"Keine Führungskraft ist in der Lage, eine Krise im Alleingang zu meistern"

Till Oberhummer, Head of Sales and Business Development bei Western Union Business Solutions, im LEADERSNET-Interview zum Thema "Leadership in Zeiten der Krise". 

LEADERSNET: Herr Oberhummer, die aktuelle Situation stellt nicht nur CEOs und Vorstände vor ungeahnte Herausforderungen, sondern auch jede einzelne Führungskraft. Worauf kommt es aus Ihrer Sicht jetzt am meisten an, von der Unternehmensführung bis hin zum Teamleiter?

Oberhummer: Standortbestimmung. In einer Krisensituation ist es wichtig zu wissen, wo jeder in der Firma gerade steht. Und dabei beziehe ich mich nicht auf klassische KPIs (Key Performance Indicator/Leistungskennzahl – Anm. d. Red.), sondern auf die Frage, wie sich die Mitarbeiter fühlen und wie sie sich verhalten. Keine Führungskraft ist in der Lage, eine Krise im Alleingang zu meistern, man braucht sein Team. In jeder Organisation gibt es neben der formalen Struktur, sprich Vorstand, Teamleiter und Team, auch eine informelle Struktur. Diese ist für jede Art von Change-Management wichtig und die aktuelle Situation erfordert genau das. Welche Personen innerhalb der Firma und innerhalb des jeweiligen Teams sind die Go-To Personen? Diese sind einerseits wichtig um ein besseres Verständnis für die Gefühlslage der Mitarbeiter zu bekommen und andererseits auch ein wichtiger Kommunikationskanal zwischen den Mitarbeitern und dem Management.

LEADERSNET: Führungskräfte sind jetzt tagtäglich mit Unsicherheiten konfrontiert, müssen aber gegenüber Mitarbeitern und Kunden trotzdem souverän und entscheidungsfähig bleiben. Wie kann das gelingen und was kennzeichnet in der aktuellen Situation einen souveränen Manager aus?

Oberhummer: Als Führungskraft ist es wichtig, mittel- und langfristig zu denken und zu planen. In Krisensituationen liegt der Fokus aber verstärkt auf das Jetzt und das unmittelbare Morgen. Ein souveräner Manager findet im Idealfall eine Balance aus Beidem. Wenn wir uns nur mehr auf das Jetzt konzentrieren, werden wir, wenn die Krise abklingt, wahrscheinlich ein Problem haben, da niemand auf die Zukunft geachtet hat. Die Krise wird enden aber sie wird Spuren hinterlassen. Manche Geschäftsfelder werden wegfallen, neue werden hinzukommen.

Eine Führungskraft kann nur so erfolgreich sein, wie ihr Team und deswegen muss sie auch sicherstellen, dass dieses Team funktionsfähig bleibt und sich auf neue Situationen rasch einstellen kann. Damit dies gelingt, darf sich eine Führungspersönlichkeit nicht abkapseln. Das Team muss wissen, dass mit ihnen und nicht gegen sie oder über sie hinweg gearbeitet wird. Probleme müssen angesprochen werden können – und zwar in beide Richtungen. Speziell wenn es, wie in diesem Fall, eine offensichtliche Krise ist, muss der Mitarbeiter dem Führungsteam vertrauen können.

LEADERSNET: Was ist aus Sicht der Unternehmensführung jetzt am meisten gefragt: Der gut organisierte Krisenmanager oder der Lotse, der das Schiff mit weitem Blick durch stürmische See führt? Was macht in diesem Zusammenhang gutes Leadership aus?

Oberhummer: Das hängt stark von der individuellen Funktion ab. Bin ich operativ bzw. prozessorientiert tätig, ist sicher der gut organisierte Krisenmanager die bessere Wahl. Das ist sozusagen das Herz des Unternehmens und wenn das zu stottern anfängt oder im schlimmsten Fall für einige Zeit sogar komplett stillsteht, hat das gravierende Auswirkungen auf den Rest der Organisation. Es gibt aber auch Funktionen wo es verstärkt um das "Big Picture" geht: Hier ist ein Lotse, der das Schiff durch die stürmische See führt, sicher die bessere Besetzung. Am Ende des Tages sollte man als Manager beides zumindest verstehen und beherrschen und wissen wann welche Skills einzusetzen sind. Das erleichtert auch die Zusammenarbeit zwischen den Führungskräften enorm. Beide Stile sind wichtig und richtig. Um bei der Analogie mit dem Schiff zu bleiben: Wenn nur Lotsen an Bord sind, wird das Schiff nicht vom Fleck kommen und wenn jeder nur im Maschinenraum ist – also jeder nur nach Innen sieht – wird das Schiff sehr wahrscheinlich eine Klippe oder einen Eisberg rammen.

LEADERSNET: Was sind für Sie die wichtigsten Dos und Dont's für Manager und Unternehmen, die im Krisenmodus agieren müssen?

Oberhummer: Ich denke Authentizität, offene Kommunikation und Verlässlichkeit sind die wichtigsten Faktoren. Absolute No-Gos sind den Kopf in den Sand stecken und Probleme auszusitzen. Auch sollte man nicht die Beherrschung verlieren. Keinem ist geholfen, wenn es hitzig wird und als Führungskraft sollte man Ruhe ins Team bringen und nicht für zusätzliche Verunsicherung oder sogar Angst sorgen.

LEADERSNET: In zahlreichen Unternehmen arbeiten die Angestellten jetzt aus dem Home Office. Worauf muss ein Teamleiter, der seine Mitarbeiter derzeit nur auf digitalen Wegen führen kann, jetzt besonders achten?

Oberhummer: Für viele Firmen war es eine große Umstellung plötzlich mit virtuellen Teams zu arbeiten. Global agierende Firmen hatten hier sicher einen gewissen Vorteil, da die Infrastruktur zumindest vorhanden war. Allerdings haben auch diese Firmen normalerweise Niederlassungen mit Büros, wo die Mitarbeiter sich gewöhnlich auch jeden Tag aufhalten.

Das wichtigste Learning für mich war, dass die soziale Interaktion ein unglaublich wichtiger Teil der Unternehmenskultur ist. Als plötzlich jeder von Zuhause aus arbeiten musste, fiel diese jedoch weg. Deswegen habe ich nach der erste Woche sogenannte "Morning Huddles" eingeführt. Jeden Tag um 9 Uhr wählen sich die österreichischen und deutschen Kollegen ein und es wird geplaudert. Manchmal ist es ein beruflicher Austausch, manchmal ist es auch einfach nur Persönliches. Es hat den Charakter des morgendlichen Zusammenkommens in der Büroküche, wo es ja auch nicht immer nur um den Job geht und – basierend auf dem Feedback das ich von den Teams direkt und indirekt bekommen habe – gibt es Sicherheit und ein Gefühl von Zusammenhalt.

Andererseits hat man natürlich auch andere Herausforderungen: Man sieht sich ja nicht den ganzen Tag und sollte trotzdem im Überblick haben, was die Mitarbeiter machen. Hier ist es ein schmaler Grat zwischen vertrauensbasierter Kontrolle und Mikromanagement. Abhängig von der Tätigkeit sind die KPIs und auch die Möglichkeiten diese zu kontrollieren unterschiedlich. Bei Mitarbeitern einer Hotline ist es einfach, da werden die Ein- und Ausgehenden Calls erfasst, die Gesprächsdauer, die Cases usw. Im Business Development ist das dann schon etwas schwieriger. Mein Team schickt mir jeden Abend in einfachen und allgemein gehaltenen Bullet Points, woran an dem Tag gearbeitet wurde. Dadurch habe ich einen guten Überblick und kann auch meine Ressourcen besser planen. Manche Mitarbeiter arbeiten gerne sehr unabhängig und fühlen sich kontrolliert wenn man zu aktiv wird, andere wünschen sich den Kontakt und den regelmäßigen Austausch. Es gibt kein "one fits all" und eine gute Führungskraft weiß das und setzt es entsprechend um.

LEADERSNET: Aber auch Führungskräfte sind Menschen, die natürlich Bedürfnisse haben. Führungspersönlichkeiten haben auch zu kämpfen, sind gestresst und müssen Unternehmensziele erreichen. Wie halten Sie dem Druck stand?

Oberhummer: Vor vielen Jahren, während meiner NLP (Neuro-Lingustisches Programmieren) Ausbildung, habe ich WIDEG kennengelernt. WIDEG steht für "Wofür ist das eine Gelegenheit?" und wann immer etwas Unvorhergesehenes – egal ob positiv oder negativ – geschieht, stelle ich mir diese Frage. In der aktuellen Situation ist es eine Gelegenheit neue zukünftige Führungskräfte zu identifizieren aber auch festzustellen, worauf wir als Unternehmen bzw. die Führungskräfte in der Vergangenheit zu wenig Augenmerk gelegt haben: Was sollten wir mehr schulen, was weniger? Wo scheinen Mitarbeiter mit der zusätzlichen Verantwortung überfordert zu sein? Wo hat man einen Rohdiamanten übersehen, der jetzt durch die Krise angeschliffen wurde? Unter massivem Druck versuche ich einen Schritt zur Seite zu gehen und die Situation als Außenstehender zu beobachten. Danach lege ich im Geist eine Liste von den Dingen an, auf die ich keinen Einfluss habe. Diese Dinge lasse ich dann nicht mehr an mich heran, da das sonst unglaublich viel meiner Energie rauben würde, die mir dann bei den Dingen fehlt, bei denen ich etwas bewirken kann.

LEADERSNET: Trauen Sie sich eine Prognose zu, ob sich Führung im Zuge der Krise verändern wird? Wenn ja: Was wird sich im Hinblick auf die Führungskultur in den Unternehmen entwickeln?

Oberhummer: Aus den Gesprächen mit meinen Kommilitonen aus meinem Global Executive MBA an der Insead weiß ich, dass in vielen Ländern davon ausgegangen wird, dass auch nach Corona verstärkt auf Home Office gesetzt werden wird. Die Krise hat vielen Firmen gezeigt, dass sie auch mit Home Office voll einsatzfähig wären und ich kann mir vorstellen, dass das – auf freiwilliger Basis – auch weitergeführt werden wird. Auch denke ich, dass die Krise in vielen Firmen gezeigt hat, welche Führungskräfte mit derartigen Situationen umgehen konnten und welche ein besseres Rüstzeug und mehr Unterstützung benötigt hätten.

Ob sich die Führungskultur allgemein ändern wird, lässt sich schwer beurteilen. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir bald von Best-Practice Fällen lesen werden und dass die eine oder andere Firma versuchen wird, ihre Führungskultur entsprechend anzupassen und zu verbessern. Frei nach: "Wofür Ist Das Eine Gelegenheit?"

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