Die rund 70.000 Werke umfassende Sammlung der Neuen Galerie Graz wurde in den letzten Jahren unterschiedlich gezeigt, zuletzt umfangreich bis Sommer 2024 unter dem Titel Show! Highlights aus der Sammlung. Rund 9.000 Interessierte haben die Ausstellung in vier Monaten Laufzeit besucht. Aufgrund der hohen Nachfrage wird nun eine Dauerpräsentation der Sammlung gezeigt, die als Verdichtung unter dem Titel Selection zu sehen ist. Erstmals war das Publikum aktiv an der Neuauswahl beteiligt, eine Umfrage führte zu einem erstaunlichen Ergebnis, das in die aktuelle Präsentation aufgenommen wurde.
Die Sammlung der Neuen Galerie Graz wurde seit jeher nicht nur durch Ankäufe, sondern auch durch Schenkungen und Stiftungen erweitert. Mit großzügigen privaten Schenkungen – u. a. von Norli und Hellmut Cerny, Helmut Suschnigg, Regine Ploner sowie zahlreichen Künstler:innen – und durch viele Dauerleihgaben konnte in den letzten Jahren eine Qualitätsverdichtung erreicht werden. Die dauerhafte Präsentation, die jährlich geringfügig adaptiert wird, ermöglicht nun die Präsentation spezieller Themenbereiche und die Sichtbarmachung von Neuzugängen. Da sich auch diese Dauerausstellung mit "Highlights" aus dem Bestand beschäftigt, ist die Frage berechtigt: Was sind "Highlights", wer bestimmt ihren Status?
Das Publikum hat abgestimmt
Eine Publikumsumfrage im Rahmen der Ausstellung Show! führte zu einem überraschenden Ergebnis, das nun in die Neuauswahl eingeflossen ist. Somit hat in der Neuen Galerie Graz erstmals das Publikum einen aktiven Anteil an einer Sammlungspräsentation. Darin zeigt sich das republikanische, bürgerliche Bewusstsein derer, die das Museum als "ihres" begreifen und dessen Besitz als kollektiven Schatz. In diesem Gedanken liegt sowohl die Stärke der Gesellschaft als auch die ihrer Institutionen – in unserem Fall des Museums als Ort gemeinsamen Bemühens.
In Kooperation mit dem Institut für Digitale Geisteswissenschaften der Universität Graz wurden rund 230 Personen persönlich befragt. Diese sehen deutlich das Stadtende von Egon Schiele und den Erzberg von Herbert Boeckl auf den ersten Plätzen, überraschend landete der Maler Liu Xiaodong mit Trees growing out of swimming pool auf dem dritten Platz.
Die Vorliebe des Grazer Publikums für den chinesischen Künstler wird besonders deutlich bei der Abstimmung mittels Wahlkarte, die in der Ausstellung Show! zur Wahl persönlicher "Highlights" einlud. Sein "Siegerbild" wurde 2012 eigens für seine erste Ausstellung in Österreich im Kunsthaus Graz angefertigt. Dort erhielt das Gemälde oft inklusive der dazugehörenden Videos mit 30 am meisten Stimmen. Yves Kleins Venus bleu folgt mit 29 Stimmen sehr dicht dahinter. Maria Egners Bild Blühendes Mohnfeld und Herbert Boeckls Erzberg liegen mit je 22 Stimmen bei den Wahlkarten auf dem dritten Platz. Egon Schiele – sowohl das Gemälde Stadtende als auch seine Zeichnungen – ist bei dieser Abstimmung ebenfalls sehr beliebt. Mit 33 Stimmen erhält er als Künstler die meisten Stimmen. Insgesamt haben 665 Personen mittels Wahlkarte ihre Stimme abgegeben.
"Selection" ist eine verdichtete Präsentation der Sammlung der Neuen Galerie Graz, die insgesamt rund 70.000 Werke umfasst © Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek
Eine Reise von 1800 bis heute
Die Ausstellung Selection umfasst die Zeit von 1800 bis jetzt und folgt damit dem Sammlungszeitraum der Neuen Galerie Graz. Die Werke des 19. Jahrhunderts folgen kunsthistorischen Kategorien – Landschaftsmalerei, Städtebild, Porträt, Akt etc. Diese Einteilung würde die heutige Kunst nur unzureichend erfassen. Selection versucht daher – wie auch schon die vorangegangene Sonderausstellung Show! – die klassischen inhaltlichen Kategorien in einer historischen Ebene im Parcours beizubehalten und sie gleichzeitig mit späteren, bis zu gegenwärtigen Exponaten zu begleiten bzw. zu kommentieren. Selection soll eine Reise von 1800 bis heute ermöglichen. In diesem Zeitraum, in dem sich unser Lebensraum und der Mensch selbst grundsätzlich verändert haben, sind bedeutende und ergreifende Bilder entstanden.
Auch die Themenauswahl der Ausstellung wird weiter beibehalten, jedoch in etwas verdichteter Form. Die frühen Werke treten in Dialog mit den neueren Arbeiten und gegenwärtigen Diskursen: Krieg, Ökodesaster sowie die Bildwerdung der Natur werden dabei deutlich. Es entsteht kein kunsthistorisch linearer Ablauf, sondern eine vernetzte Struktur, eine Gesamterzählung. Die Ausstellung stellt etwa die Frage: Was wurde aus dem Akt? War er einst die Idealisierung des menschlichen Körpers – aus dem Geist der Antike –, so ist er im 20. Jh. zum Schauplatz psychischer Effekte bzw. zum Datenbündel geworden. Ferne und Nähe haben jetzt andere Bezüge als im 19. Jh., zur Zeit der Orientmode und des hemmungslosen Kolonialismus und Kulturimperialismus. Flucht, Migration und Xenophobie stehen nun für dieses Begriffspaar. Postkoloniale Verwerfungen stellen heute unsere hauptsächlichen Problemzonen dar. Die sich verändernde geopolitische Gesamtlage unterstreicht diese Umstände offensichtlich. Am Ende der Ausstellung lösen sich die Erzählstrukturen auf. Abstraktion, Erweiterung des Tafelbildes, Auflösung klassischer Kategorien, Auseinandersetzung mit dem System Kunst an sich oder die Mediatisierung stehen nun im Zentrum.
Erstmals war das Publikum aktiv an der Auswahl der Werke beteiligt © Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek
Die Ausstellung wird von einem Vermittlungsprogramm begleitet, das umfassende Werkbeschreibungen mittels Audioguide und ein dicht ausgestattetes Vermittlungsheft bietet. Außerdem wird es zahlreiche Führungen durch die Ausstellung geben, die sich überblicksartig, aber auch thematisch abgegrenzt mit den Themen der Schau befassen werden.
Selection – Highlights aus der Sammlung
Neue Galerie Graz, Joanneumsviertel, 8010 Graz
www.neuegaleriegraz.at
Kommentar schreiben