffen Sie es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Reise mitzunehmen? 

Kräuter: Wir versuchen sie aktiv einzubinden, indem wir sie informieren und learning by doing fördern. Das läuft bei uns unter dem Namen AI-Literacy. So habe ich gemeinsam mit meinem Innovationsteam die AI Days ins Leben gerufen, eine interne Veranstaltung, zu der wir auch externe Expertinnen und Experten wie etwa von führenden Anbietern oder anderen Rundfunkanstalten einladen. Es gibt Updates und Vorführungen, was sich in diesem Bereich tut, da sind auch viele aus dem eigenen Haus bereits sehr engagiert. Beim AiDitor fordern wir auch aktiv Feedback ein. So wurde die Verbesserung der Audioqualität beim Radio, etwa auf Anregung einiger Radioredakteurinnen hin in die KI Software implementiert. Es ist wichtig auf die Bedürfnisse jener zu hören, die die KI Produkte dann auch anwenden sollen. Der Microsoft Copilot wird bereits in der Administration als KI-Assistent getestet und es ist derzeit eine Innovationsplattform in Einführung, auf der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Ideen einbringen und gemeinsam weiterentwickeln können. So versuchen wir zu verhindern, dass kein innovatives Potential verloren geht oder liegen bleibt. Aber generell ist auch eine Strategie als Linie wichtig, und das ist in der konzernweiten KI Strategie festgelegt bzw. in den bereits erwähnten redaktionellen KI Guidelines. 

LEADERSNET: Wo werden wir in Zukunft unsere Medieninhalte konsumieren? Welche Rolle wird das lineare TV noch spielen? 

Kräuter: Als öffentlich-rechtliches Medienhaus entwickeln wir uns vom klassischen Broadcaster hin zum Technologieunternehmen. Die Nutzungsgewohnheiten ändern sich, Streaming wird immer wichtiger. Mit ORF On haben wird darauf reagiert und eine Plattform geschaffen, auf der Filme, Serien, Infosendungen, Sporthighlights uvm. auf einen Blick zu sehen sind, es ist unser digitaler Flagshipstore. Es gibt einen 24-Stunden-Timeshift, eine Restart-Möglichkeit, wenn man mal ein paar Minuten zu spät zum Sendungsstart kommt. Viele TV-Formate können vorab bereits online angesehen werden und es gibt auch einen Login-Modus, um den Jugendschutz zu gewährleisten. Was das lineare Fernsehen anbelangt, so besagen Studien, dass auch in zehn Jahren TV noch immer den wesentlichen Teil des TV-Bewegtbildkonsums ausmachen wird. Aber natürlich, der Trend geht in Richtung Streaming und darauf reagieren wir.

LEADERSNET: Mit spektakulären Drohnenaufnahmen bei Live-Events, wie beim Hahnenkamm Skirennen hat man weltweit begeistert. Wohin geht hier die Reise in der TV-Produktion? 

Kräuter: Die Fernsehgewohnheiten haben sich geändert, wir müssen unserem Publikum immer mehr bieten und da gehören natürlich spektakuläre Bilder und Augmented Reality dazu. Seit der Fußball EM ist unser neues Sportstudio in Betrieb, wo wir mit AR-Elementen – also der Vermischung von virtuellen Grafiken in echten Dekorationen – arbeiten. Es ist wichtig, ein motiviertes Produktionsteam zu haben, das kreativ sein kann. So haben wir uns gezielt dazu entschieden, Produktionen wieder ins Haus zu holen, wie etwa Studio 2 oder die Konsumentensendung Konkret, damit unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Produktionsbetrieb zeigen können, was sie können. Natürlich ist es auch wichtig, sich ständig am Laufenden zu halten, denn es kommen ja ständig neue technische Lösungen auf den Markt. Ich spreche da etwa von dem Moderator bzw. der Moderatorin selbst folgenden Kameras oder von Regieplätzen, die nur mehr aus einigen wenigen Computern bestehen, weil auch die Rundfunktechnik selbst in die Cloud wandert.

LEADERSNET: Apropos klein  "Smart Producing" – wird auch der ORF diesem Trend nachkommen? 

Kräuter: Definitiv, wobei man sagen muss, dass der ORF selbst einen Lernprozess mit diversen Pilotproduktionen durchläuft, wie etwa der smarten Produktion der Vienna Pride, bei der drei Stunden Live-Sendung gestreamt wurden. Im Juni wurde die aktuellen Entwicklungen beim ersten Smart Producing Festival am ORF Mediencampus diskutiert und präsentiert. Kolleginnen haben demonstriert, was im ORF bereits smart produziert wird, so werden etwa weite Strecken von ORF Kids bereits mit dem Handy hergestellt. Mit dem Smart Broadcast Mobil, mit seiner Audio- und Videoregie im Kleinformat wurden etwa die EU-Wahlkonfrontationen für ORFIII, die nationale Berichterstattung der Fußball-Länderspiele oder das Boxen aus der Südstadt live übertragen oder voraufgezeichnet. Mit Initiativen wie diesen können kleinere oder mittelgroße Produktionen kostengünstig und effizient hergestellt werden und wir können so noch mehr Content und Programmvielfalt bieten.

LEADERSNET: Cyber Security ist eines der großen Themen unserer Zukunft. Was empfiehlt das größte Medienunternehmen des Landes der Business Community zu diesem Thema? 

Kräuter: Ein stark ausgeprägtes Bewusstsein für Cybersicherheit auf allen Ebenen eines Unternehmens ist unabdingbar. Es ist essenziell, dass dieses Bewusstsein von der obersten Führungsebene bis hin zu allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern reicht und Cybersecurity nicht mehr als Hindernis, sondern als integraler Bestandteil der Geschäftsprozesse gesehen wird. Dazu gehört eben auch, dass Cybersecurity nicht "der Chief Security Officer" oder eine Abteilung ist, sondern jeden einzelnen Mitarbeitenden betrifft. 

Präventive Sicherheitsstrategien, wie regelmäßige Überprüfungen und Tests, helfen, potenzielle Schwachstellen frühzeitig zu identifizieren und zu beheben. Darüber hinaus sind Notfallpläne, trainierte Prozedere, klare Zuständigkeiten und Kommunikation wichtig, um im Falle eines Sicherheitsvorfalls schnell und effizient reagieren zu können. Gerade in Zeiten von Big Data und Cloud-Computing müssen sensible Informationen besonders geschützt werden. Wesentlich sehe ich auch einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch mit anderen Organisationen unserer Branche.

LEADERSNET: In Anbetracht der vielen Herausforderungen und wirtschaftlichen Veränderungen stellt sich die Frage: Dürfen wir uns auf die Zukunft freuen oder müssen wir diese mit großem Respekt erwarten? 

Kräuter: Natürlich dürfen wir uns auf die Zukunft freuen! Sehr sogar! Veränderungen sind immer auch Chancen und Herausforderungen – und die nehmen ich und der ORF gerne an.

www.orf.at

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