Die Gesellschaft ist infolge der weltweiten Konfrontation mit den Auswirkungen der Pandemie nicht fortschrittlicher geworden, was die vorherrschenden Ansichten zur beruflichen Gleichstellung der Geschlechter in Führungspositionen betrifft. Doch gerade diese herausfordernden Zeiten haben bewiesen, dass es vor allem Frauen sind, die uns durch die Krise getragen und täglich Kraftakte gestemmt haben. LEADERSNET hat die Initiatorin der jährlichen "look! Women of the Year Gala", Uschi Pöttler-Fellner, zum Interview gebeten.
LEADERSNET: Männer sind noch immer die Hüter der gläsernen Decke, warum können die auch 2020 nur wenige Frauen durchbrechen?
Uschi Pöttler-Fellner: Ich denke nicht, dass Männer generell die großen Verhinderer des weiblichen Erfolges sind. Die gläserne Decke zu durchbrechen, ist schon auch eine Frage des weiblichen Willens. Will ich Beruf und Familie vereinbaren? Bin ich leistungsorientiert, zielorientiert, will ich im Privatleben Abstriche machen? Wenn ich als Frau diese Fragen eindeutig mit Ja beantworten kann, dann werde ich so ziemlich jede angeblich gläserne Decke durchbrechen. Die Frage ist für mich eher: Unter welchen Bedingungen ist es für Frauen möglich, die gläserne Decke zu durchbrechen! Und sind das auch meine Bedingungen? Ist die Kinderbetreuung optimal? Oder muss ich mir Sorgen machen, dass sie das nicht ist - dann werde ich als Frau die gläsernere Decke schwer durchbrechen können. Die Rahmenbedingungen müssen zuerst einmal stimmen! Diese Rahmenbedingungen werden allerdings nicht alleine von Männern aufgestellt, das muss man auch sagen.
LEADERSNET: Haben nicht gerade diese herausfordernden Zeiten bewiesen, dass es vor allem Frauen sind, die uns durch die Krise getragen und täglich Kraftakte gestemmt haben. Ob im privaten, schulischen, wirtschaftlichen, pflegenden oder medizinischen Bereich?
Uschi Pöttler-Fellner: Absolut! Wieder einmal waren und sind es die Frauen, die uns durch diese Krise tragen. Und zwar weltweit. Die Frauen packen an, die Frauen fragen nicht lange, die Frauen tun einfach. Sehr praktisch, könnte man jetzt sagen. Also wäre ich ein Mann, würde ich mich freuen und mir vielleicht denken: Schön, dass es den Frauen so viel Freude macht, so hinein zu hackeln! Dann wollen wir die Guten doch von ihrem Wirken nicht abhalten…Aber im Ernst: Der offenbar in den Genen liegende Eifer vieler Frauen, durch ihre (oft unbezahlte) Arbeit die Welt zu retten, macht die Sache nicht besser. Ich nehme mich da keineswegs aus. Wie alle anderen Frauen, die ich kenne, packe ich zunächst einmal das Nächstliegende an, oft auch ungefragt. Falsch, blöd, und der Gleichberechtigung nicht zuträglich! Ich mach’s aber trotzdem, weil… ja weil?
LEADERSNET: Wann kann man erwarten, dass durch die grandiosen Leistungen der Frauen in Krisenzeiten wie diesen, eine höhere Wertschätzung folgt?
Uschi Pöttler-Fellner: Mit der Wertschätzung ist das so eine Sache. Wenn die z.B. die Frauen im Pflegebereich - so wie auch gerade jetzt - enorme Leistungen erbringen und trotzdem schlecht bezahlt werden, dann applaudieren alle. Toll, dass wir so tüchtiges Pflegepersonal haben, was täten wir ohne unsere Pflegerinnen?! Ändert das etwas an der Bezahlung und der Belastung? Nein. Also wird dieser Gruppe de facto keine Wertschätzung entgegengebracht. Das betrachte ich übrigens schon seit Jahrzehnten als skandalös. In meinem ersten Buch „Wir Rabenmütter“, geschrieben vor 31 Jahren als damals doppelbelastete Kleinkinder-Mama, forderte ich ein besseres Gehalt für Kindergärtnerinnen. Ich schrieb damals, die Kindergärtnerinnen müssten das Gehalt eines Top-Managers bekommen, alles andere ist widersinnig. Dieser Meinung bin ich nach wie vor. Unsere Systemerhalterinnen müssen top bezahlt werden, leider ist das Gegenteil der Fall. Und das erklärt dann auch wieder Ihre Frage mit der gläsernen Decke: Solange Frauen in systemerhaltenden Berufen unterbezahlt und damit nicht Wert geschätzt sind, haben wir ein richtiges Problem. Die gläserne Decke ist ein Luxus-Problem.
LEADERSNET: Kann es sein, dass bei Männern in Führungspositionen nur oberflächlich eine Offenheit für Frauen besteht. Aber unter der Oberfläche schlummern Machos?
Uschi Pöttler-Fellner: Der gemeine Macho ist noch nicht ganz aus der Mode gekommen… aber ich glaube, dass das eine Frage des Alters ist. Die Macho-Generation wird alt und ist dadurch enden wollend. Bei jungen Männern in Führungspositionen herrscht das gleiche Konkurrenzdenken wie bei jungen Frauen im Management. Die Konkurrenz richtet sich durchaus auch gegen das eigene Geschlecht. Und im Kampf um die Vormacht unter Frauen werden auch bei Frauen oft schwere Geschützte aufgefahren. Also, heilig sind wir auch nicht.
LEADERSNET: Was sind die größten Herausforderungen für Frauen in der Medienbranche?
Uschi Pöttler-Fellner: Ich glaube, dass die Medienbranche für Frauen grandiose Möglichkeiten bietet, vor allem digital und vor allem auch in den damit zusammenhängenden technischen Bereichen. Wo sind die guten Digital-Managerinnen, Content- Managerinnen, Streaming-Technikerinnen, Videografinnen? Moderatorinnen und Journalistinnen gibt’s wie Sand am Meer, Spezialistinnen für neue Technologien -und die sind eine Säule jedes Medienhauses - gibt es nach wie vor wenige. Die Herausforderung für Frauen in den Medien ist also, diese neuen Herausforderungen anzunehmen! Und sich nicht in traditionellen Rollen-Klischees zu verlieren, á la: Ich möchte mal ein bisschen moderieren… von dieser Denke müssen Frauen weg. Dieses Business ist abgefrühstückt. Und die digitale Medienwelt ist ohnehin die viel spannendere.
LEADERSNET: Welche Tipps können Sie jungen Kolleginnen diesbezüglich geben?
Uschi Pöttler-Fellner: Mein Tipp ist, sich auf die neuen Medien einzulassen und abseits der Trampelpfade zu agieren. Dann kann man nur gewinnen.
LEADERSNET: Wo gibt es noch deutlichen Nachholbedarf in der Gleichstellung von Frauen und Männern?
Uschi Pöttler-Fellner: Beim Gehalt, das wiederum auf den Leistungszeitraum bezogen ist, der wiederum bei Frauen anders definiert wird als bei Männern. Frauen bekommen die Kinder, haben dadurch automatische Ausfallzeiten, das ist das Problem.
LEADERSNET: Wie kommt es überhaupt dazu, dass auch Frauen, die ganz außergewöhnliche Leistungen erbringen, nicht in den Vordergrund gestellt werden?
Uschi Pöttler-Fellner: Ich glaube nicht, dass Frauen nicht in den Vordergrund gestellt werden. Ich glaube, dass sich viele Frauen selbst nicht gerne in den Vordergrund stellen. Nennen wir es anerzogene Bescheidenheit. Das Trommeln gehört definitiv nicht zum Handwerk der meisten Frauen. Das können die Männern einfach besser. Was lernen wir daraus? Wir müssen auch trommeln! Und haben sofort danach ein schlechtes Gewissen, weil wir (Achtung anerzogen!) den Spruch unserer Großmütter im Ohr haben „Eigenlob stinkt!“ Zumindest ist das noch in meiner Generation so. Ich hoffe inständig, dass meine Enkeltöchter tüchtige Trommlerinnen werden, ohne schlechtes Gewissen!
LEADERSNET: Kann es sein, dass die "Selbstpromotion" für Frauen unterentwickelt ist?
Uschi Pöttler-Fellner: Ja, definitiv! Wie gesagt, die meisten unter uns haben Großmütter und Mütter, die uns die Selbstpromotion eher abgewöhnt haben. Ein simples Beispiel, aus der Urzeit: Wenn mein Bruder als Kind mit aufgeschlagenen Knien heimkam, hieß es „ toll, ein Indianer kennt keinen Schmerz, das gehört bei einem gesunden Buben dazu!“ Bei mir hieß es „sei doch nicht immer so wild, da können Narben bleiben für immer, und wenn du heiratest, hast du dann eine Narbe am Knie!“ Das löst in einem kleinen Kind etwas aus. In meinem Fall habe ich zwei Narben an zwei Kniescheiben, die aber bei meinen beiden Hochzeiten nie Thema waren.
LEADERSNET: Ist es auch möglich, dass allgemein im Bereich der Kommunikation, die männliche Rolle gewohnheitsmäßig im Vordergrund steht?
Uschi Pöttler-Fellner: Sehe ich nicht so. Kommunikation ist eigentlich etwas zutiefst weibliches. Zumindest kluge Kommunikation.
LEADERSNET: Was waren die Beweggründe, einen eigenen Award einzuführen?
Uschi Pöttler-Fellner: Ich war immer schon ein Fan von Frauen, ich habe viel mit Frauen und für Frauen gearbeitet und bin mir sehr bewusst, dass Frauen die Leistungsträgerinnen in jeder Hinsicht sind. Deshalb war es für mich naheliegend, besondere Frauen vor den Vorhang zu holen und zu würdigen. Das hat mit den Women-Award vor zwanzig Jahren bei Woman begonnen, hat sich dann mit den Leading Ladies-Awards bei Österreich und Madonna fortgesetzt und vor sieben Jahren habe ich Herausgeberin von Look! und Bundesländer-Magazingruppe (Bundesländerrinnen) die Woman of the Year-Awards gegründet. Wir haben im Wiener Rathaus bereits unglaublich tolle Frauen ausgezeichnet, von Auma Obama bis Farah Diba, der rahmigen Kaiserin von Persien. Ich bin überzeugt davon, dass Frauen Vorbilder brauchen, um selbst nach vorne zu kommen. Also zeigen wir diese Vorbildfrauen her. Heuer haben wir ausschließlich Heldinnen der Krise ausgezeichnet, Österreicherinnen, die unser System erhalten. Das sind jetzt unsere größten Vorbilder.
LEADERSNET: Nach welchen Kriterien wurden die Preisträgerinnen bestimmt?
Uschi Pöttler-Fellner: Die Jury hast sich heuer aus den Journalistinnen unserer Redaktionen zusammengesetzt, in einzelnen Kategorien gab es auch ein Leserinnen und Publikums-Voting. So hat etwa Prof. Manuela Födinger, die den Corona-Gurgeltest mit ihrem Team entwickelt hat, aufgrund der Look!-Leserinnen-Jurierung den diesjährigen Woman of the Year Award erhalten. Ebenso die Direktorinnen der Wiener Pensionistenwohnhäuser, die den Preis stellvertretend für das Pflegepersonal entgegen genommen haben. Unsere Leserinnen erkennen sehr genau, welche Frauen preiswürdig sind.
LEADERSNET: Warum haben Sie heuer auch einen "Man of the Year" gekürt?
Uschi Pöttler-Fellner: Seit drei Jahren zeichnen wir jeweils auch einen Mann aus, im Sinne der Gleichberechtigung. Yury Revich hat den Award heuer nach Eros Ramazotti und dem Weltumsegler Boris Hermann bekommen. Verdient!
LEADERSNET: Welche Learnings können Sie aus der ersten virtuellen Verleihung ziehen?
Uschi Pöttler-Fellner: Die Digitalität hat vieles vereinfacht. Weltstars, wie in unserem Fall Elina Garanca, können einfach zugeschaltet werden. Eine digitale Veranstaltung ist auf das Wesentliche konzentriert, was der Veranstaltung und den handelnden Personen sehr zugute kommt. Wir haben digitale Events fix in unser Veranstaltungs-Portfolio aufgenommen und extrem gute Erfahrungen damit gemacht. Das Format wird bleiben, zumindest die kommenden 100 Jahre:-) Vielleicht können wir uns bis dahin ja schon von einem Ort zum anderen beamen, so wie die Mannschaft von Raumschiff Enterprise. Ich finde diese Zeiten jedenfalls enorm spannend. Vielleicht weil ich als Wassermann angeblich eine Art "geborener Erneuerer" bin :-). (jw)
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