Mit manipulativen Tricks schaffen es die großen Internetportale und sozialen Netzwerke, unsere Aufmerksamkeit abzusaugen und Klicks zu maximieren. Wie reagiert die Werbewirtschaft darauf? Dieser Frage wurde beim "Denkfrühstück" der Fachgruppe Werbung in Linz durch den Soziologen und Netzwerkexperten Harald Katzmair auf den Grund gegangen.
Katzmair hat selbst viele Jahre im Silicon Valley gearbeitet und leitet heute ein Beratungsunternehmen für Netzwerkanalysen und der Analyse von Macht-, Beziehungs- und Kommunikationsnetzwerken. "Soziale Netzwerke bestimmen unser aller Leben", so Christof Schumacher, Obmann der Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation. "Mit dem 'Denkfrühstück' wollen wir uns damit beschäftigen, wie wir als Kommunikatoren diese Verantwortung wahrnehmen."
"Die Pulverisierung unserer Aufmerksamkeit ist eines der größten Probleme der Gegenwart", analysierte Katzmair. "2004 wurde unsere Aufmerksamkeit im Durchschnitt alle drei Minuten unterbrochen, sei es durch einen Anruf, ein E-Mail oder eine Nachricht. Heute liegen wir bei 40 Sekunden. Und es braucht eine gewisse Zeit, bis wir wieder zum ursprünglichen Konzentrationsniveau zurückfinden. Mit enormen betriebswirtschaftlichen Auswirkungen, aber auch gesellschaftlichen und familiären Folgen."
Wut, Angst oder Neid
Da die großen Portale und Netzwerke werbefinanziert sind, sei das große Ziel die Maximierung der Klicks, denn Klicks sind gleichbedeutend mit Geld, so Katzmair: "Es ist ihnen auf beeindruckende Weise gelungen, das rationale Denken der Nutzer zu umgehen und die Urinstinkte der Menschen zu aktivieren, die die schnellsten Reaktionen auslösen, wie Wut, Angst oder Neid."
Funktioniert hat dieses "Gehirnhacking" mit einem speziellen Belohnungssystem – "Variable Reward" – bei dem man als Nutzer im Unklaren ist, wann die Belohnung kommt. So zeige Facebook manche Likes sofort an, manchmal allerdings auch zeitverzögert. Bei Uber entscheidet der Algorithmus ganz gezielt, welcher Fahrer wann die beste Fuhre zugeteilt bekommt. Das sei genau das, was süchtig mache. Das maximiere unsere Dopaminausschüttung und lässt uns 75 Mal am Tag zum Handy greifen und lässt den Uber-Fahrer länger fahren.
Facebook: "Angry Button" sorgt für mehr Interaktivität
Seit der Einführung des "Angry-Buttons" 2018 sei die Interaktivität auf Facebook um 40 Prozent gestiegen, berichtete Katzmair. Auch die Fake-News zielen auf die Urinstinkte ab. Katzmair: "Von den zehn am häufigsten weitergeleiteten Meldungen im Jahr 2018 waren acht Fake-News."
Katzmair rät, auf jeden Fall sowohl digitale als auch analoge Kanäle für sich bzw. die Kunden zu suchen und zu nutzen. Weiters sei für ihn ganz entscheidend, seine eigene Stimme zu finden: "Es ist von Vorteil, nicht skalierbar zu sein, nicht zu imitieren, sondern einzigartig zu sein." Gleichzeitig fordert er aber auch Regeln und gesetzliche Maßnahmen, wie etwa die Veröffentlichungspflicht von Algorithmen, das Verbot von Variable-Reward-Algorithmen, eine Klarnamenpflicht und die medienrechtliche Gleichstellung von Plattformen und traditionellen Medien. (red)
Impressionen vom "Denkfrühstück" finden Sie in unserer Galerie.
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