Gastkommentar Ralf-Wolfgang Lothert
Europäische Vertrauenskrise

| Redaktion 
| 08.12.2024

Gastkommentar von Ralf-Wolfgang Lothert, Mitglied der Geschäftsleitung und Director Corporate Affairs & Communication von JTI Austria.

Viele meiner geneigten Leser:innen wissen, dass ich ein überzeugter Verfechter und Freund eines geeinten Europas bin. Dies nicht nur, weil ich mich noch bestens an jene Zeiten erinnere, als man an jeder innereuropäischen Grenze seinen Pass vorweisen musste. Die Zollformalitäten bzw. ganz generell war der Handel mit Ländern über die Grenzen Europas hinaus ein Graus, ganz zu schweigen von den vielen unterschiedlichen Währungen mit all ihren Umrechnungskursen. Mit dem Bestehen der EU hat sich hier einiges zum Besseren oder zumindest Einfacheren gewendet und wird von uns allen als selbstverständlich hingenommen.

Fokussiertes und geeintes Europa

Doch die Zeiten sind schlecht, und auch die Prognosen für das kommende Jahr 2025 sind nicht gerade dazu geeignet, Freude zu bereiten. Deshalb wäre gerade jetzt ein fokussiertes und geeintes Europa im wirtschaftlichen Kampf gegen China, Russland oder auch die USA umso wichtiger. Ganz abgesehen von den gesellschaftlichen und verteidigungspolitischen Herausforderungen, die ein einzelner EU-Staat alleine nie lösen können wird.

So sehr ich glühender Europäer bin, so sehr erschreckt mich allerdings, was in den Institutionen wie der Europäischen Kommission oder dem Europäischen Parlament derzeit vor sich geht. In Institutionen, deren eigentliche Aufgabe es wäre, dieses geeinte Europa zu repräsentieren. Eigentlich, so glaubte ich, wären die Ergebnisse der Europawahl ein Schuss gewesen, den alle gehört hätten, in dem Sinne, dass die Bevölkerung kein "weiter wie bisher" wünscht. Vielmehr hätte es den europäischen Institutionen verdeutlichen müssen, dass sie das Vertrauen zurückgewinnen müssen, indem sie unter Beweis stellen, dass das, was sie tun, richtig und wichtig für die Bürger:innen Europas ist.

Aber nein, nur zwei Beispiele beweisen das Gegenteil:

Allein der "Teppichhandel" im EU Parlament bezüglich der zukünftigen Kommissar:innen ist mehr als abschreckend. So dürfen also künftig Personen, die ihre Kritik der EU gegenüber offen zur Schau stellen, über Milliarden von Euro der Steuerzahler:innen entscheiden.

Auch meinte ich, dass die Wähler:innen klar zum Ausdruck gebracht hätten, dass sich die Institutionen um die wichtigen Dinge des Lebens kümmern sollten, darunter Migration, Verteidigung und die europäische Wirtschaft. Aber auch hier wurden wir Lügen gestraft, wie die jüngste Debatte um die Empfehlungen der EU zum Rauchverbot in Außenbereichen zeigt. Man kann zu diesem Thema, so glaube ich, inhaltlich durchaus unterschiedlicher Auffassung sein bzw. dazu stehen, wie man will. Nur leider ist es ein sehr emotionales Thema, das beispielhaft und sehr plakativ zeigt, wo es in der EU grundsätzlich hakt.

EU als "Super Nanny" 

Die Bürger:innen haben es nämlich satt, dass sich die EU wie eine "Super Nanny" in alle Bereiche ihres Lebens einmischt. Sie wollen keine Bevormundung, die bis in die tiefste Privatsphäre hineinreicht. Vor allem jedoch ist den Bürger:innen nicht begreiflich, weshalb sich die EU um Themen kümmert, für die sie eigentlich gar nicht zuständig ist! Kein Wunder also, dass die Wogen hochgingen, als die EU zur Verteidigung ausrückte, dabei jedoch argumentierte, dass sie dafür eigentlich gar nicht zuständig sei, aber doch gerne Empfehlungen abgeben würde. Wie bitte? Nicht zuständig sein, aber ganze Abteilungen in der EU-Kommission und Hunderte Abgeordnete damit beschäftigen und damit Millionen von Euro verheizen? Über den Ärger in den Mitgliedstaaten und bei den Bürger:innen darf man sich bei solch einem Verhalten wirklich nicht wundern. Und was mit diesem Geld stattdessen Sinnvolles bereits auf die Wege gebracht hätte werden können, darüber darf man gar nicht nachdenken. Das kann es nun wirklich nicht sein.

Effiziente und vertrauenswürdige Institutionen

Deshalb muss einmal mehr mit Nachdruck an die Grundforderung des Subsidiaritätsprinzips erinnert werden. Heißt, die EU soll sich nur um jene Bereiche kümmern, die auch in ihren Zuständigkeitsbereich fallen und damit auch endlich um die so lang versprochene und dringend notwendige Entbürokratisierung, statt immer neuer Einschränkungen. Um sich den Herausforderungen der nächsten Jahre stellen zu können, brauchen wir ein geeintes Europa, eines mit effizienten und vertrauenswürdigen Institutionen. Und genau das ist der Punkt, an dem angesetzt werden muss – also worauf wartet man in Brüssel noch? Es ist nämlich mitnichten die europäische Idee, der die Bürger:innen skeptisch gegenüberstehen, sondern jenen Institutionen, die meinen, die europäische Idee der Bürger:innen zu kennen.

Die Bürger:innen wollen Eigenbestimmung und Selbstverantwortung, dazu braucht es Rahmenbedingungen, die dies ermöglichen. Stattdessen wird das Korsett der Vorschriften immer enger, was jede Kreativität und damit die Möglichkeit auf Fortschritt im Keim erstickt. Was das – erschwerend zu den ohnehin schon zahlreichen Bürden – für die Wettbewerbsfähigkeit von Europa bedeutet, muss ich, glaube ich, nicht weiter ausführen. Europas Bürger:innen können mehr, als die EU-Institutionen glauben, sie müssten es ihnen nur zutrauen. Dass sie das nicht tun, ist umso erschreckender, als die dort arbeitenden Menschen ja genauso Bürger:innen dieser Vereinigung sind und damit eigentlich an einem Ast sägen, auf dem sie selber sitzen. Aber darüber denken sie wohl erst wieder kurz vor den nächsten Wahlen nach.

Eigentlich ist es schon 5 nach 12, aber die EU-Kommission hat sich zum 1. Dezember 2024 gebildet und in guter alter demokratischer Tradition würde ich dieser Institution zumindest die Chance der ersten 100 Tage geben. Werden wir aber hier keine gravierenden Änderungen z.B. im Bürokratieabbau (am besten bei den eigenen Institutionen zuerst) sehen, müssen wir uns grundsätzlich fragen, wie wir hier weiter tun. Dann bin ich durchaus dafür, keine auch noch so drastische Maßnahme bzgl. des Projektes Europa in Erwägung zu ziehen. Was wir alle nicht möchten, ist, mit einer EU, die dann mehr einer Titanic gleicht, unterzugehen. In diesem Sinne treiben wir alle Institutionen zu ihrem Besten an, um einen Untergang zu vermeiden.

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