Vor einigen Tagen war es wieder so weit. Austrian Standards lud zahlreiche Stakeholder:innen der heimischen Bauindustrie zur Jahrestagung Bau 2024.
270 Gäste
270 Gäste aus ganz Österreich waren live oder digital dabei. Eine von mehreren aktuellen Problemstellungen war von den Podiumsgästen schnell identifiziert: "Konjunkturelle Stagnation trifft auf ambitionierte EU-Klimaziele". Laut den Branchenexpert:innen gibt es durch dieses Nadelöhr zwei Pfade: grüne Innovation/Transformation und keine Angst davor, Altes neu zu denken.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen die Keynote von Katharina Kothmiller (Architektin, geschäftsführende Partnerin bei "nonconform") und Markus Zilker (Architekt und Gründer von einszueins architektur) sowie drei hochkarätig besetzte Podiumsdiskussionen.
Hochkarätige Diskussionsrunden
Das erste Panel war mit Tim Joris Kaiser (Stv. Leiter Wirtschaft und Soziales, Berater für wirtschaftspolitische Koordinierung, Europäische Kommission), Stefan Rufera (Partner, Advisory, KPMG Austria), Peter Maydl (Univ.-Prof.i.R., Zivilingenieur für Bauwesen) und Alexander Passer (Univ.-Prof., TU Graz, Vorsitzender Komitee 271 "Nachhaltigkeit von Bauwerken") besetzt.
Bei der zweiten Diskussionsrunde sprachen Hildegund Figl (Forschung & Vorstand, IBO – Österreichisches Institut für Bauen und Ökologie, Vorsitzende Arbeitsgruppe 02 "Bewertungsmethoden und Bilanzierungsregeln"), Otto Handle (Geschäftsführung Inndata Datentechnik), Caroline Palfy (CEO Loud 4 Planet) und Bernadette Luger (Stabsstelle Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen, Stadt Wien).
Beim dritten Panel saßen Simon Eisenschink (Projektingenieur & Energie-Effizienz-Experte, Jung Eco Building Solution), Wolf-Dietrich Denk (Geschäftsführung, FCP), Markus Dörfler (CEO Augmenterra GmbH) und Harald Mezler-Andelberg (Geschäftsführung Lindner Österreich), auf der Bühne.
"Planen und Bauen für 100 Jahre"
Die Keynote-Speaker:innen Katharina Kothmiller und Markus Zilker, beide Mitglieder des Zukunftsnetzwerks Habitat2030, schafften in ihrem Vortrag zum Thema "Planen und Bauen für 100 Jahre" einen branchen-selbstkritischen Einstieg mit der Frage, "wie kann die radikale Transformation der Baubranche zur Klimaneutralität bis 2030 gelingen?".
Der Tenor in allen Gesprächen war, dass an mehr Nachhaltigkeit im Sektor kein Weg vorbeiführt. Denn die "Hütte brennt" und im Rennen für eine Zukunft ohne laufend neue Klimakatastrophen, wie man sie 2024 erlebt hat, ist man weit ins Hintertreffen geraten. Im Speziellen kritisch betrachtet man Art und Menge eingesetzter Materialien, mit besonderem Fokus auf die grauen Emissionen, also jener Ausstoß, der bei der Herstellung von Materialien entsteht. Für die beiden Expert:innen, Katharina Kothmiller und Markus Zilker, liegt hier der mit Abstand größte Hebel für ein nachhaltigeres Bauen und Sanieren zu finden.
Wie man dieses Problem anders handhaben kann, wurde durch das Siegerprojekt "Wiener Luft", einem Bauträgerwettbewerb zum Nordwestbahnhof Wien, belegt. Dank innovativer Planung und Materialien wird man auch mit nachwachsenden Baustoffen auf sieben Geschossen Net-Zero erreichen können.
Under Construction
Laut den Expert:innen lässt sich die aktuelle Stimmung der gesamten Branche mit "Under Construction" treffend beschreiben. Das Ergebnis dieses "Umbauens" sei aber noch nicht absehbar. Der einstige "Konjunkturmotor Bau" stehe wie andere Sektoren vor massiven Umbrüchen. "Man ist an einem Punkt, an dem man Dinge nicht nur anpacken, sondern bei Bedarf auch umdrehen oder entsorgen muss. Und jede:r von uns – auch die Normung – muss die nötigen Hausaufgaben machen. Bei allen Schauplätzen wie Zinspolitik, Deregulierung und Co. werden wir aber aus einer Verpflichtung nicht entlassen werden, nämlich der Dekarbonisierung. Die Klimaziele der Europäischen Union sind unverrückbar und das ist gut so, denn die Auswirkungen der Klimakrise rücken spürbar näher an unser aller Leben heran. Das mussten wir 2024 mit verheerenden Hochwasserereignissen im Land deutlich erleben", sagte Gastgeberin Valerie Höllinger, CEO und Managing Director bei Austrian Standards.
Als Teil des gemeinsamen Plans für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit ist der notwendige Wandel des Sektors, der sowohl ökonomische als auch ökologische Zielsetzungen verfolgt, auch aus Sicht der EU-Kommission ein Kernanliegen. Vor diesem Hintergrund und aus Sicht von Tim Joris Kaiser, Stv. Leiter Wirtschaft und Soziales, Europäische Kommission in Wien, ist es also kein Zufall, dass es nun einen EU-Kommissar für "Energie und Wohnungswesen" gibt, nämlich Dan Jørgensen aus Dänemark.
Lösungsansätze aus unterschiedlichen Bereichen
Das Programm der Jahrestagung versuchte Lösungsansätze aus unterschiedlichen Bereichen aufzuzeigen, wie klare Anforderungen an die Energie- und Ressourceneffizienz von Bauwerken, die auch noch in 100 Jahren stehen sollen. Kreislauffähige Konstruktionsprojekte mit einem Net-Zero-Commitment seien hierbei wegweisend. Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft sind hier die tragenden Säulen der Bauzukunft.
"Im Bereich Materialkonsum ist ein grundlegendes Umdenken notwendig: Es braucht eine Ressourcenwende im Bauwesen! Unsere Devise lautet: weniger verbrauchen, länger nutzen und wiederverwenden – Materialien also werthaltig im Kreislauf führen. Die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft erfordert einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel, der sich durch alle Vorgaben, Normen und Prozesse ziehen muss. Wir gehen diesen Weg Schritt für Schritt und arbeiten bereits heute daran, zirkuläre Anforderungen an das Bauen umzusetzen. Die Herausforderung: Wir bewegen uns derzeit noch in einem System, das auf Linearwirtschaft ausgerichtet ist – und genau das macht den Wandel so anspruchsvoll!", betont Bernadette Luger, Leiterin des Programms "DoTank Circular City Wien 2020-2030" und der Stabsstelle Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen der Stadt Wien.
Work In Progress
Die Jahrestagung schloss mit einer top-besetzten Diskussionsrunde, die sich aktiv mit der Zukunft des Bausektors befasste. "Bei der BIG nehmen wir in Summe zwei Milliarden für reine Dekarbonisierungsmaßnahmen in die Hand. Wir investieren dort, wo die echten CO₂-Effekte zu erwarten sind, und tragen auch dafür Sorge, dass Maßnahme A nicht unter Maßnahme B leidet. Ein Beispiel aus einer Schule in Wien: Wenn sich nach dem Umbau von Öl und Gas auf Wärmepumpen und PV dann herausstellt, dass die Sanierung der Hülle die erzielten CO₂-Effekte am Standort auf Jahrzehnte wieder auffrisst, dann wird die Hülle nicht angetastet. Hier rechnet man bei der BIG kühl und kühn. Wir wissen, dass 2040 als Ziel für viele am Markt unrealistisch ist. Für uns als BIG darf es das nicht sein. Ich bin optimistisch, dass wir als BIG diese Vorgabe schaffen", sagte Gerald Beck, Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft BIG und Austrian Real Estate ARE.
"Die Veränderungen sehen wir überall, auch im eigentlichen Baustellenbetrieb. Modulare Bauweise und Vorfertigung spart enorm viel Material-An- und Abtransport an Baustellen. Auch Werkzeuge und vor allem Baufahrzeuge werden ein Stück kleiner, dafür aber vermehrt vollelektrisch", so Markus Engerth, Unternehmensbereichsleitung & Vorstandsmitglied Strabag AG, abschließend.
Einen Eindruck von der Veranstaltung können Sie sich hier machen.
www.austrian-standards.at
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