Die Automobilindustrie steckt in einem der größten Veränderungsprozesse ihrer Geschichte. Der Klimawandel zieht verschärfte Umweltschutzrichtlinien für Fahrzeuge nach sich, der Individualverkehr wird immer stärker hinterfragt und neue Mobilitätskonzepte sind gefragt. Um auf diese Veränderungen entsprechend reagieren zu können, ist die Automobilindustrie eine der treibenden Branchen, wenn es um das Thema Digitalisierung geht.
LEADERSNET hat sich deshalb mit Porsche Austria-Geschäftsführer Wilfried Weitgasser zum Interview getroffen und sich mit ihm darüber unterhalten, wie die Digitalisierung sein Unternehmen und die gesamte Branche verändert, welche Pläne es für die Neu- und Gebrauchtwagenplattform Mobidrome gibt, was hinter dem Moon-Projekt steckt und warum Diesel "Teil der Lösung und nicht des Problems" ist.
LEADERSNET: Sie haben letztes Jahr die höchsten Absatzzahlen der Firmengeschichte erreicht. Sind da weitere Steigerungen denkbar?
Weitgasser: Das vergangene Jahr war ein tolles Jahr. Wir haben sehr loyale Kunden, die uns diesen Erfolg ermöglichen. Wir haben super Vertriebspartner. Wenn man die ersten vier Monate in diesem Jahr Revue passieren lässt, dann sieht man, dass die Kernmarke VW weiter gewinnt, dass sich Skoda mittlerweile auf dem zweiten Platz manifestiert hat und Seat Dritter ist. Das bedeutet, dass Porsche Austria alle Stockerlplätze belegt. Auch die Premiummarke Audi liegt nach 4 Monaten gegenüber den Kernwettbewerbern in Front. Das ist sehr erfreulich und hat auch damit zu tun, dass wir neue Themen, wie die Digitalisierung nicht in eigenen Bereichen führen. Für uns ist das Thema Digitalisierung eigentlich Kernaufgabe der Marke und etwas Alltägliches geworden.
LEADERSNET: Dennoch wird es durch die Digitalisierung zu gewissen Veränderungen gekommen sein.
Weitgasser: Bei uns hat sich gerade in diesem Bereich sehr viel geändert. Der Wandel und die Kundenakzeptanz der digitalen Helfer geht aber so rasch voran, dass Entwicklungen, die gestern noch als besonders innovativ galten, heute bereits zum operativen Tagesgeschäft gehören. Zum Beispiel unsere Marken-Websites: Sie passen sich jedem mobilen Endgerät an und reagieren jetzt auf Berührung. Das ändert, wie, wann und wo der Kunde mit uns in Kontakt tritt. Man kann jetzt auch nach Empfehlungen anderer Nutzer konfigurieren und die Mehrausstattungen werden mit der monatlichen Leasing-Rate angezahlt. Eine Probefahrt kann man auch virtuell machen – mit Virtual Reality-Brille und hydraulischem Fahrsimulator. Darüber hinaus beraten wir per Video- oder Textchat. Dennoch bleibt die persönliche Beratung im Autohaus die erste Wahl. Mit Carlog haben unsere Kunden jederzeit Zugriff auf alle persönlichen Daten. Wir haben auch Mobidrome entwickelt, ein Online-Marktplatz für alle Marken, alle Hersteller und alle Händler.
LEADERSNET: Welche Erfahrungen haben Sie im ersten Jahr mit Mobidrome gemacht und welche Pläne haben Sie für die Plattform?
Weitgasser: Wir haben uns bewusst entschieden, eine Plattform zu entwickeln, die markenunabhängig ist. Das hat den Hintergrund, dass wir aus dem Automotive Business kommen und erkannt haben, dass es eine Plattform braucht, die der ganzen Branche zugutekommt. Mobidrome wird bewusst in einer eigenen Gesellschaft geführt, um hier unabhängig zu sein. Zudem erreichen wir mit Mobidrome eine junge Zielgruppe, die bisher schwer erreichbar war. Wir haben in Zukunft noch sehr viel mit Mobidrome vor. Wir haben mit dem Gebrauchtwagen angefangen und gehen jetzt auch in Richtung Neuwagen. Immer unter Einbeziehung der jeweiligen Händler.
LEADERSNET: Wie stark verändert die Digitalisierung den Autohandel?
Weitgasser: Digital und Online entwickeln sich zu einem Omni-Channel, um den Kunden überall und jederzeit abzuholen. Dennoch bleibt der entscheidende Faktor der Mensch. Das bedeutet, dass ganz egal, über welchen Kanal ein Autokauf passiert, die Übergabe im Autohaus von einem Menschen erfolgt. Die Digitalisierung hat nicht nur die Instrumente rund um den Handel verändert, sondern natürlich auch das Auto selbst. Instrumente wie Navigations- oder Sicherheitssysteme müssen erklärt werden und das funktioniert am besten, wenn es von Angesicht zu Angesicht passiert. Deshalb wird das Thema Beratung in Zukunft eine noch größere Rolle spielen. Die Entwicklung geht weg vom klassischen Verkäufer hin zum Mobilitätsberater.
LEADERSNET: Welche Rolle spielt das Produkt selbst, das Auto?
Weitgasser: Das Auto selbst spielt die wichtigste Rolle. Unsere Produkte sind in jeder Hinsicht überzeugend und wir treffen damit den Zeitgeist. Darüber haben wir den Vorteil, dass wir mehrere Marken in unserem Konzern vereinen. Im Rahmen der Modellzyklen variiert oftmals die Nachfrage. Bei uns gleichen sich Schwankungen durch die Breite der unterschiedlichen Marken glücklicherweise immer aus. Das bedeutet auch, dass wir konjunkturellen Schwankungen nicht so stark ausgesetzt sind und dadurch konstant hohes Marktanteilsniveau halten. Dennoch stehen die Marken untereinander im härtesten Wettbewerb. Deshalb kann sich Volkswagen auch nicht einfach mal zurücklehnen, weil es Skoda gerade gut geht. Dieser gegenseitige Ansporn bringt uns am Ende des Tages vorwärts.
LEADERSNET: Wie wird sich der Onlinehandel im Automobilsektor in den kommenden Jahren entwickeln?
Weitgasser: Wir haben bei Volkswagen sehr gute Erfahrungen mit situativem Onlinehandel gemacht, auch wenn sich heute noch 85 Prozent der Bevölkerung ein Face to Face-Gespräch wünscht. Wir können glücklicherweise beides anbieten. Aber selbst beim Onlinekauf erfolgt die Aushändigung des Fahrzeugs beim Händler. Der Onlinevertrieb wird aber in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Dazu bieten wir auch persönliche Onlineberatung via Videochat an.
LEADERSNET: Wird es seitens der Importeure entsprechende Maßnahmen geben, um diesen Wandel, dem sich die Autohäuser unterziehen müssen, zu unterstützen?
Weitgasser: Ja, die wird es geben. Wir können so digital sein, wie wir wollen, wenn wir im Autohaus keine 4G-Verbindung zusammenbringen, werden wir nicht erfolgreich sein. Darum sind wir stark daran interessiert, die Infrastruktur in all unseren Standorten auf den letzten Stand zu bringen. Hier gibt es zwei Themen: einmal die Digital-Infrastruktur und einmal die E-Infrastruktur, die das Thema E-Mobility betrifft. Wir müssen schauen, dass wir beide Themen gleichermaßen voranbringen. Wir wollen das Autohaus zu einem Erlebnisort machen. Deshalb beschäftigen wir uns auch mit dem Thema Virtual Reality (VR) und Simulatoren, um den Kunden den Fahrspaß noch näher zu bringen.
LEADERSNET: Beim 4Gamechangers Festival haben Sie ein spannendes Projekt vorgestellt, das Moon Projekt. Was hat es damit auf sich?
Weitgasser: Mit Moon haben wir eine Marke gegründet, die sich mit der Infrastruktur rund um die E-Mobilität beschäftigt. Wir verkaufen schon sehr viele E-Fahrzeuge. Der VW Golf ist mittlerweile schon die Nummer 1 im E-Fahrzeug-Segment. Wenn man also ein E-Auto hat, dann braucht man eine Wallbox zuhause, um das Auto zu laden. Deshalb haben wir die Moon Wallbox entwickelt, die für alle Herstellermarken funktioniert und eine Lösung aus einer Hand bietet. Zum Moon Portfolio zählen Ladestationen für zuhause oder im Unternehmen, dazu Speicher oder PV Elemente. Man kann mit Moon Speichern aber beispielsweise auch sein Schwimmbad heizen. Mit Moon teilen wir gerne unsere Erfahrungen im Bereich e-Mobilität und e-Infrastruktur und beraten auch Unternehmen, die den gleichen Weg gehen wollen. Um das noch sichtbarer zu machen, verfolgen wir das Projekt, unseren Standort in der Sterneckstraße in Salzburg zu einer Moon City zu etablieren. Das ist ein Pilotprojekt, bei dem es darum geht, alles rund um smarte Mobilität anzubieten. Es geht dabei nicht nur um Elektromobilität, sondern auch um Smart Mobility und Smart City-Lösungen. Wir planen dort unser ganzes Wissen um Hochvolttechnik zu bündeln und wir wollen auch an dem Thema Second Life von Batterien forschen. Wir laden alle ein – vom Start-up bis zum großen Unternehmen – gemeinsam Lösungen für Mobilität und für Städte zu finden.
LEADERSNET: Ein Bereich, der für die Mobilität der Zukunft wichtig ist, ist das Car Sharing. Ist das ein Thema in Ihrem Konzern?
Weitgasser: Es ist absolut ein Thema. Car Sharing ist eine der kommenden Mobilitätsformen. Hier gibt es verschiedene Ansätze: Das kann vom Peer to Peer Sharing über das Corporate Car Sharing bis hin zum Community Car Sharing reichen. Wir haben ein eigenes Car Sharing-Programm, das sich das „sharetoo" nennt. Wir arbeiten hier mit Gemeinden, Kommunen und Unternehmen zusammen. Wir sehen aber keinen Sinn darin, in eine Stadt zu gehen, wo die Infrastruktur ohnehin perfekt ist. Das würde bedeuten, dass wir mehr Fahrzeuge an einen Ort bringen, wo es eigentlich darum geht, die Anzahl der Fahrzeuge nicht mehr zu erhöhen. Wir werden Car Sharing dort einsetzen, wo man es wirklich braucht und die Infrastruktur nicht so gut ausgebaut ist. Das ist in der Regel im ländlichen Bereich, wo nicht alle paar Minuten ein öffentliches Verkehrsmittel vorbeikommt. Wir arbeiten schon in acht Gemeinden im Bezirk Mödling wie beispielsweise in Maria Enzersdorf, Mödling oder Perchtoldsdorf sehr erfolgreich damit. Die Fahrzeuge werden über die Porsche Bank angekauft und dann innerhalb der Community vermietet. Der große Unterschied zu anderen Car Sharing-Firmen ist, dass es ein stationäres System ist, kein Free Floating. Damit ist auch immer sichergestellt, dass die Autos immer top gewartet, gepflegt und sauber sind.
LEADERSNET: Die Verkaufszahlen bei Dieselfahrzeugen sind bei allen Herstellern rückläufig. Ist das Ende des Diesels aus Ihrer Sicht besiegelt?
Weitgasser: Nein, überhaupt nicht. Der Diesel ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Zumal die heutige moderne Dieselmotoren-Technologie einen wertvollen Beitrag leistet, CO2-Emmissionen zu reduzieren. Wenn sich die öffentliche Diskussion abgekühlt hat, dann wird man das Thema Diesel wieder sachlich diskutieren können. Auch im Hinblick auf die E-Mobilität wird der Diesel-Hybrid eine interessante Option werden, da Diesel einen geringeren Verbrauch und eine höhere Reichweite als Benzin hat. Hier müssen wir mehr aufklären. Wenn man den richtigen Mix aus Antriebskonzepten findet, und hier gehören auch Verbrennungsmotoren, sowohl mit Diesel als auch Benzin dazu, dann wird man auch die Klimaziele erreichen.
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