„TV ist noch lange nicht tot"
Wrabetz statt Drozda beim ersten IAA Business Communication Lunch 2017.
Werberats-Präsident Straberger und -Geschäftsführerin Stoidl über große Aufreger, bewegte Österreicher und halbnackte Frauen.
Michael Straberger wurde Ende März für weitere drei Jahre als Präsident des Österreichischen Werberates (ÖWR) bestätigt. leadersnet hat ihn und ÖWR-Geschäftsführerin Andrea Stoidl deshalb zum Interview getroffen und mit den Beiden über die Beschwerdebilanz des Werberates, provokante Werbung von KMUs, Ethik und Moral sowie die persönliche Motivation hinter dem Engagement im ÖWR gesprochen.
leadersnet: Der ÖWR hat vor kurzem seine jährliche Beschwerdebilanz vorgelegt. Im Jahr 2016 wurden insgesamt 308 Beschwerden eingebracht. Wie bewerten Sie die Bilanz im Vergleich zu den Vorjahren?
Straberger: Der Werberat wird immer bekannter und dadurch gibt es mehr Präsenz in der Öffentlichkeit. Deshalb möchte man meinen, dass es auch mehr Beschwerden gibt. Aber 2016 hatten wir quantitativ tatsächlich weniger Beschwerden als im Jahr zuvor. Inhaltlich ist die Geschlechterdiskriminierung nach wie vor das große Thema. Es ist ein Thema, dass die Österreicherinnen und Österreicher sehr bewegt. Ansonsten ist es so, dass die Beschwerden über Onlinewerbung kontinuierlich steigen. Offenbar steigt auch die Sensibilität im Digitalbereich.
Stoidl: Spannend ist auch, wenn man sich die Entscheidungen dazu anschaut. 2015 hatten wir 22 Stopp-Entscheidungen, so viele wie noch nie. Letztes Jahr waren es aber nur elf Stopp-Entscheidungen. Der große Aufreger im letzten Jahr war während der Fußball-EM. Über einen Wettanbieter, den ich jetzt nicht näher benennen will, aber den jeder kennt, hat es mehr als 80 Beschwerden gegeben. Das ist schon sehr viel. Alle Beschwerden, die wir bekommen haben, haben unsere Werberäte sehr objektiv behandelt.
Straberger: Zudem muss man auch sagen, dass wir merken, dass die Medien in der Annahme von Werbeschaltungen eine höhere Sensibilität haben. Eine große Tageszeitung hat etwa den Auftraggeber aufgefordert, das Sujet des vorhin genannten Wettanbieters, abzuändern. Ich finde, das ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass die Selbstregulierung mehr und mehr greift. Es zeigt auch, dass das Argument der Zahnlosigkeit gegenüber dem Werberat nicht greift. Die großen, professionellen Werber lassen es mittlerweile praktisch gar nicht mehr darauf ankommen, dass es zu Beschwerden kommen könnte. Aus diesem Grund stehen in der Werbebilanz sehr oft Klein- und Mittelbetriebe, wie Friseure oder Installateure, im Vordergrund, weil diese Betriebe oft nicht die Infos haben.
leadersnet: Haben Sie aus diesem Grund auch den Leitfaden „Dos & Don’ts in der Werbung“ rausgebracht?
Straberger: Ja, mit einem für uns sehr spannenden Kooperationspartner, nämlich Herold. Herold hat bekanntlich sehr viele Kunden im KMU-Bereich. Dieser Leitfaden hilft all diesen Unternehmen eine Sensibilität für gewisse Themen zu entwickeln. Denn es wird immer wieder einen Installateur geben, der ein Schild in die Auslage hängt, auf dem „Hunde und Frauen sind im Geschäft verboten“ hängt. Mit so jemanden kann man lange diskutieren, ohne dass am Ende etwas dabei rauskommt. Hier muss man andere Hebel ansetzen und das machen wir.
leadersnet: Ist es nicht sehr oft auch so, dass die beanstandeten Werbungen gar nicht bewusst provokativ oder diskriminierend sind?
Stoidl: Ja, das liegt daran, dass sehr viele KMUs nicht mit professionellen Agenturen zusammenarbeiten, sondern die Werbung selber machen. Und viele denken sich eben, nehmen wir ein Foto mit einer halbnackten Frau, weil da schauen die Leute drauf.
Straberger: Das ist auch eine Frage des Zugangs zu ethischen Grundthemen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Manchmal ist es wahrscheinlich auch eine Frage des Horizonts und das kann man den Menschen nur bedingt vorwerfen. Da werden Sachen oft noch als lustig empfunden, die aber viele andere Leute nicht mehr so witzig finden.
Stoidl: Da findet gerade ein gesellschaftlicher Wandel statt. Das merkt man auch im Gespräch mit den kleinen Unternehmen, dass sie anfangen, über diese Dinge nachzudenken. Da haben wir in den letzten zehn Jahren viel Arbeit im Hintergrund geleistet. Wir haben mit den Unternehmern geredet und ihnen zu verstehen gegeben, dass wir sie nicht anprangern wollen und auch nicht gegen sie sind, sondern gemeinsam mit ihnen arbeiten wollen. Sie können beispielsweise vorab zu uns kommen und wir schauen uns die geplanten Werbemaßnahmen an und sagen ihnen, ob sie sich mit den Regeln und Richtlinien, die sich die Werbebranche selbst auferlegt hat, vereinbaren lassen. Dieses Service nehmen die Unternehmen auch bereitwillig an.
leadersnet: Kann man sagen, dass es Ihr deklariertes Ziel ist, dass es in Zukunft keine Beschwerden mehr gibt und dass Sie eine Servicestelle für alle Unternehmen sind, um möglichst viele Probleme schon im Vorfeld zu vermeiden?
Straberger: Das ist die große Vision, die wir haben. Aber ich glaube nicht, dass es vollends gelingen wird. Letztlich ist der Diskurs über Beschwerdefälle für die Branche auch durchaus spannend. Aber auch über die Branche hinaus, wenn etwas zu einer Publikumsdiskussion wird – was ja drei bis vier Mal im Jahr passiert. Ich glaube, dass es gesellschaftspolitisch interessant ist, dass man über Entwicklungen spricht. Das ist auch kein statischer Prozess, weil das was heute ethisch korrekt ist, kann morgen schon nicht mehr akzeptabel sein. Hier ist auch die Sensibilität auf Medienseite wichtig, weil das hilft, unsere Selbstregulierung auch zu exekutieren. Die gesetzliche Handhabe ist ja beschränkt, wenn der Inhalt beispielsweise nicht strafrechtlich relevant ist. Auch in der Bevölkerung steigt die Sensibilität. Das zeigt die Studie, die wir letztes Jahr veröffentlicht haben. Die Konsumentenbefragung hat ergeben, dass rund 70 Prozent der Leuten sagen, dass sie ein Produkt nicht kaufen, wenn ihnen die Werbung nicht gefällt. Das kann man weder als Werber noch als Unternehmer einfach ignorieren.
leadersnet: Was ist Ihre persönliche Motivation, im ÖWR tätig zu sein?
Straberger: Die Motivationen sind ganz unterschiedlicher Natur. Der ursprüngliche Auslöser war, die Erfahrungen, die man selbst in der Branche gemacht hat, auf ein anderes inhaltliches Niveau heben zu können. Das Zweite ist, dass wir mittlerweile gemeinsam mit dem Vorstand ein Gremium aufgebaut haben, das von 60 bis 70 Branchenverbänden die zentralen Persönlichkeiten vereint, in dem es einen sehr guten inhaltlichen und persönlichen Austausch gibt. Und der dritte wichtige Punkt ist, dass wir es mehr und mehr schaffen Akzente zu setzen, die auch gesellschaftliche Bedeutung haben.
Stoidl: Es ist auch so, dass die Akzeptanz des Werberats in den vergangenen zehn Jahren, seit wir am Ruder sind, extrem gestiegen ist. Den Werberat gab es ja schon davor, aber da hat man kaum bis gar nichts von ihm gehört oder gesehen. Desto mehr Akzeptanz es in der Branche gibt, desto mehr Kraft haben auch unsere Aktionen. Für mich war immer die Vernetzung der unterschiedlichen Branchen – die Agenturwelt, die Medienwelt und die Auftraggeber – sehr spannend. Jetzt kommt auch noch eine vierte Dimension dazu, nämlich die mit den übergreifenden Organisationen, wie wir sie nennen. Dabei handelt es sich unter anderem um Rechtsanwälte, Ärzte, Psychologen und NGO-Vertreter. Dieses Vernetzen fand ich immer schon spannend. Es ist wichtig, dass man sich Sichtweisen von außen reinholt und diese dann auch in die Werbung trägt.