LEADERSNET veröffentlicht nun regelmäßig Interviews, Porträts und Servicegeschichten von aehre. Dabei befasst sich das Nachhaltigkeits-Businessmagazin stets mit einem der zentralen Themen der Gegenwart: Nachhaltigkeit, in allen ihren Facetten von Environment über Social bis Governance.
Nach dem Interview mit Toto Wolff ist nun eines mit Florian Haller an der Reihe. Innerhalb von zwanzig Jahren hat er als CEO das von seinem Vater und Rolf Stempel gegründete Familienunternehmen, die Serviceplan Group in München, zu einer der größten unabhängigen und inhabergeführten Kommunikationsagenturen Europas gemacht. In 16 Ländern rund um den Globus arbeiten über 5.500 Menschen an 23 Standorten. Seit über einem Jahrzehnt zählt Serviceplan mit ihren Houses of Communication zu den Top 3 in allen relevanten Rankings und holte 2022 beim internationalen Werbefestival in Cannes den größten Schwung der begehrten Löwen ab. Auch im Bereich von Nachhaltigkeit und Social Responsibility profiliert sich Serviceplan stets als souverän anpackender Vorreiter. Für das bemerkenswert strategische Vorgehen auf dem weltweiten Markt wurde Florian Haller mit seinem Vater Peter Haller bereits 2013 in die Hall of Fame der Werbebranche erhoben. aehre hat ihn im neuen Münchner House of Communication zum Interview getroffen.
aehre: Sehr geehrter Herr Haller, Serviceplan hat eine eigene Taskforce-Initiative, weGREEN, die sich mit Sustainability beschäftigt. Was haben diese jungen Leute verinnerlicht, das die Älteren noch lernen müssen?
Florian Haller: Zunächst ist es die Grundsatzfrage "Wie kann ich meinen Beitrag leisten?" Die ist in der jüngeren Generation einfach viel selbstverständlicher vorhanden. Wohingegen wir uns noch viel öfter aufraffen müssen, alte Gewohnheiten infrage zu stellen. Da sind die Jüngeren wesentlich schneller dabei. Manchmal, so finde ich, mit ein bisschen viel Alarm und Lärm drum herum, aber vom Prinzip her ist das schon absolut richtig.
aehre: Mit der Schlagzeile "In 100 Tagen klimaneutral" und der tatsächlichen Umsetzung wart ihr die Vorreiter in eurer Branche. Wie groß ist der Einfluss der Werbung auf die Bewusstheit der Bevölkerung und wie groß daher die quasi moralische Verpflichtung, für nachhaltige Themen lautstarke Zeichen zu setzen?
Haller: Werbung hat eine enorm hohe Reichweite in der Bevölkerung. Aber wir werden nicht dafür bezahlt, Propaganda zu machen, sondern dafür, Marken zu positionieren und mit sinnvollen Botschaften aufzuladen. Unseren Kund:innen erklären wir das Thema meist aus umgekehrter Perspektive: Ganz viele Zielgruppen, immer mehr Menschen da draußen fragen heute: Wie und wo werden die Produkte hergestellt? Was ist die Haltung des Unternehmens, der Marke zu ihren Produkten, zu verschiedenen diversen Herstellungsverfahren? Heißt, das Thema "Sustainability" ist heute eine Riesenchance für Marken, sich positiv zu positionieren.
aehre: Wie viel muss oder müsste da politisch kooperiert werden, um eine solch neu aufgestellte Kommunikation noch wirkungsvoller zu machen? Wie sehr kann die Werbung Impulse geben und kritische Themen kreativ visualisieren, die in der Politik vielleicht noch nicht einmal wirklich realisiert sind?
Haller: Der grundsätzliche Anstoß zu einer nachhaltigeren Gesellschaft muss, meiner Ansicht nach, primär aus der Politik kommen. Wir können durch entsprechende Markenkommunikation unterstützen und helfen. Ich würde mir wünschen, dass die Politik uns Unternehmer viel mehr als Partner versteht. In der Realität werden wir jedoch noch oft als Gegner gesehen und lieber mit Werbeverboten konfrontiert anstatt effizient mit uns zu kooperieren. Das ist sehr schade.
aehre: Zurück zur Serviceplan Group. Dein großes Anliegen, dein Fokus und Drive scheint der globale Ausbau der Gruppe zu sein. Welchen Hebel habt ihr zur Thematisierung der Nachhaltigkeit in eurem globalen Argenturnetzwerk? Könnt ihr da weltweit etwas bewegen?
Haller: Wir sehen uns eben nicht mehr als eine deutsche, sondern als global vertretene Agenturgruppe auf drei Kontinenten – in Europa, in den USA und in Asien. Und unser Ziel, die Welt ein Stück weit besser zu machen, versuchen wir ebenso in all diesen Ländern zu verwirklichen. Mit der Klimaneutralität haben wir in Deutschland angefangen, aber rollen das jetzt systematisch aus. Es dauert halt ein bisschen, weil manchmal die Ausstattung unserer Agenturen und oft auch die Datenlage noch nicht so gut sind. Aber da bleiben wir konsequent dran.
aehre: Spielen auch kulturelle Unterschiede eine Rolle? Stichwort Mülltrennung – wird die nur hierzulande so ernst genommen und gesetzlich reguliert?
Haller: Ich finde, dass die kulturellen Unterschiede gar nicht so groß sind, wie man glauben würde. Ich habe das Gefühl, dass das Thema Nachhaltigkeit in anderen Ländern als genauso wichtig angesehen wird wie bei uns. Nehmen wir zum Beispiel unsere Gruppe in Italien – die sind auf unserem Niveau und nehmen das auch ebenso ernst wie wir.
Das stereotype Klischee vom Italiener oder der Italienerin stimmt überhaupt nicht. Man merkt vielleicht manchmal die radikale deutsche Gründlichkeit, aber im Endergebnis sind die meisten europäischen Länder eigentlich auf einem ähnlichen Level.
aehre: Was müssen wir uns unter einem weGREEN-Schlagwort wie #FightDailyDumpness vorstellen?
Haller: Dieser Hashtag resultierte aus einem Konsens, auf den wir uns in der Gruppe geeinigt haben: Kleine Verhaltensänderungen bewegen eine Menge, wenn sie alle ernst nehmen. Je provokanter formuliert, desto besser – unter #FightDailyDumpness fallen total simple Aufforderungen wie "Mach doch bitte das Licht aus, wenn du aus dem Büro gehst". Wir werden jetzt allein dadurch nicht den Klimawandel stoppen, aber wenn alle unsere Kolleg:innen stets das Licht abdrehen, wenn es nicht gebraucht wird, dann macht das sehr wohl einen Unterschied! Erst recht, wenn in all unseren Standorten über 5.500 Menschen daran denken.
aehre: Zum Ausgleich eures Carbon-Footprints unterstützt ihr ein Sustainability-Projekt in Brasilien. Solche kompensierenden Zertifikate werden immer noch gerne als Ablasshandel kritisiert. Wie siehst du das?
Haller: Es gibt einen bestimmten Rest-CO2-Footprint, den du einfach nicht wegkriegst. Deshalb kann man sich überlegen, ob man den einfach stehen lässt oder versucht auszugleichen, indem man an anderer Stelle in der Welt CO2 rausnimmt. Um einzuschätzen, wie seriös ein solches Projekt ist, da muss ich mich auf entsprechend kompetente Vermittlungspartner verlassen. Aber ganz ehrlich: Selbst wenn 80 Prozent meiner Unterstützung wirklich ankommen, so ist das immer noch weit besser, als gar nichts zu tun. Ich mag deswegen diese Fundamentalkritik an Zertifikaten und insbesondere das Wort Ablasshandel überhaupt nicht. Sie ersticken jede Lust und Bereitwilligkeit, sich einzusetzen. Das ist mehr als kontraproduktiv.
aehre: Greenwashing ist durch die Green Claim Directive gesetzlich verboten, scheint aber als Mogelei oder Haltung allmählich sowieso verpönt. Wie siehst du das?
Haller: Greenwashing ist erstens mal natürlich unethisch, aber vor allen Dingen einfach nur dumm. Warum? Weil heute in den sozialen Medien jede Schummelei sofort aufgedeckt wird und zu einem Shitstorm führt. Und damit machst du deine Marke im Zweifelsfall nur kaputt. Es werden allerdings auch teilweise Initiativen von Unternehmen als Greenwashing niedergemacht, wenn sie nicht sofort das optimale Endergebnis bringen, jedoch per se ein Anfang und ein positiver Beitrag sind. Und da denke ich, dass man über alles reden darf und soll, was nachvollziehbar und relevant ist. Durch motivierende Kommunikation können wir andere im besten Fall mitziehen, die Welt gemeinsam ein Stück besser zu machen.
aehre: Haben sich durch Social Media und die Klimathematik die Zielgruppen für Nachhaltigkeitskommunikation verändert?
Haller: Wir haben das mal vor ein paar Jahren durch unsere Marktforschung untersuchen lassen. Die Frage nach der Nachhaltigkeit ist keine Frage des Alters. Es sind nicht nur die Jungen – auch ältere Menschen fragen sich: Wie wollen wir diese Welt den nächsten Generationen hinterlassen? Auch sie haben ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein und machen sich Sorgen. Die Jüngeren reagieren meist impulsiver und bei gewissen Themen schärfer – sie präsentieren Ausdrucksformen von Protest, die den älteren Zielgruppen nicht immer behagen. Aber das Grundanliegen ist dasselbe.
aehre: Zum Thema "#FutureWork". Das klassische Zuhören wird bei euch großgeschrieben. Wie lernt man das den jungen Leuten in Zeiten, da Augenkontakt in Onlinegesprächen nie wirklich möglich ist?
Haller: Das ist eine gute Frage. Ich bin ja prinzipiell überhaupt kein Gegner von Onlinemeetings. Wir haben heute eine hybride Arbeitswelt und sowohl die physische als auch die virtuelle Zusammenarbeit haben ihre Berechtigung. Dennoch – das wahre Zuhören geschieht im persönlichen Gespräch. Da kann man sich einfach ganz anders erreichen. Das versuchen wir auch unseren Kolleg:innen stets zu vermitteln. Dafür macht es Sinn, sich persönlich in der Agentur zusammenzusetzen. Deshalb bin ich auch selbst sehr gerne und so oft wie möglich im Haus.
aehre: Und die Türen zu den Chefbüros sind immer offen, heißt es …
Haller: Ja, wir haben ganz bewusst den Holdingbereich nicht unters Dach hinaufgehoben, sondern wollen immer und für alle zugänglich sein. Das heißt, auch wir sitzen wie alle anderen Kolleg:innen in einer offenen Office-Struktur gemeinsam zu acht als Führungsteam an einem großen Tisch zusammen. Keiner hat sein eigenes Büro. Dadurch sind wir alle stets in Bewegung und tauschen uns viel öfter direkt aus.
aehre: Hat die Werbung eigentlich ein Imageproblem? Oder ist es cool, in dieser Branche zu arbeiten?
Haller: Auf die Imagefrage gibt es ehrlich gesagt zwei Antworten. Ich höre in der Branche öfter, dass die Attraktivität des Werbeberufs enorm verloren hat. Auch meine Tochter hat mir mitgeteilt, dass sie auf gar keinen Fall hier arbeiten möchte. Aber ich denke, ein bisschen redet sich die Branche selbst in eine Depression und sollte selbstbewusster auftreten. Ein Job in der Werbung bietet jungen Menschen die Möglichkeit, zusammen mit anderen jungen Menschen kreativ zu sein – in einem wirklich diversen Umfeld. Das finde ich ziemlich attraktiv.
aehre: Du hast 2005 den "Innovation Day" in der Agentur eingeführt. Was passiert da?
Haller: Die Idee war den zum Teil rasanten und gravierenden Veränderungen in unserem Berufsfeld geschuldet. Allein die Digitalisierung hat alles auf den Kopf gestellt. Was uns aktuell extrem beschäftigt und vermutlich noch einmal alles umdrehen wird, ist das Thema KI, die künstliche Intelligenz. Mein Ansatz zum "Innovation Day" war, einmal im Jahr eine Art Summit zu etablieren, auf dem wir uns mit unseren Kund:innen, Medienvertreter:innen und Fachexpert:innen über derlei neue Entwicklungen austauschen. Während Corona hat das digital stattgefunden, aber ich freue mich jedes Mal wieder enorm auf live hier im Haus. Für mich ist das immer sehr, sehr wertvoll.
aehre: Wenn wir das Thema "Future-Work" hernehmen und die Veränderungen durch die KI dazusetzen – welche Gedanken beschäftigen dich da aktuell?
Haller: Eine Herausforderung, was KI und Future-Work betrifft, ist die, dass wir auf Veränderungen, initiiert durch die großen Techfirmen, reagieren müssen und nicht selbst die Treiber sind. Und dass KI an ganz vielen Plätzen unserer Arbeitswelt parallel ansetzt. Die dritte Herausforderung ist die Ungewissheit, was wirklich relevant sein wird und wie schnell das passiert. In diesem Nebel müssen wir momentan die weniger wichtigen und die ganz wichtigen Themen herausfiltern. Im Kreativbereich werden sich KI-gestützte Präsentationen weiter etablieren, wir werden auch KI-gestützt produzieren und KI-gestützt Media mit Kampagnen verknüpfen. Wir werden KI-gestützt programmieren und unsere internen Prozesse weiterentwickeln.
aehre: Ein weiteres Schlagwort ist #ÜberCreativity. Kommt damit zum Ausdruck, dass der Mensch auch weiterhin der eigentlich Kreative ist und nicht nur den Output von KI kontrolliert?
Haller: Ich denke, dass wir uns unsere Selbstbestimmtheit nicht von einer KI aus der Hand nehmen lassen sollten. In so einer Welt möchte ich nicht leben und arbeiten. KI ist für mich ein Hilfsmittel – ein unglaublich mächtiges Instrument, das uns auch entsprechend verändern wird, und darauf müssen wir uns eben einlassen.
aehre: Es heißt, du hast ein Faible für Philosophie, die für dich auf dem Staunen über die Welt beruht. Was brachte dich zuletzt selbst zum Staunen?
Haller: Als ich vor Kurzem mit meiner Familie in Thailand war, hat mich die unglaubliche Gelassenheit und Freundlichkeit der Thailänder:innen zum Staunen gebracht. Insbesondere in Bangkok, in diesem sich schnell bewegenden Melting Pot von Tausenden Impulsen. Das war beeindruckend.
aehre: Ist das für dich der erstrebenswerte Zustand – gar dein Lebensthema?
Haller: Wir leben wohl alle in gewissen Spannungsverhältnissen. Die Gelassenheit alleine macht keinen guten Unternehmer. Aber ein hektischer, cholerischer Daniel Düsentrieb ebenso wenig. Der Idealfall ist für mich das Wechselspiel zwischen proaktivem Vorwärtstreiben und einer gewissen nonchalanten Ruhe. Eben zu sehen, dass Dinge nicht immer sofort funktionieren und ihnen freundlich die entsprechende Zeit zu geben. Darum bemühe ich mich stets. Ich schaffe es aber auch nicht immer.
aehre: Das ist ein wunderbar aehrliches Schlusswort – Danke.
Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie im neuen Nachhaltigkeits-Businessmagazin aehre auf www.aehre.media und in der Juni-Ausgabe am Kiosk.
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