Seit 16. August steht das kleine Tiroler Bergdorf Alpbach wieder im Fokus der internationalen Medienaufmerksamkeit. Das Europäische Forum Alpbach lockt bis zum 1. September wieder hunderte Menschen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft an, die das Spannungsfeld zwischen „Konflikt & Kooperation“ beleuchten. LEADERSNET hat sich mit Europäisches Forum Alpbach-Geschäftsführer Philippe Narval darüber unterhalten, welche gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Relevanz die Veranstaltung tatsächlich hat, was einen guten Konflikt ausmacht, warum Wissenschaftsskeptiker eine Hochkonjunktur erleben und welchen Einfluss Künstliche Intelligenz auf unsere Gesellschaft haben wird.
LEADERSNET: Heuer steht das Generalthema „Konflikt und Kooperation“ im Vordergrund. Ein Blick auf die globale politische Situation und auch auf die Innenpolitik suggeriert, dass im Moment alle Zeichen auf Konflikt stehen. Denken Sie, dass in absehbarer Zeit auch wieder das Motto Kooperation in den Vordergrund gerückt wird?
Narval: Wir haben eine Medienlandschaft, deren Logik stark darauf setzt, dass Konflikte im Vordergrund stehen. Ich denke, dass hier gelungene Kooperationen zu wenig publik gemacht werden. Es gibt viel Neues und Interessantes, das an der Schnittstelle zwischen Forschung und Wirtschaft entsteht, aber nicht „sexy“ genug ist, damit es in der Zeitung steht. Darüber hinaus muss man den Begriff „Konflikt“ auch differenzieren. Es gibt Themen, die wir zivilisiert in Konflikten austragen sollten. Dafür fehlt uns in Österreich aber oftmals sowohl der Mut als auch die Kultur. Ich bin kein Feind von Konflikten. Ich bin aber ein Feind von Konflikten, die nicht dazu genutzt werden, um eine konstruktive Weiterentwicklung zu ermöglichen. Am Ende geht es um die Qualität des Diskurses und Argumente, die auf Basis von Evidenz basieren sollten. Da tun wir uns im Zeitalter von Sozialen Medien – die jedem ermöglichen, ein Sender zu sein – schwer.
LEADERSNET: Warum glauben Sie, dass diese Skepsis gegenüber der Wissenschaft derzeit so boomt?
Narval: Die Wissenschaft muss sich zum Teil selbst fragen, warum wir dort sind, wo wir sind. Die starke Finanzierung von Wissenschaft durch private Interessensgruppen hat einen großen Teil dazu beigetragen. Dazu muss man sich nur anschauen, was in den vergangenen 30 bis 40 Jahren mit den Themen „Zucker“ und „Fett“ passiert ist. Da wurde Fett dafür verantwortlich gemacht, Volkskrankheiten zu schaffen, während es in Wahrheit der Zucker war. Das hatte eindeutig mit Industrieinteressen zu tun. Deshalb dürfen wir uns auch nicht wundern, dass eine gewisse Skepsis in der Bevölkerung herrscht.
LEADERSNET: Noch einmal zurück zum Generalthema des diesjährigen Forums. Was zeichnet erfolgreiche Kooperationen aus?
Narval: Kooperationen funktionieren dann, wenn Diversität von Teams und Organisationen wertgeschätzt werden und jeder die Möglichkeit hat, zu Wort zu kommen und sich einzubringen. Leider fehlen uns im Management, in der Führung und auch in anderen sozialen Gefügen oft die Handwerkszeuge, um gelungene Kooperationen zustande zu bringen. Diese funktionieren nämlich nicht, wenn einzelne Leute in Führung gehen oder dominieren wollen.
LEADERSNET: Zu den Schwerpunkten des heurigen Programms gehört auch der Vorstoß der Künstlichen Intelligenz. Welche Auswirkungen erwarten Sie sich durch Künstliche Intelligenz auf unsere Gesellschaft?
Narval: Ich denke, dass der Begriff Künstliche Intelligenz noch nicht ganz so passend zu dem ist, was wir derzeit erleben. Wir befinden uns noch immer in einem Rahmen, wo wir eigentlich von Machine Learning sprechen müssten. Das heißt, dass Algorithmen-getriebene Systeme auf Basis mathematischer Modelle lernen und sich entwickeln. Alles was auf Basis von von einem Modell und vielen Daten erlernbar ist, wird in Zukunft von Maschinen übernommen werden. Wir sind aber noch weit davon entfernt, von etwas zu sprechen, das der menschlichen Intelligenz entspricht. Einen sokratischen Dialog wird eine Maschine noch lange nicht führen können. Nichtsdestotrotz müssen wir uns damit beschäftigen. Maschinen sind mittlerweile in der Gesichts- und Spracherkennung viel weiter als der Mensch. Das wird wiederum Auswirkungen auf bestimmte Berufs- und Geschäftsfelder haben. Das heißt aber auch, dass der Mensch, in dem was er tut, seine Kreativität einbringen kann, während das was replizierbar ist, von Maschinen erledigt wird. Nur Angst vor diesen Entwicklungen zu haben, würde ich als falschen Zugang sehen. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs zu diesen Technologien und wo wir damit hinwollen.
LEADERSNET: Hat das Europäische Forum Alpbach eine konkrete gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Relevanz?
Narval: Ich denke wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder die Themenführerschaft in unterschiedlichen Bereichen übernommen. Wir haben international renommierte Leute, wie etwa Hermann Hauser, nach Alpbach geholt. Wir waren Pionier in den Bereichen Design Thinking und Participative Leadership. Darüber hinaus gewinnen die Teilnehmer hier ein großartiges Sozialkapital und das ist besonders wichtig für viele Studierende. Den Zugang, den sie hier zu Entscheidungsträgern bekommen, gibt es sonst nirgendwo. Wir sind auch Gastgeber von Gesprächen, die in dieser Qualität und auf diesem Niveau ansonsten nicht stattfinden. Wir hatten am Mittwoch beispielsweise ein Arbeitstreffen von Vertretern der Weltreligionen in Kooperation mit dem Vatikan und Jeff Sachs von der Columbia University, wo über Ethikfragen diskutiert wurde.
LEADERSNET: Besteht bei einer Veranstaltung wie dem Europäischen Forum Alpbach nicht auch die Gefahr, dass viele der sogenannten Entscheidungsträger nur kommen, um sich selbst zu inszenieren?
Narval: Ja, natürlich. Wir haben heuer Wahlkampf und jedes Regierungsmitglied versucht hier mit Pressekonferenzen, Aussendungen und Einladungen zu glänzen. Das muss man natürlich in gewissem Maße kontrollieren und nicht aus dem Ruder laufen lassen. Uns ist wichtig, dass wir mit unserem Programm internationale Spitzenforschung und internationale Erkenntnisse aus Wirtschaft und Gesellschaft nach Alpbach bringen. Gerade Menschen, die diese Art der Selbstdarstellung nicht brauchen, sind die wirklichen Vorbilder.
LEADERSNET: Sie sind seit 2012 Geschäftsführer des Europäischen Forum Alpbach. Hat sich die Veranstaltung in dieser Zeit unter Ihrem Einfluss geändert?
Narval: Es ist wichtig in den Vordergrund zu stellen, dass das Europäische Forum Alpbach ein Team Effort ist. Es entsteht nicht durch die Führung einzelner, sondern durch ein wunderbares Team. Wir haben einen großartigen Vorstand mit Franz Fischler und vielen weiteren, die sich ehrenamtlich einbringen, über 100 ehrenamtliche Fachbeiräte und ein tolles Organisationsteam vor Ort. Mein Managementansatz ist, dass man so etwas wie das Europäische Forum Alpbach nicht von oben herab führen kann. Ich bin stolz, dass wir in den letzten Jahren die Internationalität des Forums vorangetrieben haben. Wir arbeiten mittlerweile beispielsweise mit über 40 internationalen Think Tanks und Wissenschaftseinrichtungen zusammen.
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