"Joint Audits hätten Wirecard oder die Commerzialbank Mattersburg verhindert"

Peter Wundsam, Managing Partner von Mazars, im Interview über das verpflichtende Vier-Augen-Prinzip bei der Prüfung von großen börsennotierten Unternehmen.

Mazars Austria ist die achtgrößte Steuerberatungskanzlei Österreichs und aktuell die Nummer sechs bei den Wirtschaftsprüfern. Aufhorchen ließ Mazars jüngst mit der Forderung nach der Einführung von Joint Audits bei der Prüfung von großen börsennotierten Unternehmen – also einem verpflichtenden Vier-Augen-Prinzip. Warum Mazars diese Forderung stellt, wie Joint Audits funktionieren und was sie für den Wirtschaftsstandort Österreich bringen, darüber hat LEADERSNET mit Peter Wundsam, Managing Partner von Mazars, gesprochen.

LEADERSNET: Warum braucht es in Österreich Joint Audits?

Wundsam: Weil wir in Österreich gerade bei der Prüfung von börsennotierten Unternehmen von öffentlichem Interesse eine bedenkliche Konzentration auf einige wenige Prüfgesellschaften haben. Acht von zehn der großen Unternehmen in Österreich werden von den sogenannten Big Four geprüft, das sind Deloitte, EY, KPMG oder PwC. Das ist nicht gut. Natürlich ziehe ich nicht deren Kompetenz in Zweifel, aber es gibt in Österreich sicher noch sieben, acht andere Wirtschaftsprüfungs-Kanzleien, die genauso gut sind, aber nicht zum Zug kommen. Die jüngsten Bilanzskandale zeigen eines: Wir brauchen in der Wirtschaftsprüfung mehr Qualität. Und ich bin überzeugt, mehr Konkurrenz bringt dieses Mehr an Qualität! Für eine wirkliche Konkurrenz braucht es mehr als vier weltweit tätige Prüfungsgesellschaften.

LEADERSNET: Warum kommen die anderen Kanzleien nicht zum Zug? Und ist Ihre Forderung nicht auch ein wenig Konkurrenzneid?

Wundsam: Zum ersten Teil Ihrer Frage: Wirtschaftsprüfung ist ein komplexer Vorgang. Der Prüfer muss das Unternehmen in- und auswendig kennen, alle Prozesse und die handelnden Personen. Das dauert und das ist aufwändig. Da bleiben die Unternehmen natürlich lieber "bei guten Bekannten" als Wirtschaftsprüfer. Bis zu einem gewissen Grad ist das aus Unternehmenssicht auch verständlich. Aber vom gut Kennen über zu große Nähe bis zur Betriebsblindheit ist es oft nur ein kleiner Schritt. Dann passieren viele Fehler. Und das schadet dem Wirtschaftsstandort.

Zum Konkurrenzneid: Natürlich trauen wir es uns zu, auch sehr große Unternehmen zu prüfen, keine Frage. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Top-Experten. Wir wollen ja auch die Big Four nicht wegdrängen, wir wollen, dass auch andere, top-qualifizierte Kanzleien zum Zug kommen – im Idealfall sogar in einer Kombination mit einem Big-Four-Unternehmen. Wenn sie bei mehr großen und spannenden Abschlussprüfungen mitarbeiten könnten, würden sich sicherlich auch mehr Junge für den Beruf des Wirtschaftsprüfers entscheiden.

LEADERSNET: Wie funktionieren Joint Audits in der Praxis? Wird bei so einem Vier-Augen-Prinzip jedes Blatt Papier doppelt angesehen?

Wundsam: Nein, bei einem Joint Audit wird nicht jede Unterlage doppelt geprüft. Dabei teilen sich zwei unabhängige Wirtschaftsprüfer die komplette Prüfung auf. Jeder übernimmt bestimmte Teile, die beiden Kanzleien sorgen wechselseitig für die Qualitätskontrolle und sie müssen sich auf einen gemeinsamen Abschlussbericht einigen. Dadurch tragen die beiden Kanzleien auch eine gemeinsame Verantwortung. Jede Kanzlei steht für eine bestimmte Prüfkultur, ist eingebunden in ein Netzwerk. Das bringt auch ein wechselseitiges Lernen. Und im Übrigen gilt natürlich: Vier Augen sehen mehr als zwei!

Aber noch einen Vorteil bringen Joint Audits: Es geht auf Seiten der Wirtschaftsprüfer kein Wissen verloren. Wenn die beiden Kanzleien nicht zeitgleich, sondern asynchron bestellt werden, bleibt bei einem verpflichtenden Wechsel immer eine Kanzlei, die den Kunden kennt. Die Statistik zeigt nämlich, dass nicht nur bei zu großer Nähe zwischen Unternehmen und Prüfer viele Fehler passieren, sondern auch in den ersten beiden Jahren der Zusammenarbeit. Ein verpflichtendes Vier-Augen-Prinzip würde also gleich zwei häufige Ursachen für Prüffehler beseitigen.

LEADERSNET: Gibt es Länder, in denen Joint Audits verpflichtend sind und wie sind dort die Erfahrungen damit?

Wundsam: In Frankreich sind Joint Audits bei der Prüfung börsennotierter Unternehmen bereits seit Jahrzehnten Praxis und es funktioniert sehr gut. Bei mehr als der Hälfte der Abschlussprüfungen der 100 größten Unternehmen Frankreichs sind Nicht-Big-Four-Gesellschaften eingebunden. Dadurch hat sich die Qualität der Prüfungen deutlich erhöht – aus Frankreich sind praktisch keine Bilanzskandale bekannt. Und – um Ihre nächste Frage gleich vorwegzunehmen – Joint Audits machen die Prüfungen für die Unternehmen nicht teurer, sondern im Gegenteil, sinken die Prüferhonorare. Das zeigt ein Vergleich zwischen Frankreich und Großbritannien. Warum ist das so? Ganz einfach – mehr Auswahl bringt mehr Konkurrenz und das hebt die Qualität und senkt die Preise.

LEADERSNET: Und hätte ein solches verpflichtendes Vier-Augen-Prinzip Skandale wie Wirecard oder die Commerzialbank Mattersburg verhindern können?

Wundsam: Das glaube ich auf jeden Fall! In ihrem Bericht zu Wirecard bemängelt die deutsche Untersuchungskommission den "fehlenden kritischen Zugang zum gesamten Geschäftsmodell". Da geht es also nicht um irgendwelche handwerklichen Mängel, sondern es geht darum, dass das Prüfungsunternehmen das abenteuerliche Geschäftsmodell von Wirceard offenbar einfach zur Kenntnis genommen oder zumindest nicht hinterfragt hat. Natürlich war da viel kriminelle Energie im Spiel, aber mit mehr Skepsis von Seiten der Prüfer wäre das üble Wirecard-Spiel früher aufgeflogen. In Deutschland lässt der Gesetzgeber jetzt übrigens prüfen, inwieweit Joint Audits die Prüfqualität erhöhen und das Oligopol der Big-Four aufweichen können.

Und natürlich ist man im Nachhinein immer klüger, aber ich bin überzeugt, dass mit einem Joint Audit auch die Vorgänge rund um die Commerzialbank Mattersburg früher ans Licht gekommen wären.

LEADERSNET: Reicht es, wenn der österreichische Gesetzgeber verpflichtende Joint Audits beschließt oder braucht es Maßnahmen auf EU-Ebene?

Wundsam: Ich will jetzt nicht, dass das Thema wie ein Ball zwischen Wien und Brüssel hin und her gespielt wird, dafür ist es zu wichtig. Punkt eins: Man kann nach einem Fall wie der Commerzialbank Mattersburg mit 800 Millionen Euro Schaden nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Es ist gut, dass ein U-Ausschuss allfällige politische Verantwortungen klärt, aber es braucht entsprechende Maßnahmen, damit es kein Mattersburg II gibt. Da ist der österreichische Gesetzgeber gefordert und zwar dringend!

Zur EU: Die Europäische Union sieht die hohe Konzentration auf dem Prüfermarkt sehr kritisch und will auch mehr Marktvielfalt. Mit der Richtlinie zur Abschlussprüferreform 2016 wollte die EU das erreichen. Darin ist eine verpflichtende Rotation der Abschlussprüfer nach zehn Jahren vorgesehen. Das war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Sie müssen sich vorstellen, vorher gab es Unternehmen, die haben über Jahrzehnte und Generationen immer den gleichen Abschlussprüfer beschäftigt.

Die verpflichtende Rotation der Prüfer, wie die EU es vorschreibt, ist richtig, aber zu wenig, wenn immer nur die üblichen Big Four rotieren. Auch auf dem abschlussprüfer-markt schreitet die Konzentration voran. Vor einigen Jahren waren es noch Big Five. Wenn jetzt ein Big-Four-Prüfer ein Unternehmen berät und wegen der Unabhängigkeitsbestimmungen dadurch als Abschlussprüfer ausscheidet haben wir nur mehr Big Three.

LEADERSNET: Und wie geht das weiter? Bis zum Monopol eines Big One?

Wundsam: Ich bin überzeugt, die Qualität der Wirtschaftsprüfung sagt auch viel über die Qualität des Wirtschaftsstandorts. Bei verpflichtenden Joint Audits geht es also auch um den Ruf des Wirtschaftsstandorts Österreich.  (jw)

www.mazars.at

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