LEADERSNET: Der Senat der Wirtschaft wurde als ökosozialer Think Thank für die Wirtschaft gegründet. Können Sie erklären, was das genau bedeutet?
Harrer: Wir nehmen uns unterschiedlichsten Themen in der Wirtschaft an – etwa dass wir auf unseren Globus achten und unsere Prozesse ökologisch untersuchen, dass wir den sozialen Aspekt, sprich das Miteinander zwischen den Mitarbeitern und der Unternehmensführung unter die Lupe nehmen und last but not least, dass die Wirtschaft auch tatsächlich funktioniert. Wir haben dem Begriff der ökosozialen Marktwirtschaft, der ursprünglich von Josef Riegler (ehemaliger ÖVP-Vizekanzler – Anm. d. Red.) geprägt wurde, noch den Begriff Balance hinzugefügt: "ökosoziale Marktwirtschaft in Balance". Wir müssen nämlich auch jenen, die momentan vielleicht in ihrer Geisteshaltung noch nicht soweit sind, sich diesen Herausforderungen zu widmen, die Chance geben, dass sie sich zu einem späteren Zeitpunkt damit auseinandersetzen. Es geht also nicht um die Unterscheidung zwischen "Good Boy" und "Bad Boy", sondern darum, miteinander etwas zu schaffen.
LEADERSNET: Kann diese Balance in der derzeitigen Situation – Stichwort Coronakrise – überhaupt erreicht werden?
Harrer: Die Stellungnahme vom Senat der Wirtschaft ist diesbezüglich sehr einfach. Dieses Problem wird gerne als Krise bezeichnet. In der deutschen Sprache hat Krise eine andere Rolle, wie im Sprachstamm. Krise kommt vom griechischen Wort "Krisis" und heißt nicht nichts anderes als Veränderung und Chance. Deshalb sollten wir uns überlegen: Jammern wir uns jetzt krank, indem wir in der Krise aufgehen und jeden Tag von Angstparolen überflutet werden und uns darauf fokussieren, was alles nicht funktioniert und was noch alles passieren könnte? Wir im Senat der Wirtschaft können mit dieser Geisteshaltung recht wenig anfangen. Wir beschäftigen viel lieber mit Lösungsmodellen.
LEADERSNET: Welche Lösung schwebt Ihnen vor?
Harrer: Wir brauchen mehr Leadership von den Regierenden. Sie müssen das Bewusstsein entwickeln, dass die Zukunft für Herr und Frau Österreicher nicht durch Corona, sondern durch ein soziales Miteinander mit Balance bestimmt werden sollte. Wenn wir es nicht schaffen, die Aufmerksamkeit vom Coronavirus wegzunehmen und sie auf den "Sozialvirus", wie ich ihn gerne bezeichne, richten, dann werden wir unser wunderbares Österreich – mit all seinen Werten – in den nächsten Jahren sehenden Auges an die Wand fahren. Und zwar so an die Wand fahren, dass es auch politisch gefährlich wird. Demokratien haben auf längere Sicht nur eine Überlebenschance, wenn die Mitte funktioniert. Bricht die Mitte einer Demokratie und einer Gesellschaft zusammen, dann besteht die Gefahr, dass es entweder in die extreme linke oder die extreme rechte Seite ausbricht. Und dann wird es fatal. Denn dann ist die Politik noch mehr in ihrem Handeln gelähmt, da es noch weniger Kapazitäten gibt, sich um die Zukunft zu kümmern.
LEADERSNET: Ihr Appell an die Regierung ist also, keine Angst zu verbreiten.
Harrer: Richtig, denn Angst ist immer der Dealbreaker, während Zuversicht und Mut immer der Dealmaker ist. Was wir jetzt von den politischen Verantwortlichen brauchen ist ein Schulterschluss mit der Wirtschaft – und zwar barriere- und "farbenfrei". Das heißt, wenn eine politische Partei eine gute Idee hat, dann sollte diese von der anderen Seite nicht zerpflückt und zunichte gemacht werden, nur weil sie von der "falschen" Seite kommt. Ich glaube, dass es unsere Gesellschaft verdient, eine Führung in der Politik zu haben, die nicht ständig in diesem Prozess des ständigen Wahlkampfs und des Verkaufs der eigenen Herrlichkeit, damit nach der Wahl das Kartenhaus wieder zusammenfallen kann, hängt. Diese Politik müssen wir wirklich abkoppeln, wenn wir eine Werte-Gesellschaft für Österreich und ein soziales und sicheres Miteinander schaffen wollen. Dies ist die Voraussetzung, um aus dieser Krise herauszukommen und die Krise tatsächlich als Chance zu sehen. Ich glaube, das Verändern schadet uns nicht.
LEADERSNET: Wie wird diese Veränderung Ihrer Meinung nach aussehen?
Harrer: Wir werden viele Prozesse heute nicht nur neu denken, sondern auch neu tun müssen. Wir sind schon mittendrin in den Veränderungsprozessen. Wir müssen nur aufpassen, dass wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Viele glauben, dass jetzt, wo viele Menschen im Home Office sind, alles schön ist. Meiner Meinung nach, müssen wir aber wieder in den Betrieben drinnen zusammenfinden. Wir müssen uns wieder spüren in den Betrieben – sowohl in der Beziehung mit den Kollegen als auch in der Beziehung mit den Kunden. Wir können noch so viele Videokonferenzen abhalten, aber das ersetzt nicht ein wirkliches Miteinander. Sich anzuschauen, aufeinander zu zugehen, den anderen spüren – das sind Voraussetzungen für ein funktionierendes soziales Leben, um nicht sogar Überleben zu sagen. Digitale Systeme sind Hilfswerkzeuge, um uns das Leben zu erleichtern. Aber die Voraussetzungen für ein soziales, wertvolles Miteinander muss der Mensch schaffen.
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