Philippe Narval ist seit 2012 Geschäftsführer des Europäischen Forum Alpbach (EFA). LEADERSNET hat sich mit Narval darüber unterhalten, warum es keine Alternative zu einer vereinigten EU gibt, welche Mittel gegen eine Politik der Abschottung helfen, welche Herausforderungen die Digitalisierung mit sich bringt und was seine persönlichen Highlights des diesjährigen EFA sind.
LEADERSNET: Das Generalthema des EFA lautet "Diversity & Resilience". Die wörtliche deutsche Übersetzung wäre wohl "Vielfalt und Widerstandsfähigkeit", doch die Übersetzung scheint der ganzen Tragweite der Begriffe – vor allem Resilience – nicht zu gerecht zu werden. Wie würden Sie das Generalthema auf den Punkt bringen?
Narval: Wir vom Europäischen Forum Alpbach möchten ein starkes Signal für die offene Gesellschaft senden. Diversität spielt dabei eine Schlüsselrolle. Leider müssen wir feststellen, dass unsere Gesellschaft immer verletzlicher gegen Angriffe von außen wird. Mit dem Europäischen Forum möchten wir uns widersetzen und unsere Resilienz stärken.
LEADERSNET: Begriffe wie Diversity und Vielfalt gewinnen im gesellschaftlichen Diskurs immer mehr an Bedeutung. Gerade in der westlichen Hemisphäre haben sich etwa Minderheiten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Rechte erkämpft, die lange Zeit nicht vorstellbar gewesen wären. Auf der anderen Seite erleben wir aber auch wieder eine Zunahme an Ressentiments gegenüber beispielsweise Flüchtlingen, die auch von politisch etablierten Parteien genutzt werden, um Stimmen zu gewinnen und eine Politik der Abschottung zu forcieren. Wo wird die Reise Ihrer Meinung nach auf lange Sicht hingehen: Wird die Diversität gewinnen oder die Abschottung?
Narval: Ich weiß, dass Diversität oft missbraucht wird, um Ängste zu schüren. Wir meinen aber, dass die Diversität unser Schatz in Europa ist. Wir sollten diese Diversität erhalten und sogar vergrößern. Diversität macht uns stark, und nur so können wir uns erfolgreich den Unbekannten der Zukunft zu stellen.
LEADERSNET: Österreich hat einen Innovationsminister, der vor einigen Jahren eine parlamentarische Anfrage zu Chemtrails gestellt hat, eine der beiden italienischen Regierungsparteien ist von Impfverweigerern durchsetzt, die Orban-Regierung will Genderforschung an ungarischen Universitäten verbieten und das mächtigste Land der Welt wird von jemandem angeführt, der es mit Fakten nicht immer so genau nimmt. Fürchtet eine Veranstaltung wie das Europäische Forum Alpbach in einer Zeit, die so wissenschaftsfeindlich scheint, wie schon lange nicht mehr, um ihre zukünftige Relevanz oder ist sie dadurch erst so wichtig, wie noch nie?
Narval: Mit der Seminarwoche ist die Wissenschaft in der DNA des Europäischen Forums Alpbach fest verankert, heute wie auch in Zukunft. 22 Seminare haben auch heuer wieder vielfältige Themen, die Europa und die Welt beschäftigen, untersucht. In den interdisziplinären Seminaren diskutierten die Stipendiatinnen und Stipendiaten über Wege aus der Klimakrise, erforschten die Folgen der Eurokrise, oder arbeiteten in einem japanischen "Dojo"-Workshop an ihrer Selbstverwirklichung.
LEADERSNET: Bei den Wirtschaftsgesprächen, die derzeit über die Bühne gehen, wird ein Hauptaugenmerk auf die Arbeitswelt und die Digitalisierung gelegt. In der Tat scheint die Arbeitswelt in den kommenden Jahren vor den größten Umwälzungen seit der Industriellen Revolution zu stehen. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, vor denen wir diesbezüglich stehen?
Narval: Die Digitalisierung und die damit verbundenen Transformationsprozesse. Innovation ist Voraussetzung, um ein Global Player zu bleiben. Anlässlich des Generalthemas "Diversität und Resilienz" wollen wir diskutieren, dass Innovation – sei es im alten Babylon oder heutigen Silicon Valley – immer auf Vielfalt basiert ist. Hier in Alpbach wollen wir aufzeigen, wie Big Data, Künstliche Intelligenz und virtuelle Welten für die Resilienz unserer Systeme neue Voraussetzungen schaffen.
LEADERSNET: Welche Veranstaltung im Rahmen des EFA gehören zu Ihren persönlichen Highlights?
Narval: Politisch gesehen die Diskussion mit unserem Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, EU-Kommissar Johannes Hahn und den Präsidenten Serbiens, Kosovos und Sloweniens. Besonders inspirierend ist aber natürlich der Austausch mit den knapp 700 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus über 90 Nationen. Ein weiteres Highlight ist der Storytelling-Workshop "My Europe My Story", bei dem die Stipendiaten von acht Medienprofis gelernt haben, wie sie ihre Begeisterung für Europa weitertragen können.
LEADERSNET: Sie haben heuer ein Buch mit dem Titel "Die freundliche Revolution. Wie wir gemeinsam die Demokratie retten" veröffentlicht. Sie schreiben, dass ein stärkere Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in die Politik notwendig sei, um gegen autokratische Ideen anzukommen. Sie schildern dafür auch eine Reihe von Beispielen, die Sie selber in verschiedenen Ländern recherchiert haben.
Narval: Die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in die Politik scheint mir angesichts der immer schwerer verständlichen Entscheidungsprozesse – lokal, national, EU – essentieller als je zuvor. Daher haben wir auch das Gesprächsforum "Citizens don't bite" hier während der Politischen Gesprächen geführt. Vertreterinnen und Vertreter zivilgesellschaftlicher Initiativen definierten Schüsselfaktoren gelungener Bürgerbeteiligung.
LEADERSNET: Stichwort EU: Großbritannien muss nach dem Brexit-Votum die EU verlassen, in Österreich und Italien sind jüngst äußerst EU-kritische Elemente in Regierungsverantwortung aufgestiegen und in Ländern wie Tschechien, Ungarn oder Polen sind die derzeitigen Regierungen auch nicht als EU-freundlich verschrien. Steht die EU vor einer Zäsur oder womöglich sogar vor dem Scheitern – vor allem, wenn es die AfD in Deutschland bei den nächsten Bundestagswahlen schafft, womöglich zweitstärkste Kraft zu werden?
Narval: Ich glaube, dass der Brexit den anderen Mitgliedsstaaten verdeutlicht: wir müssen uns auf unsere gemeinsamen Werte besinnen, wenn wir angesichts der globalen Machtverschiebungen noch eine bedeutende Rolle spielen werden. Um den Rechtspopulisten eine glaubhafte Antwort entgegenzusetzen, ist es daher so wichtig die EU-Prinzipien wie Solidarität, Nachhaltigkeit, Demokratie, und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen.
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