Das Wiener Rathaus war dieser Tage Treffpunkt von über 500 Medienprofis aus ganz Europa, darunter Chefredakteure, Verleger, Strategen, Mediendesigner und Online-Profis. Als „Zeitungsnerd“ outete sich Kanzler Christian Kern vor 500 internationalen Medienleuten bei der Eröffnung des European Newspaper Congress 2017: „Politik und Medien bedienen eine Spirale des Populismus und dieser Populismus hat mit dem Leben der Menschen wenig zu tun“. Wenn der „Algorithmus als der neue Gott der Quote gesehen wird“, gehe das von der Überwachung Marke Orwell zur Gestaltung der Gesellschaft von außen über, warnte Kern: „Die Freiheit wird instrumentalisiert“. Kern bekannte sich zum kritischen Journalismus und plädierte für eine Ordnungspolitik, die es Medien ermögliche, klare Antworten zu geben. Eine „ungeheuerliche Wettbewerbsverzerrung“ sei, „dass die österreichischen Medien Steuern abzuliefern haben, die internationalen Giganten jedoch nicht“.
Haltung zeigen, Interessen der Menschen vertreten, unterschiedliche Meinungen wieder aushalten: Das verlangt Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit von den Medienleuten. „Meinungsvielfalt ist das Grundprinzip unserer Arbeit, das es zu verteidigen gilt“, sagte di Lorenzo. Entschieden wandte er sich gegen „diese Art von Gesinnungspolizei, die sofort stigmatisiert, was nicht hereinpasst“. Und an die Verleger gewandt kritisierte er, dass sie „mit den Giganten wie Facebook, viel zu zahm umgehen, weil sie Angst haben, uncool zu wirken.“ Die Achillesferse der Giganten sei ihr Image, von dem die Werbeeinnahmen abhingen. Hier müsse man ansetzen.
„Die Leserinnen und Leser wollen in ihrer Meinung respektiert werden“, verlangte di Lorenzo. Wie das mit dem Werkzeug des kritischen konstruktiven Journalismus gelingt, bei dem Probleme geschildert, Lösungen gesucht und hinterfragt werden, davon berichtete beim Kongress Oliver Reinhard von der „Sächsischen Zeitung“. Die Erfahrung aus einem halben Jahr: „Höhere Leserakzeptanz, mehr Arbeit, bestens geeignet für Lokaljournalismus.“
Drei Preisträger
Giovanni di Lorenzo erhielt den Award der Branchenzeitschrift kress als „Chefredakteur des Jahres“. Neben di Lorenzo zeichnete kress drei weitere Entscheider der Medienbranche aus. Als Newcomerin des Jahres wählten die Leserinnen und Leser Nora Beckershaus von Refinery29, zur Medienmanagerin des Jahres wurde Julia Jäkel, Chefin des Hamburger Verlags Gruner + Jahr, gekürt.
Zur Verlegerin des Jahres wählte die kress-Redaktion Petra Grotkamp, Gesellschafterin der Funke Mediengruppe („Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, „Berliner Morgenpost“, „Hörzu“). Den Preis nahm Julia Becker, Tochter von Petra Grotkamp, bei der Preisverleihung in Wien persönlich entgegen. (jw)
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